Europa

Deutsche Rüstungsindustrie kolonisiert Litauen

Rheinmetall plant den Bau von Munitionsfabriken in Litauen, wofür die litauische Führung zu Gesetzesänderungen griff. Im Hinblick auf die parallele Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen sprechen Experten von einer schleichenden deutschen Kolonialisierung des Landes.
Deutsche Rüstungsindustrie kolonisiert Litauen© Urheberrechtlich geschützt

Von Stanislaw Leschtschenko

Litauens Regierung meint, einen Weg gefunden zu haben, um die Wirtschaft des Landes wiederzubeleben: Dazu sollen möglichst viele westliche Waffenproduzenten ins Land gelockt werden. Zu diesem Zwecke nahm im April 2024 das litauische Parlament Gesetzesänderungen vor, die großen Waffenkonzernen erlauben, Fabriken auf litauischem Boden zu bauen. Unter anderem wurde ein Bau großer Objekte der Rüstungsindustrie auch ohne eine Erlaubnis der litauischen Munizipalitäten ermöglicht.

Die Änderungen waren speziell auf den deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall zugeschnitten, der den Bau einer Fabrik beim Städtchen Baisogala im Bezirk Radviliškis im Norden des Landes plant. Dabei handelt es sich nach Ansicht der Regierung in Vilnius um ein "Pilotprojekt", auf das weitere folgen sollen.

Die Fabrik zur Herstellung von Munition mit Baukosten von 260 bis 300 Millionen Euro soll auf einer Fläche von 340 Hektar errichtet werden. Sie soll voraussichtlich Zehntausende 155-Millimeter-Artilleriegranaten im Jahr produzieren. Der deutsche Konzern beabsichtige, dabei mindestens 150 neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Zusätzlich plant Rheinmetall, ein Zentrum zur Herstellung von Sprengladungen für Geschosse in Litauen zu errichten. Gitanas Nausėda, Litauens Präsident, behauptete dazu:

"Praktisch für jedes Geschoss sind mehrere solche Sprengladungsmodule erforderlich. Somit werden hier 75.000 Artilleriegeschosse im Kaliber 155 Millimeter und etwa eine halbe Million Sprengladungen produziert werden."

Rheinmetall-Chef Armin Papperger sagte seinerseits, dass dies mit über 400 Millionen Euro eine größere Investition sein werde als der begonnene Bau der Munitionsfabrik in Baisogala. Laut Papperger wird das neue Werk etwa 2.000 Tonnen Schießpulver pro Jahr produzieren.

Die Sprengladungsfabrik soll von Rheinmetall und einem litauischen Unternehmen gemeinsam verwaltet werden. Es ist das gleiche Modell wie beim Werk in Baisogala: 51 Prozent der Aktien werden dem deutschen Konzern, der Rest Litauern gehören. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Rheinmetall mit der Zeit eine dritte Fabrik in Litauen bauen wird.

Nausėda gab an, mit Papperger über Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Bereich der Drohnenproduktion gesprochen zu haben. Laut dem litauischen Präsidenten sei es besonders wichtig, dass die ganze entsprechende Produktionskette in Litauen existiert:

"Wenn wir Munition unabhängig von auswärtigen Lieferanten herstellen können, wird Litauens strategische Unabhängigkeit ein ganz anderes Niveau erreichen. Das streben wir an."

Nausėda zufolge beweist sich Deutschland als verlässlicher Partner, indem es sein Versprechen zur Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen erfüllt.

Doch nicht alle in Litauen sind über diesen Bau froh, vor allem unter Einwohnern von Orten, wo die Fabriken errichtet werden sollen. Ihr Unmut ist verständlich. Erstens ist die Nachbarschaft einer solchen Fabrik an sich eine unsichere Angelegenheit. Zweitens redet die staatliche Propaganda der litauischen Bevölkerung ein, dass "Russland und Weißrussland Litauen jederzeit angreifen" könnten. Im Fall von Kriegshandlungen wird eine Rüstungsfabrik in der Nähe der russischen und weißrussischen Grenzen zum allerersten Ziel für Bombardements und Raketenangriffe. In der Nähe einer solchen zu wohnen, bedeutet, ein gigantisches Pulverfass in der Nachbarschaft zu haben.

Der Politologe Maxim Rewa bestätigt in einem Gespräch mit der Zeitung Wsgljad:

"Im Fall von Kriegshandlungen wird dieses Werk sofort zerbombt, denn russische und weißrussische Grenzen verlaufen praktisch nebenan. Doch die Geschäftsleute von Rheinmetall können ihr Geld zählen und werden nicht in große Produktionsanlagen investieren, wo sie nach ihrer Meinung gefährdet werden. Mit anderen Worten, brauchen die Deutschen eine Präsenz in Litauen, doch an einen 'russischen Überfall', von dem die dortige Propaganda täglich posaunt, glauben sie nicht."

Litauens Führung gab von Anfang an zu verstehen, dass sie mögliche Proteste als "Moskaus Machenschaften" betrachten werde. Darüber hinaus wurde versucht, Baisogalas Einwohner durch Versprechen zu besänftigen, dass die Ankunft des deutschen Konzerns neue Arbeitsplätze schaffen werde.

