Europa

Warum EU-Staaten aus dem Abkommen über Antipersonenminenverbot austreten

Polens Parlament hat einem Austritt aus dem Abkommen über das Verbot von Antipersonenminen zugestimmt. Zuvor hatten sich die baltischen Staaten gegen das Abkommen ausgesprochen. Auch Finnland geht diesen Weg. Experten bemerken einen Trend zur Militarisierung und weiterer Eskalation gegen Russland.
Warum EU-Staaten aus dem Abkommen über Antipersonenminenverbot austretenQuelle: Gettyimages.ru © Diy13

Von Polina Duchanowa

Polens Sejm, die Unterkammer des Parlaments, hat über einen Austritt des Landes aus dem Ottawa-Abkommen über das Verbot von Antipersonenminen abgestimmt. Der Gesetzentwurf wurde von 413 Abgeordneten unterstützt, 15 stimmten dagegen, drei weitere enthielten sich.

Władysław Kosiniak-Kamysz, Polens stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister, hat vor der Abstimmung zu einer Annahme des Dokuments aufgerufen und behauptet, dass Einschränkungen durch das Abkommen angeblich die Landesverteidigung behindern würden.

Inzwischen soll das Gesetz vom Senat bestätigt und später vom Präsidenten unterzeichnet werden. Anschließend wird das Dokument der UNO überreicht und nach sechs Monaten tritt die Aufkündigung des Abkommens in Kraft, berichten polnische Medien.

Unter willkommenem Vorwand

Das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung war am 3. Dezember 1997 in Ottawa unterzeichnet worden. Mit der Zeit traten dem Abkommen über 160 Länder bei. Russland, die USA und China gehören nicht dazu.

Polen unterzeichnete das Dokument im Jahr 1997, ratifizierte es aber erst 2012. Am 1. Juni 2013 trat die Konvention für das Land in Kraft. Im Rahmen ihrer Umsetzung vernichtete Warschau innerhalb von drei Jahren seine sämtlichen Vorräte an Antipersonenminen. Wie das Portal WNP anmerkt, verfügt Polen noch über Panzerabwehrminen, die nicht vom Ottawa-Abkommen erfasst werden.

Im März 2025 empfahlen die Verteidigungsminister Polens, Estlands, Lettlands und Litauens ihren Ländern, aus dem Abkommen auszutreten. In ihrer gemeinsamen Erklärung hieß es, dass in den jüngsten Jahren die militärische Bedrohung für Staaten, die an Russland und Weißrussland grenzen, angeblich erheblich zugenommen habe. In dem Dokument, das auf der Webseite des litauischen Verteidigungsministeriums veröffentlicht wurde, heißt es:

"Im Lichte dieser instabilen Lage im Bereich der Sicherheit, die von Russlands Aggression verursacht wurde, und der Bedrohung, die es weiterhin für die euroatlantische Gemeinschaft darstellt, ist es notwendig, alle Maßnahmen zur Stärkung unseres Potenzials im Hinblick auf Eindämmung und Verteidigung zu erwägen."

Die Verteidigungsminister stimmten damit überein, dass es "äußerst wichtig" sei, den Streitkräften ihrer Staaten "Flexibilität und Wahlfreiheit im Hinblick auf die Nutzung neuer Waffensysteme und Lösungen zur Stärkung der verwundbaren Ostflanke der Allianz" zu gewähren.

Litauens Verteidigungsministerium betonte zudem, dass Antipersonenminen ein effektives und vergleichsweise billiges Verteidigungsmittel seien.

Als erstes von den vier Ländern verabschiedete Lettland ein Gesetz über den Austritt aus dem Ottawa-Abkommen. Der Präsident des Landes, Edgars Rinkēvičs, unterzeichnete das Gesetz Ende April. Im Erklärungsschreiben zum Dokument heißt es, dass es für Lettland wichtig sei, "die Flexibilität eigener Aktionen nicht einzuschränken". Die lettische Nachrichtenagentur Delfi zitiert das Schreiben weiter:

"Nach Einschätzung Lettlands stärken ungesteuerte Antipersonenminen in Verbindung mit anderen Minen und Waffensystemen die Verteidigungsfähigkeit, die durch alternative Lösungen nicht zu ersetzen ist."

