Europa

Die tägliche Schikane: Am Checkpoint zwischen der Ukraine und den Volksrepubliken

Was als Checkpoint an der Trennlinie zwischen den ukrainisch kontrollierten Gebieten und den Donbass-Volksrepubliken begann, hat sich de facto zur Grenze verfestigt. Unser Autor ist der Frage nachgegangen, was das für die Menschen und ihren Alltag heißt.
Die tägliche Schikane: Am Checkpoint zwischen der Ukraine und den VolksrepublikenQuelle: Sputnik

von Zlatko Percinic

Ob man es als Checkpoint betrachten möchte oder als Grenze, liegt ganz im Auge des Betrachters. Ein Checkpoint ruft eher Assoziationen mit einer Armeekontrolle hervor, die überall auf einem Territorium errichtet werden und - was für manche nicht weniger wichtig ist - genauso schnell wieder verschwinden kann. Eine Grenze hingegen hat etwas Permanentes: eine klare, oder manchmal nicht so klare, Trennlinie zwischen zwei Ländern, zwischen unterschiedlichen Kulturen und Sprachen. Ist von einer Grenze die Rede, denkt man an Zollabfertigungen von Waren, an Visabestimmungen und Einfuhrverordnungen. Der offiziell als Checkpoint bezeichnete Übergang Jelenowka, einer von sechs Übergangen zwischen der Ukraine und der selbstausgerufenen Volksrepublik Donezk, hat sich in allem, nur nicht dem Namen nach, in eine Grenze verwandelt.

Täglich passieren im Schnitt 2.500 Menschen (so die offiziellen Zahlen des DNR-Grenzkorps) diesen Checkpoint Jelenowka in die Ukraine und wieder zurück in die Volksrepublik. Würde die militärische Front nicht so nah an diesem Übergang vorbeilaufen, und würde man nicht von Zeit zu Zeit Schüsse hören, würde Jelenowka auch tatsächlich wie eine ganz normale Grenze aussehen. Autos und Busse stehen in einer noch relativ kleinen Schlange, als wir um 11.30 Uhr eintreffen und geduldig auf die Überfahrt in die Ukraine warten.

Künstlich erzeugte Wartezeit im Niemandsland

Alle Personen müssen sich beim Grenzhäuschen melden, sich ausweisen und angeben, ob sie etwas zu verzollen haben. Anschließend erhalten sie ein Ticket pro Fahrzeug oder Fußgänger, mit welchem sie beim Grenzbeamten ihre Registrierung nachweisen und weiterfahren können. Alles in allem nimmt ein solcher Prozess je nach Menschenmenge normalerweise zwischen zehn bis dreißig Minuten in Anspruch. Und dennoch müssen sie hier alle länger warten. Wenn es gut läuft, eineinhalb Stunden. Wenn es schlecht läuft, viereinhalb Stunden. Und wenn es ganz schlecht läuft, dann warten sie den ganzen Tag und kommen am Ende doch nicht auf die andere Seite.

"Das liegt nicht an uns", sagt mir der Grenzbeamte der Volksrepublik Donezk. "Sie sehen ja, wie schnell die Leute ihr Ticket erhalten und wie lange sie aber trotzdem weiter warten müssen." Ja, das sehe ich wirklich. Seit meiner Ankunft ist die Schlange der wartenden Autos merklich gewachsen. Dass es nicht vorwärtsgeht, liegt an den ukrainischen Grenzbeamten. Denn auch dort müssen die Menschen wieder das gleiche Procedere durchlaufen wie beim Verlassen der Volksrepublik. Was die Sache allerdings verschärft, ist die Pufferzone zwischen den beiden Kriegsparteien. Dieses Niemandsland ist 300 Meter lang und füllt sich sehr rasch mit Autos. Schließen die Grenzen nach 18 Uhr, bleiben jene in dieser Pufferzone stecken, die es weder rein noch raus geschafft haben. Zumindest in der Theorie.

