
Paris: Die "Fabrik der Diplomatie" rotiert im Kreis

Von Pierre Levy
Am 5. und 6. September fand ein großes Kolloquium statt, das vom französischen Außenministerium organisiert wurde, eine Initiative, die von der Universität Sorbonne Nouvelle unterstützt und auf einem ihr zugehörigen Campus veranstaltet wurde. Das Publikum strömte zahlreich zu den verschiedenen Foren, Gesprächen am Runden Tisch und Seminaren. Hunderte von Teilnehmern waren anwesend, darunter viele junge Menschen, die sich für eine diplomatische Laufbahn interessieren.
Das Ministerium hatte keine Mühen gescheut, um zukünftige Berufseinsteiger anzulocken. Unter dem Oberbegriff "La Fabrique de la Diplomatie" (Die Fabrik der Diplomatie) fanden dutzende Debatten vor ausverkauftem Haus statt. Insbesondere diejenigen, an denen medienwirksame Persönlichkeiten wie der ehemalige Premierminister Dominique de Villepin (2005–2007), der auch an der Spitze des Quai d'Orsay (2002–2004) stand, oder Gérard Araud, ehemaliger Botschafter Frankreichs in Israel, bei der UNO und dann in den Vereinigten Staaten, teilnahmen.

Die Überschriften der Debatten waren so gewählt, dass sie Neugier weckten. Dazu gehörten: "Der globale Süden auf der Suche nach einer neuen internationalen Ordnung"; "Naher Osten: Wie findet man zurück zu den Verhandlungen?"; "Wirtschaftsdiplomatie zwischen den Vereinigten Staaten und China: Welchen Platz nimmt Europa ein?"; "Die französische G7-Präsidentschaft 2026 angesichts der großen globalen Ungleichgewichte"; "Die NATO: ein Bündnis unter vielen?" …
Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass die meisten Diskussionen zwischen den Teilnehmern der verschiedenen Podiumsdiskussionen von der vorherrschenden Ideologie geprägt waren. Die "notwendige" europäische Integration gehörte natürlich zu den heiligen Dogmen. Es überrascht nicht, dass sich in vielen Debatten auch Russophobie manifestierte. Am häufigsten kam dies in der kategorischen Behauptung sinngemäß zum Ausdruck, dass "Putin seine imperialistischen Kriege niemals beenden wird, wenn wir ihm nicht Einhalt gebieten."
Ein Redner wies auf die Gefahr hin, dass die französische Bevölkerung nicht bereit sein könnte, sich an einem Krieg gegen Moskau zu beteiligen, sollte Russland Litauen angreifen, und erntete begeisterten Applaus für seine Forderung, diese Feigheit zu bekämpfen … Ein Zeichen dafür, dass die zukünftigen Eliten, aus denen sich das Publikum zusammensetzte, wenig repräsentativ für die Stimmung in der Bevölkerung sind.
Vor diesem Hintergrund stachen die etwas unorthodoxen Äußerungen einiger Persönlichkeiten aus der allgemeinen Stimmung heraus und verdienen daher Beachtung. Dies war insbesondere im Forum mit der Überschrift "Welche europäische Sicherheitsarchitektur?" der Fall. Der erste Redner war Hubert Védrine. Der ehemalige Außenminister (1997–2002) gehört zur Schule der "Realisten" (im Gegensatz zu den kompromisslosen Ideologen) und pflegt eine Sprache, die er nicht dem aktuellen offiziellen Denken unterwerfen will, auch wenn er ein Befürworter des Atlantischen Bündnisses bleibt und die Russen verteufelt.
Er nutzte die Gelegenheit, um seine abweichende Meinung zu äußern, indem er energisch bestritt, dass sich aktuell eine "europäische Säule" der NATO im Aufbau befinde. "Vergessen Sie die offizielle Kommunikation und Propaganda, denn die 'europäische Verteidigung' ist ein Konzept, das von den meisten Ländern des Bündnisses, die alle in erster Linie vom Schutz durch Uncle Sam träumen, in der Praxis abgelehnt wird", betonte Védrine im Wesentlichen. Seiner Meinung nach stehe Frankreich mit der von Emmanuel Macron gepriesenen "europäischen Souveränität" allein da (wie der jüngste Gipfel in Den Haag gezeigt hat). Die meisten Bündnispartner kauften weiterhin überwiegend amerikanische Waffen und Ausrüstung, betonte der ehemalige Chef des Quai d'Orsay.