Im Mai trat Litauen aus der Konvention aus. Dafür stimmten 107 Abgeordnete des Parlaments des Landes, nur drei waren gegen einen Austritt. Litauens Verteidigungsministerium merkte damals an, dass ein Austritt aus dem Abkommen angeblich einer Stärkung von Eindämmungsmitteln dienen und die "Gegenmobilitätsmaßnahmen" der Armee erhöhen werde.

In Estland wurde ein Gesetz über den Austritt aus dem Abkommen im Juni unterzeichnet. Der Präsident Alar Karis bestätigte das vom Parlament der Republik zuvor bewilligte Dokument.

Auf das Baltikum folgte Finnland. Ebenfalls im Juni trat das Parlament des Landes mit einer Mehrheit von 157 Stimmen für eine Aufkündigung des Ottawa-Abkommens ein. Dagegen stimmten 18 Abgeordnete.

Bemerkenswerterweise hatte Norwegen zuvor Helsinkis Entscheidung verurteilt. Der norwegische Außenminister Espen Barth Eide sagte in einem Interview an Reuters im April, dass dieser Schritt in Oslo für Bedauern sorge. Demnach habe Norwegen keine Absicht, dem Beispiel seiner Nachbarn zu folgen, weil es ihn für äußerst gefährlich halte. Antipersonenminen verstümmeln und töten Menschen noch lange Zeit nach dem Ende des Konflikts, bemerkte er. Der Minister betonte, dass die Verteidigung des Landes nicht geschwächt werden wird, wenn die Politik in dieser Hinsicht unverändert bleibe.

Indessen wertete The Telegraph die Aktionen der fünf NATO-Staaten als eine Absicht, einen "Eisernen Vorhang" an der Grenze zu Russland und Weißrussland niederzulassen. Die Zeitung schrieb am 24. Juni:

"Durch ganz Europa, von Lappland im Norden Finnlands bis zur Woiwodschaft Lublin im Osten Polens wird sich bald ein explosiver Eiserner Vorhang ziehen."

Heute seien die genannten Staaten bereit, zu Waffenarten zurückzukehren, die einst undenkbar waren, so der Bericht weiter. Die britischen Journalisten schreiben:

"Wenn nötig, werden sie die ruhigen Kiefer- und Birkenwälder entlang ihrer Grenzen mit Millionen von Minen füllen – einer Waffe, die zuvor als so schrecklich galt, dass die Mehrheit der Länder versuchte, sie für immer zu verbieten."

Die anstehende großflächige Rückkehr von Minensperren nach Europa zeugt von einem stillschweigenden Ende der internationalen Kampagne zum Verbot solcher Waffen, stellt The Telegraph fest. Und das, obwohl die Folgen der Platzierung solcher Minen sehr lange währen können. Die Zeitung erinnert:

"Im Jahr 2023 kamen weltweit mindestens 2.000 Menschen durch Minen ums Leben, von denen 84 Prozent Zivilisten waren. Ein Viertel der Toten sind Kinder. Diese Waffen bleiben weiterhin eine Bedrohung in Ländern wie Angola, wo der Bürgerkrieg vor 20 Jahren endete, Kambodscha, Afghanistan, Bosnien und Herzegowina."

Zuvor hatte Moskau gewarnt, dass Russland vor dem Hintergrund des Austritts Polens und der baltischen Länder aus dem Abkommen militärtechnische Maßnahmen zur eigenen Verteidigung ergreifen werde. Die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte auf einer Pressekonferenz am 20. März:

"Die aktiven Bemühungen Polens und der baltischen Länder zum Austritt aus dem Abkommen werden unweigerlich zu einer weiteren Eskalation in Europa und einer Degradation der Lage im Bereich der regionalen und internationalen Sicherheit führen. Wir werden Gegenmaßnahmen ergreifen, um die nationale Verteidigung und Sicherheit zu gewährleisten, einschließlich militärtechnischer."

Der Weg der Eskalation

Experten merken an, dass Polen, die baltischen Länder und Finnland weiterhin vorsätzlich die militärische Hysterie vorantreiben, um Behauptungen von einer angeblichen Bedrohung durch Russland als geeigneten Vorwand für eine beschleunigte Militarisierung zu nutzen. Solche Rhetorik ist nach Meinung der Analytiker längst zum Teil der innen- und außenpolitischen Strategie dieser Staaten geworden.

