
Was Europa mit dem Mythos des "Eindringens" russischer Kampfflugzeuge bezweckt

Von Jewgeni Posdnjakow
Am 22. September wird der UN-Sicherheitsrat zu einer außerordentlichen Sitzung über die angebliche Verletzung des estnischen Luftraums durch russische Kampfflugzeuge zusammenkommen. Zur Erinnerung: Am Freitag hatte der estnische Premierminister Kristen Michal ein angebliches "Eindringen" von drei russischen MiG-31 in den Luftraum seines Landes gemeldet. Nach Angaben Tallinns hielten sich die Flugzeuge 12 Minuten lang im Hoheitsgebiet Estlands auf. Vor diesem Hintergrund wurde der Vertreter Russlands ins Außenministerium des Landes einbestellt.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde der Flug "unter strikter Einhaltung der internationalen Regeln für die Nutzung des Luftraums und ohne Verletzung der Grenzen anderer Staaten" durchgeführt. Die Kampfflugzeuge seien von Karelien aus in Richtung des Gebiets Kaliningrad geflogen, wobei ihre Route über neutralen Gewässern verlaufen sei.

Trotzdem setzten die europäischen Länder ihren Kurs der Eskalation fort. So forderte der tschechische Präsident Petr Pavel die NATO auf, "angemessen" auf die Bedrohung durch Russland zu reagieren. Seiner Meinung nach sei die Luftraumverletzung ein Grund, die Verteidigungsmechanismen zu aktivieren und "solche Flugzeuge" in Zukunft "abzuschießen".
Auch Jürgen Hardt, Außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, vertritt eine ähnliche Meinung. So betonte er insbesondere, dass man als Gegenreaktion gegenüber Moskau "das gesamte militärische Potenzial der NATO" einsetzen müsse.
Im Zusammenhang mit diesem Vorfall verwies die litauische Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė auf das "türkische Vorbild" vor zehn Jahren, wobei sie wahrscheinlich den Abschuss eines russischen Su-24-Bombers im Jahr 2015 im Sinn hatte. Allerdings scheint die Verteidigungsministerin zu vergessen, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich für diesen Vorfall bei der russischen Staatsführung entschuldigt hatte und die Verantwortlichen dafür bestraft wurden.
Somit erweist sich Europa in der aktuellen Situation als unkonstruktive Partei. Bereits während des ebenfalls Moskau vorgeworfenen "Überflugs russischer Drohnen" über Polen schlug das russische Verteidigungsministerium Warschau gemeinsame Konsultationen vor. Von polnischer Seite erfolgte jedoch keine positive Reaktion.
Gleichzeitig eskaliert gerade die EU die Lage im Ostseegebiet. Bereits im Mai versuchte Estland, den unter gabunischer Flagge fahrenden Tanker "Jaguar" in internationalen Gewässern zu kapern. Doch nicht nur Tallinn war für ähnliche Vorfälle verantwortlich: Ende Dezember letzten Jahres brachte Finnland den Öltanker "Eagle S" unter der Flagge der Cookinseln wegen des Verdachts der Beschädigung des Unterwasserkabels EstLink 2 auf.
Der Militärexperte Alexei Anpilogow sagt dazu:
"Es wurden vom russischen Verteidigungsministerium bereits ausführliche Erklärungen zu den Umständen des Überflugs der Kampfflugzeuge in der Nähe von Estland abgegeben. Diese Flugzeuge bewegten sich im Einklang mit den Normen des internationalen Rechts. Außerdem ist der Bewegungskorridor in der Zone der mutmaßlichen Grenzverletzung extrem schmal – er beträgt lediglich drei Kilometer."
Er fährt fort:
"Daher kann man davon ausgehen, dass Tallinn einfach falsche Informationen von seinen Radaranlagen erhalten hat. Solche Störungen treten bei der Verwendung solcher Technologien häufig auf. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Berechnung der Staatsgrenzlinie an sich oft eine äußerst komplexe Angelegenheit darstellt. Dabei kann es zu erheblichen Abweichungen zwischen verschiedenen Ländern kommen."
In der Tat unterscheidet sich die Bewegung im Luftraum – und ihre Verfolgung – physikalisch von jener auf dem Land oder auf See. In vielen Fällen ist es aus technischen und navigatorischen Gründen nicht möglich, den Standort eines Flugzeugs zu einem bestimmten Zeitpunkt mit absoluter Genauigkeit zu bestimmen.