Pierre Vimont äußerte sich noch heterodoxer. Dabei ist der Diplomat keineswegs ein "Euroskeptiker": Er war Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, nachdem er zuvor ständiger Vertreter Frankreichs bei der EU gewesen war – Vimont ist also ein hervorragender Kenner der Brüsseler Angelegenheiten. Darüber hinaus war er Kabinettschef mehrerer Außenminister und anschließend französischer Botschafter in den Vereinigten Staaten.
Er verkörpert das Bild des traditionellen Diplomaten der "alten Schule", der Analyse, Vorsicht und Nuancen schätzt. Umso interessanter waren folglich seine Äußerungen. Insbesondere als er – mit Bedauern – auf die große Schwierigkeit hinwies, innerhalb der 27 Mitgliedstaaten Überlegungen zu einer Sicherheitsarchitektur in Europa anzustellen. Diesem erfahrenen Fachmann zufolge seien die meisten Mitgliedstaaten von Natur aus abgeneigt, diplomatische Verhandlungen mit Moskau zu führen.
Für einige von ihnen sei "das zu emotional": Sie lehnten es sogar ab, eine Diskussion zu führen, wenn ein russischer Vertreter anwesend sei. Die Folge: Seit der Erweiterung im Jahr 2004 mache die EU keine "Russlandpolitik" mehr. Um seine Aussage zu veranschaulichen, erinnerte der Diplomat daran, dass die deutsche Bundeskanzlerin 2021 ein Gipfeltreffen mit Moskau vorgeschlagen hatte. Dies löste einen regelrechten Aufschrei aus, insbesondere bei den Regierungschefs der meisten osteuropäischen Länder, und die Idee wurde verworfen.
Es sei daher nicht möglich, so beklagte der Redner, auch nur strategische Überlegungen in diesem Bereich anzustellen. Die EU sei nicht in der Lage, eine langfristige Vision für ihre Beziehungen zu Russland zu entwickeln. Ein weiterer Hinweis: Bei den Kontakten zwischen Russen und Westlern neigten die Geheimdienste beider Seiten dazu, die Diplomaten zu ersetzen. All dies stelle eine "dramatische" Situation dar, bedauerte er.
Herr Vimont betonte, dass es notwendiger denn je sei, sich Gedanken über die künftigen Beziehungen zu Moskau zu machen. Dies könne nicht Aufgabe des Militärs sein, sondern vielmehr der Diplomaten, deren Aufgabe es vor allem sei, ihre Gesprächspartner zu verstehen. Was Russland betreffe, so müsse man sich daher mit den "tiefgreifenden Ursachen" des aktuellen Krieges aus der Sicht Moskaus befassen, insbesondere im Hinblick auf die eigenen Sicherheitsgarantien.
Andernfalls werde die Situation seiner Meinung nach zu einem riskanten militärischen Engagement, zu chronischer strategischer Instabilität, aber auch zu einer Gefahr des Zerfalls der "europäischen Einheit" führen (eine Anspielung auf bestimmte Länder – Ungarn, Slowakei … –, die eine Annäherung an Moskau anstreben).
Für den Diplomaten müsste der Status und die Art und Weise der Behandlung der Länder einer zwischen der EU und Russland gelegenen "Grauzone" definiert werden – einer Zone, zu der beispielsweise Georgien, Moldawien und natürlich die Ukraine gehören. Bedeute dies eine Rückkehr zu den Abkommen von Helsinki (1975) mit der UdSSR? Nein, meint Pierre Vimont: Vielmehr sollte man ein neues Gleichgewicht zwischen den Mächten finden, ein Gleichgewicht und einen Kompromiss, die an einige Merkmale der Geopolitik des 19. Jahrhunderts erinnern würden.
Hubert Védrine schien dieser Meinung zuzustimmen: Er erinnerte an die "verpasste historische Chance" nach dem Untergang der UdSSR, als amerikanische Geopolitologen der realistischen Schule (Henry Kissinger, John Mearsheimer usw.) einen Kompromiss mit Moskau befürwortet hatten. Letztendlich wies Präsident Clinton diese Vorschläge zurück, da er der Ansicht war, dass der Westen den Kalten Krieg gewonnen habe und es daher seine Aufgabe sei, einseitig seine Vorherrschaft durchzusetzen.
Nach zwei Tagen Kolloquium blieb das euro-atlantische Denken weiterhin extrem dominant. Die wenigen realistischen Stimmen fielen da umso mehr auf. Aber ihre geringe Zahl lässt vermuten, dass die Europäische Union mehr denn je in einer Sackgasse steckt.
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