Warschau beschreitet den Weg der Erhöhung der Konfrontation nicht wegen eines Überflusses an politischen Optionen, sondern wegen deren Fehlens, meint der leitende wissenschaftliche Mitarbeiter des Europainstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, Nikolai Meschewitsch. In einem Gespräch mit RT erklärte er:

"Sie verfolgen den Weg der Eskalation und der militärischen Hysterie aus einem einfachen Grund – sie haben keinen anderen Ausweg mehr. Das heißt, es gab eine Periode, in der man hätte etwas auswählen können, und jetzt haben sie eine Situation, die in der Managementtheorie wohlbekannt ist, in der die Gesamtheit der früher getroffenen Entscheidungen ihre aktuellen Schritte bestimmt."

In Bezug auf die Risiken des Austritts einiger NATO-Länder aus dem Ottawa-Abkommen und ihrer Absicht, die Grenzen zu Russland und Weißrussland zu verminen, betonte Meschewitsch: "Für Russland stellt dies keine Bedrohung dar." Er fügte hinzu:

"Die Mine ist eine Verteidigungswaffe. Berücksichtigt man, dass Russland keine polnischen Territorien braucht, schafft Warschau eine Bedrohung nur für die eigenen Bürger, wenn es plant, die Grenze zu verminen. Sollten die Polen das gesamte Polen mit einer Dichte von zehn Minen pro Quadratmeter verminen, werden es ausschließlich Probleme der Polnischen Republik und nicht Russlands sein."

Seinerseits interpretiert der Politologe Juri Bondarenko die Entscheidung des polnischen Sejms und die Anstrengungen der NATO-Länder zum Anheizen der Kriegshysterie meinungsstark als "Schizophrenie". Nach seiner Ansicht wälzt Warschau die eigenen wirtschaftlichen Fehler auf Moskau herab und heizt gleichzeitig russophobe Stimmungen an. In einem Kommentar gegenüber RT sagte er:

"All das wird getan, um nicht die Hauptfrage zu beantworten: Wozu sollte Russland Polen angreifen? Kein Pole, unabhängig von seinen Ansichten, kann diese Frage beantworten."

Insgesamt sei die von Polen und seinen Nachbarn gewählte Politik bloß "heiße Luft". Bondarenko erklärt:

"Wichtig ist nur, dass sich diese Ausfälle nicht in reale Aktionen verwandeln, die die Region destabilisieren könnten."

Jewgeni Semibratow, stellvertretender Leiter des Instituts für strategische Studien und Prognosen der Russischen Universität der Völkerfreundschaft, bemerkte in einem Gespräch mit RT, dass gegenwärtig ganz Europa die Kriegshysterie anheize und die Beziehungen zu Russland eskaliere. Der Experte erklärte:

"Sie brauchen Gründe für ihre Aufrüstung. Daher nehmen die europäischen Eliten heute eine inadäquate Stellung im Verhältnis zu Russland ein. Inadäquat ist sie daher, weil es gefährlich ist, mit der größten Atommacht 'Eskalation' zu spielen. Doch Europa verschließt davor die Augen und führt ihre Politik in bester Tradition Brüssels."

Nach Semibratows Ansicht führt der von Russlands europäischen Nachbarn gewählte Weg der Konfrontation und der Errichtung eines neuen eisernen Vorhangs zu einer Herabsetzung der regionalen und internationalen Sicherheit. Er schlussfolgert:

"Solche Initiativen sind als Teil einer großen Vorbereitung auf eine potenzielle militärische Konfrontation zu betrachten. Daher sind die Warnzeichen, die vonseiten der westlichen Staaten kommen, ernst zu nehmen, vor allem, wenn sie beginnen, auf Errungenschaften im Bereich Abrüstung zu verzichten. Darauf sollte mit der Ausarbeitung der entsprechenden militärtechnischen Lösungen reagiert werden."

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 27. Juni.

Mehr zum Thema Ostseeregion: Gefahr eines Krieges zwischen NATO und Russland wächst

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.