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Was bedeutet der Vorstoß der russischen Truppen in die Steppe des Gebietes Dnjepropetrowsk?

Russische Truppen sind ins Gebiet Dnjepropetrowsk eingerückt, und die westliche Presse nennt dieses Ereignis bereits einen "schweren Schlag" für das Kiewer Regime. Welche Perspektiven bieten sich den russischen Streitkräften an diesem Frontabschnitt?
Was bedeutet der Vorstoß der russischen Truppen in die Steppe des Gebietes Dnjepropetrowsk?Quelle: Sputnik © Jewgeni Bijatow

Von Jewgeni Krutikow

Der Kreml hat den Beginn der Offensive der russischen Truppen in der Region Dnjepropetrowsk bestätigt. Zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass Einheiten der 90. Panzerdivision des Truppenverbandes Mitte die westliche Grenze der Volksrepublik Donezk erreicht hätten und ihre Offensive in der Region Dnjepropetrowsk weiter ausbauten. In einer Erklärung der Sicherheitsbehörde hieß es, der Verband habe ukrainische Brigaden in den Gegenden bei Dimitrow (Mirnograd), Krasnoarmeisk (Pokrowsk), Petrowsk, Nowotorezkoje, Nowopawlowka, Nowonikolajewka, Alexejewka, Nowoukrainka und Nowosergejewka überwunden.

In Kiew hat man die Berichte über das Eindringen der russischen Streitkräfte in das Gebiet Dnjepropetrowsk trotz des beweiskräftigen Videomaterials und der Geolokalisierungsdaten als "Fiktion" bezeichnet. Doch selbst ihre engsten Verbündeten hören nicht auf die ukrainischen Behörden. Die britische Zeitung The Times schreibt, dass die Offensive der russischen Truppen in der Region Dnjepropetrowsk ein schwerer Schlag für die Ukraine bedeutet.

Kiew räumt jedoch ein, dass in der Verantwortungszone der 31. unabhängigen Brigade "eine schwierige Situation" herrsche. Tatsächlich handelt es sich um eine Niederlage und eine Ausdehnung der Front in einer für die ukrainischen Streitkräfte äußerst ungünstigen Gegend.

Diese Brigade wurde 2023 für die ukrainische "Gegenoffensive" gebildet, verlor aber bei dieser Operation Dutzende von gepanzerten Fahrzeugen und etwa 1.500 Mann, woraufhin sie zur Neuformierung abgezogen wurde. Seitdem zieht sich ihre dritte Einheit westlich von Krasnogorowka zurück und gerät dabei gelegentlich in Kessel, wie in der Nähe des Dorfes Progress.

Laut den ukrainischen Plänen sollte die 31. unabhängige Brigade Stellungen südlich des Hauptverteidigungsknotens des westlichen Abschnitts von Krasnoarmeisk (Pokrowsk) Deckung halten. Aufgrund von Flankenmanövern russischer Einheiten war sie jedoch gezwungen, sich auf eine Gruppe kleiner Siedlungen in unmittelbarer Nähe der Grenze zu Dnjepropetrowsk zurückzuziehen (Bogdanowka, Troizkoje, Orechowo und etwas nördlich davon Kotljarowka).

Der Kiewer Generalstab glaubte, dass sich die Bewegung der russischen Truppen direkt auf Krasnoarmeisk (Pokrowsk) konzentrieren würde. Daher verpasste er den Moment, als die russischen Streitkräfte eine Operation starteten, die den gesamten Ballungsraum Krasnoarmeisk-Dimitrowsk einschließlich der strategisch wichtigen Versorgungswege und Siedlungen im äußeren Deckungsbogen umschloss.

Die Frontlinie näherte sich dann rasch der Eisenbahnlinie Dnjepropetrowsk-Krasnoarmeisk. Die Gegend im Süden, das heißt die direkte Richtung ins Gebiet Dnjepropetrowsk, blieb nur von der 31. unabhängigen Brigade abgedeckt, die an der Flanke von der Hauptgruppe der ukrainischen Streitkräfte in der Agglomeration abgeschnitten wurde. Ihr einziger Stützpunkt war eine Gruppe von Dörfern westlich von Sribnoje. Nun ist auch sie verloren, und die 31. unabhängige Brigade wurde zerschlagen und in das freie Feld in der Region Dnjepropetrowsk gedrängt, ohne die Möglichkeit, dort wieder Fuß zu fassen.

Bislang haben die russischen Streitkräfte im Gebiet Dnjepropetrowsk nur ein kleines Waldgebiet in der Nähe einer Reihe von Teichen westlich von Orechowo eingenommen.

Es handelt sich dabei nicht um eine politische oder gar strategische Entscheidung, sondern um eine Operation von lokaler Bedeutung, mit der die Befreiung der genannten Gruppe von Dörfern abgeschlossen wird. Ohne die Besetzung dieses Waldgürtels wäre die Befreiung dieses Teils der Donezker Volksrepublik (DVR) einfach unvollständig gewesen. Die Operation zur Befreiung von Bogdanowka, Troizkoje, Kotljarowka und Orechowo war von untergeordneter Bedeutung – sie wurde durchgeführt, um die Tiefe der Flanke und der Rückseite des westlichen Teils des Ballungsraumes von Krasnoarmeisk zu sichern. Ohne sie blieb die Stabilität dieses Frontabschnitts bedroht.