Praktisch musste noch nie jemand in der Pufferzone übernachten, nur, weil er oder sie es nicht über die Grenze geschafft hat. Aber es zeigt sich, wie nervenaufreibend dieser ganze Prozess ist und laut dem DNR-Grenzbeamten von der ukrainischen Seite auch so gewollt ist. Kiew möchte den Menschen zeigen, was für eine schlechte Wahl sie mit ihrer Volksrepublik getroffen haben und dass sie es unter der Ukraine doch viel einfacher und angenehmer hätten.

Und natürlich merkt man im Gespräch mit den Menschen, dass sie diese Warterei und überhaupt das ganze mühselige Verfahren satthaben. Immerhin konnten sie bis vor vier Jahren ungehindert die gleiche Straße passieren, ohne stundenlange Aufenthalte bei Wind und Wetter, egal ob bei klirrender Kälte oder sengender Hitze, erdulden zu müssen.

Nun hört man verschiedene Stimmen dazu: manche machen die Regierung der Volksrepublik Donezk für diesen Zustand verantwortlich, manche die Regierung in Kiew und wiederum andere meinen, die Oligarchen seien schuld, die mit dieser neuen Grenze - auch wenn sie nicht anerkannt ist - ein Riesengeschäft durch den Schmuggel von Zigaretten, Medikamenten und Luxusartikeln sowie durch den Import/Export von Waren aller Art machen. Dass es diese Oligarchen, oder "Bisnismen", wie sie im Volksmund genannt werden, auf beiden Seiten der Kriegsparteien gibt, versteht sich von selbst.

Ein zarter Hauch von Marktwirtschaft

Diejenigen, die nicht das große Geld mit der Grenze scheffeln, aber dennoch einen Erwerbszweig dadurch gefunden haben, sind findige Männer und Frauen, die Tee, Kaffee und Gebäck verkaufen oder den Zugang zur eigenen Toilette und zum Internet gewähren.

Ich wollte herausfinden, was täglich mehrere tausend Menschen antreibt, nicht nur eine höchst mühsame Prozedur an einem der diversen Checkpoints durchzustehen, sondern leider mitunter auch ihr Leben aufs Spiel setzen. Gott sei Dank gab es während meines Besuches von Jelenowka keine ernsthaften Zwischenfälle.

Das Knattern von Maschinengewehren registrieren die Menschen nach bald vier Jahren des Krieges genauso beiläufig wie das Zwitschern der Vögel, was aber die Gefahr als solche nicht geringer macht. Es kam in der Vergangenheit immer wieder zu ukrainischem Beschuss, dem Menschen zu Opfer gefallen sind. So auch erst am 21. Januar wieder, nur wenige Tage nach meinem Besuch. Solche Angriffe sind keine "verirrten Kugeln", wie es gerne heißt, sondern gezielte und barbarische Angriffe der ukrainischen Streitkräfte und deren Verbündeter gegen Zivilisten, die einfach nur in der Schlange auf ihren Grenzübertritt warten.

Ob und wie die in der Bevölkerung höchst unbeliebte Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) diesen Vorfall beschreiben wird, ist im Augenblick der Niederschrift dieses Artikels nicht bekannt. Bekannt ist allerdings die Reaktion der ukrainischen und ihnen nahe stehender Medien: "Pro-russische Söldner" und "russische Besatzungstruppen" hätten den Bus beschossen, während ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass "das ukrainische Militär die Minsker Vereinbarung strikt einhält".

