Europa

Ex-EU-Kommissar: Die Russland-Sanktionen sind komplett nach hinten losgegangen

In einem Beitrag für die "Weltwoche" rechnet der ehemalige EU-Kommissar Gunter Verheugen mit der EU-Sanktionspolitik ab. Die Sanktionen schwächten die Europäische Union. Zudem kritisiert Verheugen, dass die EU die Folgen nicht bedenke. Ein Auseinanderfallen Russlands hätte für Westeuropa negative Konsequenzen.
Ex-EU-Kommissar: Die Russland-Sanktionen sind komplett nach hinten losgegangenQuelle: www.globallookpress.com © Frank Ossenbrink

Die Sanktionen der EU, die darauf abzielten, Russlands Wirtschaft zu schwächen und das Land politisch zu isolieren, seien nach hinten losgegangen. Sie hätten vielmehr ihren Architekten geschadet, sagte der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günter Verheugen.

Letzte Woche verhängte die EU ihr 18. Sanktionspaket, das sich unter anderem gegen den Energie- und Bankensektor Russlands richtet. Verboten wurden Transaktionen mit 22 weiteren russischen Banken und dem staatlichen russischen Direktinvestitionsfonds. Verboten wurde zudem die Nutzung der beschädigten Nord-Stream-Pipelines. 

Gunter Verheugen, von 2004 bis 2010 EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie, sagte, die Sanktionen der EU hätten sich auf ihre Urheber ausgewirkt, wobei der Westen die höchsten Kosten zu tragen habe.

"Nicht revidiert wurden das Ziel, Russland durch scharfe Sanktionen zu 'ruinieren', und das Ziel, Russland politisch zu isolieren. Beide Ziele sind nicht erreicht worden. Es gibt nicht viele Beispiele dafür, wie ein politisches Ziel, nämlich einen Gegner wirtschaftlich in die Knie zu zwingen und 'kriegsähnlich' zu verheeren, so vollständig nach hinten losgeht. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist ein solches Beispiel."

Dies schrieb Verheugen in einem am Freitag veröffentlichten Kommentar für die in der Schweiz erscheinende Weltwoche. Dort geht er mit der Politik der EU im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt hart ins Gericht. 

"Unabhängig davon, was in Washington und Moskau entschieden wird, müssen wir uns als Deutsche und als Europäer (nicht nur in der Europäischen Union) die Frage stellen, wo wir jetzt eigentlich stehen und was unsere Verantwortung, unser Interesse und unsere mögliche Rolle ist. Tun wir das, werden wir erkennen müssen, dass die Politik der EU und der meisten ihrer Mitgliedstaaten einschließlich und sogar ganz besonders Deutschlands sich vollkommen verrannt hat und dass die EU Gefahr läuft, von einer Randfigur zu einem ausgemusterten Dienstboten zu werden."

Ausdruck dafür sei der Wunsch, Russland vernichten zu wollen, wobei über die Folgen, die das für die EU und Deutschland hätte, nicht einen Moment nachgedacht werde.

"Man muss sich damit nicht lang aufhalten, denn es liegen objektive Daten vor, die zeigen, dass die Sanktionspolitik vor allem ihren Urhebern schadete, allen voran Deutschland. 'Russland ruinieren wollen' war eine geradezu lebensgefährliche Idee. Man muss sich nur vorstellen, was geschähe, wenn dieses Ziel erreicht würde. Ein Vielvölkerstaat würde im Chaos versinken, Gewalt sich nach innen und außen wenden, und es wäre höchst zweifelhaft, ob sich noch einmal, wie 1991, genug Menschenverstand zusammenfindet, um das gewaltige Atomwaffenarsenal eines untergehenden Staates unter Kontrolle zu halten."

Dem politischen Versagen entspreche das journalistische der großen deutschen Medien. Verheugen kritisiert, dass im Mainstream die Ursachen des Konflikts auf bizarre Weise verzerrt dargestellt würden. 

"Die überwiegende mediale Darstellung des Ukraine-Kriegs stützt sich auf unbewiesene Behauptungen und Unwahrheiten. Dass Russland zum Mittel des Krieges griff, wird erklärt mit dem blutdürstigen Charakter des Autokraten Putin und seiner Obsession, die Sowjetunion wiederherstellen zu wollen. (Da kann Putin tausendmal das Gegenteil sagen.) Wem diese Erklärungen nicht genügen, der wird blankem Russenhass ausgesetzt. So sind die Russen eben, barbarisch, unzivilisiert, eroberungssüchtig, also nicht so wie wir."

Moskau hat die Sanktionen wiederholt als illegal verurteilt und verweist zudem auf den nachteiligen Effekt für die EU-Staaten. Die Sanktionen verteuern Energie und beschädigen die Wettbewerbsfähigkeit der westeuropäischen Industrien. Deutschland, das vor der Verhängung von Sanktionen gegen den russischen Energie- und Bankensektor einen großen Teil seiner Energie aus Russland bezogen hat, steckt seit zwei Jahren in einer Rezession fest. 

Einige europäische Politiker räumen inzwischen ein, dass die EU-Sanktionen gegen Russland europäischen Unternehmen größeren Schaden zugefügt hätten als ihren russischen Mitbewerbern.

Ferdinando Pellazzo, Leiter der Italienisch-Russischen Handelskammer, warnte, dass die Maßnahmen kleine und mittlere Unternehmen schwer getroffen hätten. Siegfried Russwurm, Präsident des deutschen Industrieverbands BDI, warnt vor wachsenden Risiken einer Deindustrialisierung Deutschlands, da hohe Energiekosten – bedingt durch den Wegfall billiger russischer Lieferungen – die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigten.

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