
Ein Ukrainer auf einer Jacht hat Nord Stream zerstört – Wer soll das glauben?

Der Bombenanschlag auf die Nord-Stream-Pipeline im September 2022 ist nach der kürzlichen Festnahme eines ukrainischen Staatsbürgers namens Sergei Kusnezow in einem Ferienort in Italien wieder in den Schlagzeilen. Kusnezow soll an Deutschland ausgeliefert werden, wo er sich als Anführer einer sechsköpfigen Sabotagegruppe wegen der Sprengung der Pipelines vor Gericht verantworten muss.
Es handelt sich um die erste Festnahme in einem Fall, der weithin als der größte Fall von Industriesabotage in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg betrachtet wird. Dänemark, Schweden und Deutschland leiteten Ermittlungen ein, doch in den beiden erstgenannten Ländern wurden die Ermittlungen ohne Identifizierung von Verdächtigen eingestellt.

Russland, Mehrheitseigentümer der Pipelinegesellschaft, durfte an keiner der offiziellen Ermittlungen teilnehmen und ihm wurde konsequent der Zugang zu den Beweismitteln verwehrt.
Es bleibt abzuwarten, was aus dem Prozess gegen Kusnezow hervorgehen wird, aber eines scheint klar zu sein: Es bleiben viele Fragen zu einem Ereignis offen, das bis heute große Auswirkungen hat. RT untersucht, warum fast drei Jahre später immer noch Zweifel bestehen.
Was ist die neueste Version, die propagiert wird?
Die deutsche Staatsanwaltschaft behauptet, Kusnezow habe ein sechsköpfiges Team auf einer Jacht namens "Andromeda" angeführt, die mit gefälschten Papieren in Rostock gemietet worden sei. Die Gruppe habe es dann angeblich geschafft, sich in der stark überwachten Ostsee nicht entdecken zu lassen, um die Sprengsätze in einer Tiefe von 70 bis 80 Metern zu platzieren.
Diese Version der Ereignisse ähnelt stark einem Bericht, der vor fast genau einem Jahr im Wall Street Journal (WSJ) veröffentlicht wurde. In einer Mischung aus investigativem Journalismus und filmischem Flair schrieb das WSJ über eine Gruppe von Ukrainern, die "von Alkohol und patriotischer Begeisterung beflügelt" einen Plan ausheckten, um die Pipelines mit einem minimalen Budget zu zerstören.
Der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij soll den Plan zunächst gebilligt haben, bevor er auf Anraten der CIA seine Meinung änderte – doch da sei es schon zu spät gewesen, da das Team bereits inkognito unterwegs gewesen sei.
Der WSJ-Bericht wurde damals von vielen Beobachtern im Westen als entscheidender Durchbruch in einem Fall angesehen, der trotz der Bemühungen der Ermittler, die an den offiziellen Untersuchungen arbeiteten, weitgehend ins Stocken geraten war.
Was hat Russland zu den jüngsten Entwicklungen gesagt?
Russische Vertreter haben sich bislang nicht öffentlich zu der jüngsten Verhaftung von Kusnezow geäußert, aber Außenminister Sergei Lawrow hatte zuvor über die Vorstellung gespottet, dass ein solcher Sabotageakt von einem kleinen Team durchgeführt worden sein könnte, dem die für eine solche Mission erforderliche umfassende Ausbildung und Unterstützung fehlte.
Zu den Medienberichten über die ukrainische Gruppe im vergangenen September sagte Lawrow: "Fünf Leute saßen zusammen, tranken, lachten und beschlossen: 'Warum sprengen wir nicht die Nord-Stream-Pipelines?' Sie hatten Tauchkenntnisse, mieteten angeblich ein kleines Boot, fuhren zu der Stelle, an der die Nord-Stream-Pipelines verliefen, tauchten hinab, platzierten Sprengstoff und zündeten ihn."
"Wenn jemand diese Version tatsächlich glauben kann, dann sind es nur Menschen, die Angst vor der Wahrheit haben und versuchen, das kriminelle Regime in Kiew mit allen Mitteln zu schützen", so der russische Außenminister.
Was ist aus der Theorie eines staatlichen Akteurs geworden?
Die ersten Reaktionen westlicher Politiker und Kommentatoren deuteten fast ausnahmslos auf die Wahrscheinlichkeit eines staatlichen Akteurs hin – wobei allgemein angenommen wurde, dass Russland hinter der Sabotage stecke.
