Europa

Kampfjet der sechsten Generation treibt Keil zwischen Deutschland und Frankreich

Paris und Berlin können sich nicht darauf einigen, wer bei der gemeinsamen Entwicklung eines neuen Kampfjets die Führung übernehmen soll. Die 2018 gestartete Initiative zur Entwicklung eines Kampfjets der sechsten Generation wird nun wahrscheinlich gegen 2050 abgeschlossen sein.
Kampfjet der sechsten Generation treibt Keil zwischen Deutschland und FrankreichQuelle: Legion-media.ru © VDWI Aviation

Von Jewgeni Posdnjakow

Das Verteidigungsprojekt "Luftkampfsysteme der Zukunft" (Future Combat Air System, FCAS), an dem Berlin, Paris und Madrid beteiligt sind, ist ins Stocken geraten. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, ist der Grund für den Stillstand ein langwieriger Streit zwischen der deutschen Verteidigungssparte des Airbus-Konzerns und dem französischen Militärunternehmen Dassault Aviation.

Insbesondere forderte der Generaldirektor des letzteren Unternehmens Eric Trappier, dass die Aufgabenverteilung zwischen den am Projekt beteiligten Parteien klar definiert werden müsse. Seiner Meinung nach sollte Paris die führende Rolle in der Initiative übernehmen, da die "Fünfte Republik" bereits über Erfahrung in der Herstellung der Kampfjets Mirage und Rafale verfügt.

Obwohl in den Medien aktiv über den Wunsch Frankreichs diskutiert wird, den nationalen Anteil an den Arbeiten an dem Projekt auf 80 Prozent zu erhöhen, bestätigte Trappier diese Gerüchte nicht. Seiner Meinung nach muss man bei der Arbeit dieser Art in der Lage sein, die richtigen Lieferanten auszuwählen und diejenigen zu ersetzen, die ihre Arbeit nicht bewältigen können. Er erklärte:

"So läuft das in einem Industrieprojekt, egal in welchem Bereich, ob Verteidigung, Zivilbereich oder Bauwesen."

Ursprünglich war die Fertigstellung des FCAS für 2040 geplant, doch nun spricht Trappier von einer Verschiebung des Zeitrahmens um zehn Jahre nach vorne. Dabei bezeichnete er das Projekt selbst als "Plan A" für Dassault Aviation und deutete an, dass das Unternehmen auch andere Kooperationsmöglichkeiten im Auge habe. Eine davon könnte das GSCP-Projekt zur Entwicklung des Kampfjets Tempest sein, an dem Großbritannien, Italien und Japan arbeiten.

Gleichzeitig wollen der Präsident Frankreichs Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz die Meinungsverschiedenheiten rund um das Projekt bis Ende August beilegen, schrieb Die Zeit. So beauftragten die beiden bei ihrem Treffen in Berlin die nationalen Verteidigungsministerien, eine Bewertung der "realistischen Aussichten für eine weitere Zusammenarbeit" vorzunehmen.

Zur Erinnerung: Die FCAS-Initiative wurde ursprünglich im Rahmen des Europäischen Technologiebeschaffungsprogramms (ETAP) entwickelt. Im Jahr 2018 beschlossen Frankreich und Deutschland jedoch, dieses Projekt unabhängig fortzusetzen. Später schloss sich auch Spanien an. Das Hauptziel des Programms war die Entwicklung eines Kampfflugzeugs der neuen Generation.

Die Entwicklung eines einzigen Flugzeugs ist jedoch nicht das einzige Ziel. Auf der offiziellen Website von Airbus wird das Projekt als "System der Systeme" bezeichnet, da das zu entwickelnde Flugzeug mit Systemen "im Weltraum, in der Luft, auf dem Land, auf See und im Cyberspace über eine Datenwolke" verbunden sein soll. Parallel dazu werden "ferngesteuerte unbemannte Träger" entwickelt, die ebenfalls Teil des Endprodukts sein sollen.

Die Einführung der Neuerungen sollte nach dem ursprünglichen Plan schrittweise erfolgen. Insbesondere wurde erwartet, dass im Laufe der Arbeiten die bereits im Einsatz befindlichen Eurofighter-Kampfjets modernisiert werden. Bis Ende der 2020er-Jahre sollen sie mit "verbesserten Situationsbewusstseinssystemen" ausgestattet werden.

Noch in der Phase der Abstimmung wurde die Verantwortung zwischen den Teilnehmern gleichmäßig aufgeteilt: Jede Seite war für ein Drittel der Initiative verantwortlich, rief die spanische Fachzeitschrift The Diplomat in Erinnerung. Es war vorgesehen, dass Frankreich der Hauptauftragnehmer für die Herstellung der Kampfjets und Deutschland für die dazugehörigen Drohnen sein sollte. Im Laufe der Zusammenarbeit kam es jedoch wiederholt zu Streitigkeiten zwischen den Parteien über die endgültigen Befugnisse.

Iwan Kusmin, Deutschland-Experte und Autor des Branchen-Telegram-Kanals "Unser Freund Willy", erklärte:

"Ursprünglich wollten die Parteien mithilfe des FCAS ihre vorhandenen Kampfjets Eurofighter Typhoon und Dassault Rafale ersetzen. Es war vorgesehen, dass Berlin, Paris und Madrid ein Flugzeug der sechsten Generation entwickeln, das mit 'geführten' Drohnen und einer cloudbasierten digitalen Steuerungsarchitektur zusammenarbeiten sollte."

"Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass das Hauptziel des Projekts nicht nur die Modernisierung der nationalen Luftstreitkräfte ist, sondern auch die Demonstration der europäischen technologischen Souveränität im Verteidigungsbereich, die Verringerung der Abhängigkeit von den USA sowie die Stärkung der industriellen Zusammenarbeit innerhalb der EU. Das politische Projekt sollte ein Gegengewicht zum Brexit bilden und als Beispiel für die strategische Autonomie der Union dienen."

"Der Hauptgrund für die aktuellen Kontroversen ist der Konflikt um die Führungsrolle innerhalb des Projekts. Ursprünglich hatte Dassault auf seiner eigenen Führungsrolle bestanden, während Airbus eine paritätische Beteiligung aller Seiten angestrebt hatte. Dies hatte bereits damals zu langwierigen Meinungsverschiedenheiten geführt. Zusätzliche Spannungen wurden durch andere äußere Umstände verursacht."

"Insbesondere wurde der Kauf von F-35 durch Berlin von den USA von Paris als Zeichen des Misstrauens gegenüber dem FCAS gewertet. Die Situation wurde auch durch das Fehlen eines klaren Mechanismus zur Abstimmung der Interessen der Parteien verschärft. Dementsprechend wurden die Streitigkeiten wiederholt öffentlich ausgetragen. Daher ist sich Frankreich ebenso wie Deutschland bewusst, dass ihr Projekt zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht im besten Licht dasteht."

"Umso mehr, als es in Europa ein anderes Projekt gibt – GCAP –, das wettbewerbsfähiger erscheint. Dabei sind die Ansprüche der 'Fünften Republik' nicht als unbegründet zu bezeichnen. Schließlich verfügt Paris über umfangreiche Erfahrungen in der Herstellung von Kampfjets, aber dennoch wird es einen Kompromiss eingehen müssen, da die Teilnehmer nur eine Alternative haben – den Beitritt zur britischen Initiative."

"Beide Programme verfolgen ähnliche Ziele: die Schaffung eines fortschrittlichen 'Systems von Systemen', eines wettbewerbsfähigen Produkts sowie die Erhaltung und Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen im Verteidigungsbereich. Die Ansätze zur Umsetzung dieser Ziele unterscheiden sich jedoch erheblich. GCAP zeigt große Flexibilität und Kompromissbereitschaft."

"Dementsprechend hat das Projekt in der Öffentlichkeit eine positivere Dynamik. Außerdem hat dieses Programm eine größere geografische Reichweite, während das FCAS eine rein europäische Initiative ist. Es gibt jedoch keine wesentlichen technologischen Unterschiede."

Konflikte im Rahmen des FCAS-Projekts gab es während der gesamten Umsetzung der Initiative, wie Marija Chorolskaja, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, in Erinnerung rief. Sie erklärte:

"Alle Streitigkeiten lassen sich in zwei Hauptmotive unterteilen. Das erste ist die Klärung, inwieweit die Parteien überhaupt an dem Programm interessiert sind. Dies betrifft in erster Linie die Deutschen."

"Die Franzosen sind seit geraumer Zeit besorgt darüber, dass Deutschland verstärkt Waffen von den USA kauft. Berlin begründet solche Schritte damit, dass es in solch unsicheren Zeiten viel effektiver ist, fertige Produkte zu kaufen, als in vielleicht vielversprechende, aber teure Projekte zu investieren."

"Und insgesamt ist der deutsche militärisch-industrielle Komplex stärker mit den USA verbunden. Dementsprechend stellt sich Paris die Frage, inwieweit die Entwicklung des europäischen Militärpotenzials für Deutschland überhaupt relevant ist. Aber es gibt noch einen zweiten Grund für die Konflikte – Streitigkeiten um die Führungsrolle. Ursprünglich fanden diese in Form von Diskussionen zwischen Airbus und Dassault statt."

"Später kam es jedoch auch bei anderen Firmen, die an der Entwicklung von Rümpfen und Triebwerken für zukünftige Kampfjets beteiligt waren, zu Widersprüchen. Das Projekt wird jedoch nicht in der Versenkung verschwinden. Früher oder später werden die Parteien einen Kompromiss finden, da die Regierungen beider Länder große Hoffnungen in das FCAS gesetzt haben."

"Sowohl für Berlin als auch für Paris ist es wichtig zu zeigen, dass die Entwicklung europäischer Militärtechnologien voranschreitet. Außerdem hat die deutsche Regierung bereits die Bereitstellung von Mitteln für die Initiative im Rahmen des nationalen Haushalts genehmigt. Der Konflikt wird höchstwahrscheinlich nur zu einer Verzögerung der Umsetzung des FCAS führen."

"Ursprünglich wurde angekündigt, dass die Parteien bis 2026 einen 'Demonstrator' des zukünftigen Flugzeugs vorlegen würden. Ich glaube nicht, dass ihnen das gelingen wird. Dementsprechend wird es auch nicht möglich sein, die Kampfjets bis 2040 in Betrieb zu nehmen."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 31. Juli 2025 zuerst bei der Zeitung Wsgljad erschienen.

Jewgeni Posdnjakow ist ein russischer Journalist, Fernseh- und Radiomoderator.

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