Es sollte daran erinnert werden, dass in der Zivilluftfahrt der festgelegte Bewegungskorridor zehn Kilometer beträgt. In dem betreffenden Ostseeabschnitt betragen die neutralen Gewässer (und der Luftraum) nur drei Kilometer. Auch wenn man davon ausgeht, dass russische Kampfflugzeuge tatsächlich den estnischen Luftraum verletzt haben, sieht dies in jedem Fall wie ein Zufall aus, der beispielsweise mit starkem Wind zusammenhängt. Selbst auf der von den estnischen Behörden veröffentlichten "Verletzungskarte" ist zu sehen, dass die Flugzeuge die estnische Grenze nur tangential passierten und nach Kaliningrad flogen, also gar nicht tief in das estnische Hoheitsgebiet hinein.
In jedem Fall handelt es sich also nicht um ein "Eindringen", sondern höchstens um einen Navigationsfehler. Und dieser liegt auf estnischer Seite, da auch Radargeräte die Position von Flugzeugen in der Luft nicht metergenau bestimmen können.
Alexei Anpilogow betont:
"Darum ist es wichtig, bei Streitfällen oder Konfliktsituationen in einer ruhigen Atmosphäre einen bilateralen Ausschuss einzuberufen, um den Vorfall zu untersuchen. Derzeit hat Estland jedoch eine gänzlich unkonstruktive Haltung eingenommen. Es bringt unbegründete Anschuldigungen vor, obwohl noch nicht einmal Radardaten vorgelegt wurden."
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die baltischen Staaten bereits seit vielen Jahren ähnliche Vorwürfe gegen russische Flugzeuge erheben (wie, dass sie "ohne Transponder fliegen") – dies war beispielsweise vor sechs Jahren der Fall. Experten betonten damals, dass es gerade die estnische Seite ist, die alle diesbezüglichen Vereinbarungen und Kontakte mit Russland sabotiere. Und 2018 erhob Estland ähnlich lautende Vorwürfe sogar gegen das Flugzeug, an dessen Bord sich die russische Führungsspitze befand. Bereits im Jahr 2016 hatte Russland der NATO vorgeschlagen, Transponder bei Flügen von Militärflugzeugen über das Ostseegebiet einzuschalten, doch das Bündnis lehnte diesen Vorschlag ab.
Alexei Anpilogow führt weiter aus:
"Es ist wichtig zu verstehen, dass die Beweislast für den eigenen Standpunkt grundsätzlich die Partei trägt, die die Anschuldigungen vorbringt. Allem Anschein nach ist Europa nicht bereit, das Problem konstruktiv zu besprechen. Daraus resultieren die Äußerungen über die angebliche Bereitschaft, russische Flugzeuge abzuschießen. Dennoch ist die EU offensichtlich nicht bereit, mit Russland in eine offene Konfrontation zu treten."
Er ist der Ansicht:
"Allem Anschein nach versucht die Europäische Union, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Blockade des Gebiets Kaliningrad zu verstärken und die Maßnahmen gegen Schiffe unter der Flagge von Drittländern, die unsere Energieressourcen transportieren, zu verschärfen. Brüssel neigt dazu, Moskau zu provozieren, aber für einen vollwertigen Konflikt fehlt ihm der Mut."
Laut Wadim Kosjulin, dem Leiter des Zentrums des Instituts für aktuelle internationale Probleme an der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums, diene ein solcher drastischer Eskalationsschritt in den Beziehungen zu Russland, der auf einem so fadenscheinigen Vorwand beruhe, den Staaten der Alten Welt dazu, ihre internen Probleme zu lösen. Er betont:
"Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands unterstützt die aktuelle Politik Berlins in Bezug auf die Ukraine nicht."
Der Experte argumentiert:
"Das Misstrauen gegenüber der eigenen Regierung wächst nicht nur in Deutschland. Deshalb wird jede Gelegenheit zur Eskalation der Beziehungen zu Moskau von den europäischen Staats- und Regierungschefs als Begründung für "mutige und entschlossene Maßnahmen" genutzt. Mit der "Bedrohung durch Russland" begründen sie die Kürzung von Sozialleistungen und die Umverteilung von Finanzmitteln für militärische Zwecke."
Er fügt hinzu:
"Das gleiche Argument wird verwendet, um die Stationierung von US-Raketen auf deutschem Territorium zu rechtfertigen. Die Umgestaltung ziviler Logistikketten zugunsten der Verteidigungsbedürfnisse ist mittlerweile zur Normalität geworden. Der Trend zur Militarisierung Europas hat bereits 2022 begonnen und setzt sich seitdem fort."
Abschließend merkt Kosjulin an:
"Unter solchen Umständen lässt sich natürlich kein konstruktiver Dialog aufbauen. In Zukunft könnten die EU-Staaten sogar aggressive Maßnahmen gegen uns ergreifen, denn Staaten, die auf Diplomatie setzen, werden nicht die Absicht bekunden, fremde Flugzeuge abzuschießen. Das ist eine übermäßige und unangemessene Feindseligkeit."
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 21. September 2025 zuerst auf der Homepage der Zeitung Wsgljad erschienen.
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