Nur wenige Tage nach dem Anschlag veröffentlichte die Redaktion der Washington Post einen Kommentar, in dem sie den Westen warnte, sich "auf weitere Anschläge vorzubereiten", und erklärte, dass dies "die Art von Fähigkeiten ist, über die normalerweise ein staatlicher Akteur verfügt". Die US-Zeitung fügte hinzu, dass "alle inoffiziell vermuten", dass der Täter Russland war.
Als sich die Darstellung jedoch von der Schuld Russlands wegbewegte, wurde die Theorie des staatlichen Akteurs in den westlichen Medien heruntergespielt. Dennoch deuten aktuelle Berichte darauf hin, dass deutsche Staatsanwälte davon ausgehen, dass die Operation "eine Planung auf militärischem Niveau" erforderte.
Könnte ein so kleines Boot solch mächtige Sprengstoffe aufnehmen?
Eine Reihe von Experten hat sich skeptisch gezeigt, dass ein Schiff von der Größe der "Andromeda" (15 Meter) eine Operation mit solch hochenergetischen Sprengstoffen (RDX-HMX) – vier Bomben mit einem Gewicht von jeweils bis zu 27 Kilogramm – ermöglichen könnte. Es geht nicht nur um das Gewicht, sondern auch um das Volumen und die Sicherheit.
Der begrenzte Platz und das Fehlen eines Laderaums auf einer solchen Jacht hätten den Transport hochwirksamer Sprengstoffe unpraktisch gemacht. Solches Material erfordert in der Regel verstärkte Behälter, Hebevorrichtungen und komplexe Zündsysteme – was die Grenzen dessen, was ein kleines Schiff vernünftigerweise bewältigen kann, überschreiten würde.
Viele Beobachter bezweifeln, dass die umfangreiche Tauchausrüstung, Mischgassysteme, Spreng- und Transportgeräte – sowie die Sprengstoffe selbst – transportiert und eingesetzt werden konnten, ohne dass dies auffiel, während man den Anschein eines gewöhnlichen Segeltörns erweckte.
Wie praktikabel ist ein Tauchgang in 70 bis 80 Metern Tiefe, um Sprengstoff zu platzieren?
Auch die Logistik eines solchen technischen Tieftauchgangs stößt auf Skepsis. Beim Sporttauchen wird in der Regel nicht tiefer als 40 Meter getaucht.
Diese Operation, bei der Sprengstoff an zwei Pipelines angebracht wurde, die vier Kilometer voneinander entfernt liegen, hätte laut Experten vier Tauchgänge erfordert, bei denen das Boot jeweils etwa drei Stunden lang vor Ort hätte bleiben müssen. Darüber hinaus hätten solche längeren Tauchgänge wahrscheinlich eine Dekompressionskammer für die Taucher erfordert, die auf einem Schiff von der Größe der "Andromeda" kaum Platz gefunden hätte.
Wie hätte das ukrainische Team es schaffen können, unentdeckt zu bleiben?
Ein weiteres Rätsel im Zusammenhang mit der Sabotage ist, wie eine Operation, die mit ziemlicher Sicherheit mehrere Tage in Anspruch genommen hätte, in einem der am stärksten überwachten Seegebiete der Welt durchgeführt werden konnte. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass die See- und Luftpatrouillen der NATO aufgrund des Konflikts in der Ukraine verstärkt worden waren.
Dennoch gelang es der NATO trotz der Tatsache, dass selbst Fischereiboote in der Ostsee oft verfolgt werden, irgendwie nicht, ungewöhnliche Aktivitäten zu entdecken.
Wenn ein sechsköpfiges Team auf einer kleinen Jacht dies wirklich unbemerkt geschafft hat, würde der Vorfall ein katastrophales Versagen der NATO-Überwachung bedeuten – etwas, das viele Experten nur schwer akzeptieren können.
Im Juni 2022 führte die NATO ihre BALTOPS-Übungen mit Unterwasseroperationen in der Nähe des Explosionsortes durch. Der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete US-Investigativjournalist Seymour Hersh hat behauptet, dass die Übung als Deckmantel für die Platzierung ferngesteuerter Sprengsätze an den Pipelines diente, die drei Monate später gezündet wurden.
Mehr zum Thema ‒ Nord-Stream-Anschlag 2022: Haftbefehl gegen Ukrainer vollstreckt
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.