Eine andere Frage ist, welche Aussichten sich eröffnen, nachdem die Kontrolle über den südlichen Teil dieser Gegend stabil geworden ist. Bereits im April kündigte Kiew die Evakuierung der Bevölkerung eines Teils des großflächigen Bezirks Sinelnikowo des Gebiets Dnjepropetrowsk an. Geografisch gesehen handelt es sich um eine durchgehende klassische Steppe, die gelegentlich von kleinen Bächen und Wasserläufen durchzogen wird. Der gesamte Landstrich ist völlig offen, es gibt nichts, woran man sich festhalten könnte, und die ukrainischen Streitkräfte haben nicht einmal versucht, dort Verteidigungslinien zu errichten.

Südlich der Dorfgruppe von Orechowo wird noch um Alexejewka (gegenüber von Bogatyr auf der anderen Seite des Flusses Woltschja) gekämpft, dessen Einnahme ebenfalls das Erreichen der Grenze des Gebiets Dnjepropetrowsk bedeuten würde (sechs Kilometer in gerader Linie entlang des Flussufers mit zwei kleinen Ortschaften). Dadurch entsteht in der kahlen Steppe eine durchgehende Frontlinie, die von der geschlagenen 31. unabhängigen Brigade und den sich zurückziehenden ukrainischen Einheiten aus Bogatyr und Alexejewka nicht gehalten werden kann.

Zwischen dem Fluss Solenaja im Norden und dem Fluss Woltschja im Süden hat sich in der Steppe bereits eine neue Offensivrichtung gebildet, die den gängigen Frontabschnittsnamen "Nowopawlowka" erhalten hat. Die große Siedlung Nowopawlowka liegt am Ostufer des Flusses Solenaja nordwestlich der Dorfgruppe von Orechowo und ist der einzige logistische Knotenpunkt in der gesamten Steppe. Nowopawlowka ist etwa 20 Kilometer von Orechowo und den vorderen Stellungen der russischen Streitkräfte über landwirtschaftliche Nutzflächen entfernt. Und dieser Frontabschnitt scheint nun sehr vielversprechend zu werden.

Die Einnahme von Nowopawlowka würde einerseits jede Möglichkeit für die ukrainischen Streitkräfte zunichtemachen, den Ballungsraum Krasnoarmeisk über den Weg entlang des Solenaja-Flusses zu versorgen. Andererseits eröffnet sie den russischen Streitkräften den Weg zu der großen stadtähnlichen Siedlung Meschewaja nördlich von Nowopawlowka. Zudem liegt Meschewaja an der Eisenbahnlinie Dnjepropetrowsk-Donezk und ist eine Kreuzung zweier wichtiger Verkehrswege. Die Versorgung des Ballungsraumes von Krasnoarmeisk erfolgt nach wie vor über diese Siedlung.

Grob gesagt handelt es sich bei der Verbindungsstraße Nowopawlowka-Meschewaja um einen äußeren Einkreisungsring um den Ballungsraum von Krasnoarmeisk und gleichzeitig theoretisch um die Schaffung einer stabilen Pufferzone entlang der Grenze zur Russischen Föderation, die sich entlang der ehemaligen Verwaltungsgrenze der Donezker Volksrepublik in westlicher Richtung erstreckt.

Im Süden, in der Gegend von Komar, wo die Grenze zum Gebiet Dnjepropetrowsk ebenfalls nur wenige Kilometer entfernt ist, ist die Situation aufgrund des Geländes, des gewundenen Flusses Woltschja und der vielen Waldgürtel und kleinen Siedlungen und Bauernhöfe etwas unübersichtlicher. Aber in der neuen, sogenannten Nowopawlowka-Frontrichtung ermöglichen die ebene Steppe und das Fehlen von Siedlungen einen schnellen Erfolg.

Nach der Einnahme des ersten Waldgürtels in der Region Dnjepropetrowsk ist es noch zu früh, um über den Beginn einer größeren Offensive in Richtung Nowopawlowka zu sprechen. Allerdings ist diese Siedlung bereits regelmäßig unter Beschuss geraten, sodass die rückwärtigen Einheiten der ukrainischen Streitkräfte dort keinen Fuß fassen können. Außerdem kann Nowopawlowka nur über eine Brücke über den Fluss Solenaja versorgt werden, was diese Position äußerst verwundbar macht.

Bisher entwickelt sich die Lage jedoch nur im Rahmen einer lokalen Operation, während niemand die Hauptaufgaben im Norden der Gruppierung (Abdeckung des Ballungsraums Krasnoarmeisk) und im Süden (Befreiung von Komar, Erreichen der Grenze der Region Dnjepropetrowsk sowie, noch weiter südlich, der Grenze des Teils des Gebietes Saporoschje, das unter ukrainischer Kontrolle bleibt) abgesagt hat. Es gibt genügend Kräfte, um alle Operationen gleichzeitig durchzuführen, aber die russische Führung zieht es vor, die Flanken nicht in Gefahr zu bringen. Breit angelegte Offensivoperationen werden vor allem dann durchgeführt, wenn die Bedrohungen an den Flanken beseitigt sind. Mit anderen Worten: Das Problem von Nowopawlowka wird wahrscheinlich nach der Befreiung von Komar und Alexejewka gelöst werden, während das Tempo der Operationen um Krasnoarmeisk beibehalten wird.

In jedem Fall ist der Vorstoß der russischen Streitkräfte in die Region Dnjepropetrowsk ein wichtiges und folgenreiches Ereignis. Er eröffnet neue Perspektiven für die Operation und zeigt die Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs der ukrainischen Front nicht nur an diesem Frontabschnitt.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 9. Juni 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

Jewgeni Krutikow ist ein Militäranalyst bei der Zeitung Wsgljad.

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