Weshalb nehmen also so viele Menschen diese Strapazen auf sich? Es gibt die unterschiedlichsten Gründe dafür. Familien und Freunde werden auf beiden Seiten besucht. Medizinische Untersuchungen werden genannt, Medikamentenmangel aufgrund der Blockade oder teure Preise für manche Güter, insbesondere Haushaltsartikel. Aber der am häufigsten genannte Grund, und deshalb waren auch auffällig viele ältere Menschen am Checkpoint, ist die ukrainische Rente. Das ukrainische Gesetz (Resolution 365 vom 8.6.2016) verlangt, und zwar ausschließlich für Menschen mit Wohnsitz in einer der beiden selbstausgerufenen Volksrepubliken, dass man sich spätestens alle sechzig Tage am Checkpoint registrieren lassen und bei einer Filiale der Oschadbank in der Ukraine vorsprechen muss, um den Anspruch auf die Rente nicht zu verlieren.

Bürokratische Quälerei für Rentner

Ähnliches erleben aber auch Rentner auf der ukrainischen Seite, die vor dem Krieg geflohen sind und sich irgendwo an einem anderen Ort in der Ukraine niedergelassen haben. Von ihnen wird verlangt, dass sie sich alle sechs Monate in ihrem ehemaligen Wohnort einfinden, damit die staatlichen Inspektoren die Rentenbestätigung ausstellen können. Wann diese Inspektoren allerdings kommen, weiß niemand so genau. Und wohin die Rentner gehen sollen, wenn sie beispielsweise in einer Wohnung gelebt haben und diese mittlerweile von jemand anderem bewohnt ist, oder ihr Häuschen durch den Krieg beschädigt oder zerstört wurde, kümmert niemanden. Oft werden leerstehende Häuser auch durch Extremisten gesprengt, wenn diese wissen, dass die Besitzer russischsprachige Bürger der Ukraine sind.

Dass sich die Ukraine vor betrügerischen Rentenbezügen schützen möchte, ist nur allzu verständlich. Dass sich die Regierung aber ein Gesetz nur für Rentner mit Wohnsitz in den Volksrepubliken von Donezk und Lugansk ausdenkt, ist eine perfide Art und Weise, die Menschen daran zu erinnern, wie "gut" sie es doch eigentlich in der Ukraine hätten. Denn ukrainische Rentner irgendwo in der Türkei oder Thailand müssen sich nicht alle fünfzig Tage einer langwierigen Prozedur unterziehen, die schon für junge und gesunde Menschen alles andere als leicht ist.

Stellen Sie sich nur einmal vor, was das für die alten und kranken Frauen und Männer bedeutet: Zuerst der mehrstündige und nervenaufreibende Aufenthalt am Checkpoint. Auf der ukrainischen Seite angelangt, müssen sie zu einem eigens dafür vorgesehenen Fotografen gehen, um immer wieder ein aktuelles Foto zu haben, welches sie bei der Bank zusammen mit dem Reisepass vorlegen müssen. Dass es dann bei der Oschadbank nicht zügig vorangeht, kann man sich auch angesichts des Ansturms an der Grenze bildlich vorstellen.

Schweigen bei den üblichen Verdächtigen

Nun gibt es in einer Bank natürlich keine oder nicht genügend Möglichkeiten für die vielen älteren Menschen, sich hinzusetzen oder vielleicht hinzulegen, weil es auch dort mehrere Stunden dauert. Es gibt keine sanitären Anlagen in einer Bank, keine Möglichkeiten zur Verpflegung. Mit sichtbarem Schaudern erzählte mir ein Mann, wie er gesehen hat, dass die Familie eines alten Mannes diesem einen Schemel mit Klebeband ans Gesäß geklebt hatte, weil es sonst einfach keinen anderen Weg gab, wie ihr Vater und Großvater an sein dringend benötigtes Geld kommen konnte.

Über solche Dinge schweigen sich unsere Vorkämpferinnen für Demokratie und Menschenrechte wie eine Rebecca Harms oder Marieluise Beck fein säuberlich aus, während sie ansonsten zu den lautesten Schreiern gehören, wenn es um die Einhaltung von Menschenrechten, um die Ukraine oder militantes Russlandbashing geht. Wie erniedrigend diese Erfahrung in der Ukraine für unzählige alte und kranke Menschen ist, interessiert sie in ihrem ideologischen Grabenkampf nicht.

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