Eine solche Herangehensweise ist durchaus berechtigt: Heute ist Baisogala einer der ärmsten Orte des Landes. Doch für den Fall der Fälle wurden die Einheimischen aus dem Verhandlungsprozess ausgeschlossen. Am 10. Juli 2024 wies die Regierung der Rheinmetall-Fabrik, die den Namen Lithuanian Center of Excellence for Ammunition erhielt, den Status eines "für nationale Sicherheit und Verteidigung relevanten Projekts" zu. Dies ermöglichte es, auf die Einhaltung von gesetzlich vorgesehenen Formalitäten wie etwa Verhandlungen mit den Einwohnern Baisogalas, ob sie eine Rüstungsproduktionsstätte in ihrer Nähe überhaupt wollen, zu verzichten.

Litauische Medien begannen eine Propagandakampagne, um der Bevölkerung weiszumachen, dass Baisogalas Bewohner zufrieden seien und die Anwesenheit des Rheinmetall-Werks nicht ablehnten. So schreibt das Portal Delfi.lt, dass die Einheimischen auf neue, gut bezahlte Arbeitsplätze und den Wiederaufbau der maroden Infrastruktur hoffen.

In angeblichen Äußerungen der Einheimischen heißt es, dass Menschen, die gegen den Bau protestieren, "sowjetisch geprägt" seien und sich andere für sie schämen. Die Rentner Vanda und Rimantas wiederholen einstimmig:

"Das ist zu unserem Besten, wir werden sicher sein, es werden Arbeitsplätze erscheinen. In Zokniai gibt es einen NATO-Flugplatz, wir hoffen auf Sicherheit in Baisogala."

Medien behauptet, wie das Städtchen jetzt schon schöner werde: Zur Ankunft der verehrten deutschen Herren werden Höfe geräumt und Alleen geschmückt. Dabei räumen die Journalisten ein, keine jungen Menschen in der Stadt gesehen zu haben: Alle seien ausgewandert.

Zu Sowjetzeiten näherte sich Baisogalas Bevölkerung der Marke von 3.000 Menschen, heute sind es fast zweimal weniger. Seit 1956 befindet sich im Städtchen ein Institut für Tierhaltung, das von den Sowjets gegründet wurde und über eine entwickelte Infrastruktur verfügte. Heute steht dieses Institut kurz vor dem Aus. Gerade auf seinem Gelände soll das Werk von Rheinmetall stehen.

Die Geschehnisse muten extrem zynisch an: der unabhängige litauische Staat trieb seine ländlichen Gebiete binnen 30 Jahren in den Ruin. Arbeitsplätze gibt es fast keine, die Menschen leben nicht, sondern existieren: alle, die noch über ausreichend Energie verfügen, verlassen Litauen.

Im Grunde gibt es ein vollwertiges Leben in Litauen nur in der Hauptstadt Vilnius und in einigen anderen großen Städten. Baisogalas ältere Bewohner Rimantas und Vanda berichten:

"Wir arbeiten halbtags, die Löhne sind niedrig. Arbeitsplätze gibt es nicht: Es gibt ein Krankenhaus, eine Feuerwehrstelle und ein Kulturzentrum."

Nun wird diesen Menschen, deren Heimat in den Ruin getrieben wurde, ein "Aufblühen" in Form einer deutschen Rüstungsfabrik aufgedrängt.

Doch offen gegen den Bau des Rheinmetall-Werks sprechen sich vor allem Rentner aus, die nichts zu verlieren haben. So macht sich eine Bewohnerin Baisogalas Sorgen, dass die Fabrik die Umwelt verschmutzen wird:

"Ich denke, es wird schlimmer. Das Wasser wird nicht so gut sein wie jetzt."

Ein Rentner namens Stasis erklärte, dass es ihm selbst zwar egal sei, sich aber viele seiner Bekannten vor möglichen Explosionen fürchten.

Rewa hält die Geschehnisse für eine böse Ironie des Schicksals:

"Die ständige Stationierung einer Bundeswehr-Brigade und der Bau von Rheinmetall-Werken in Litauen zeigt, dass Deutsche dieses Land für das Objekt einer sanften Kolonisierung halten: Sie machen es allmählich zum eigenen Protektorat. Indessen war das Großfürstentum Litauen, auf das die heutige Republik Litauen ihre Abstammung so gerne zurückführt, gerade dadurch berühmt, dass es ihm in Gegensatz zum heutigen Lettland und Estland gelungen ist, den Ansturm des Deutschen Ordens aufzuhalten. Die mittelalterlichen litauischen Fürsten Mindaugas, Gediminas, Jogaila, Kęstutis und Vytautas würden sich wohl im Grabe umdrehen, wenn sie sähen, wie die heutige Regierung in Vilnius ihr Land an die Deutschen aufgibt."

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 7. November bei der Zeitung Wsgljad.

Mehr zum Thema Rheinmetall Chef: "Wir entwickeln uns zu einem globalen Verteidigungsunternehmen"

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.