
"Königsberg-Doktrin": Militärnahes Forum diskutiert Rückeroberung Kaliningrads

Von Platon Gontscharow
Am 9. April, dem 80. Jahrestag der Kapitulation der Festung Königsberg, wurde deutlich, dass diese Stadt nicht vergessen ist. Und zwar als deutsche Stadt. Zwar war die Eroberung Königsbergs durch die Rote Armee kein Thema in den Massenmedien des Mainstreams, die Wochenzeitung Preußische Allgemeine Zeitung, die hauptsächlich von Vertriebenen und Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten (und deren Nachkommen) gelesen wird, widmete diesem Ereignis jedoch einen Artikel.
Der Großteil des Artikels ist (neben der Hinrichtung des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer, die sich am selben Tag 1945 ereignete) dem tragischen Untergang von Wehrmacht und deutscher Bevölkerung in der ostpreußischen Großstadt gewidmet, aufhorchen lässt jedoch vor allem folgender Satz:
"Während jedoch Königsberg bis heute als Kaliningrad ein entfremdetes Leben fristen muss, wuchs aus dem Martyrium Dietrich Bonhoeffers in Flossenbürg ein Geist des Trostes und der Zuversicht ans Licht, der bis in die Osterzeit des Jahres 2025 seine Strahlkraft nicht verloren hat."
Königsberg fristet also (nach Ansicht des Autors Klaus Weigelt, eines ehemaligen Mitarbeiters der Konrad-Adenauer-Stiftung) als russisches Kaliningrad heute ein entfremdetes Leben, es ist nicht bei sich selbst. Welche Schlussfolgerungen und Handlungsaufforderungen man aus dem heutzutage entfremdeten Dasein Königsbergs unter russischer Herrschaft ziehen soll, verrät Weigelt nicht. Er weiß es vielleicht selbst nicht.

Deutlicher wird da eine Diskussion in einem militärspezifischen Forum, dem Forum Sicherheitspolitik. Dieses Diskussionsforum mit 2.400 Mitgliedern beschäftigt sich mit Fragen zur Bundeswehr, zu Rüstungsthemen, europa- und weltweiten Streitkräften sowie Krisen und Kriegen. Die Betreiber sind nicht bekannt, sie fungieren wie auch die meisten Mitglieder unter Decknamen.
Interessant ist vor allem eine Unterabteilung des Forums, in der es um mögliche Vergeltungsschläge gegen Russland geht, sollte die Russische Föderation einen beschränkten Angriff auf EU-Gebiet wagen (zum Beispiel gegen den Suwałki-Korridor). Die Prämisse ist außerdem, dass die USA den Europäern ihre Unterstützung verweigern.
Die Diskutanten wirken nicht wie revanchistische Altnazis. Eher wie Männer, die ihren Wehrdienst abgeleistet haben und jetzt Reservisten sind. Ganz normale konservative Deutsche. Dass es sich um höherrangige Offiziere der Bundeswehr handeln könne, ist eher unwahrscheinlich. Denen wird sicherlich gut beigebracht, im Internet nicht aufzutauchen, auch nicht unter Decknamen. Also dürfte es sich um militärisch interessierte Privatleute, womöglich Reservisten handeln. Also um genau die Leute, die im Krisenfall wieder in die Bundeswehr eingezogen würden.
Man ist sich einig, dass der Angriff vergolten werden muss (Die Forum-Teilnehmer teilen vorbehaltlos die Sichtweise eines unprovozierten "Angriffs" Russlands auf NATO-Gebiet). Zitat: "Eine zögerliche Salamitaktik würde Russland in die Karten spielen." Ebenso einig ist man sich, dass der Vergeltungsschlag nicht die großen Städte Moskau oder Sankt Petersburg treffen darf, da eine weitere Eskalation des Konflikts nicht wünschenswert wäre. An die Relevanz nuklearer Drohungen aus Russland glaubt man offenbar nicht.
Derjenige, der den Beitrag gestartet hat ("Leuco"), schlägt Luftschläge auf militärische Einrichtungen innerhalb der Russischen Föderation vor. Die Nordflotte oder Werften in Murmansk werden genannt. Zugleich ist der Autor sich sicher, dass die deutsche Gesellschaft einen längerfristigen Krieg nicht durchhalten würde. Deshalb diese genau konzentrierten Vergeltungsschläge.
"Falli75" lehnt einen Schlag auf Murmansk ab, eben um eine gefürchtete Eskalation zu vermeiden. Bei Königsberg ("Königsberg nenne ich nicht umsonst so") äußert er sogar den Wunsch nach Eskalation und fordert einen kompromisslosen Einsatz der Lufthoheit (Deutschlands oder der europäischen NATO). Zusammen mit der Hilfe von Schiffswaffen solle alles "an Logistik, Führung, Kommunikation, Energie und Marine" in Kaliningrad "eingestampft" werden. Das Heer solle ebenfalls in die Enklave vorrücken, auch in einen Teil Weißrusslands.
"Muck" plädiert für ein spiegelbildliches Vorgehen, um jederzeit einen Ausstieg aus der Eskalation anbieten zu können, unter Androhung massiver Gegenmaßnahmen. "Muck" würde gerne die russische Öl- und Gasindustrien bombardieren, schätzt aber, dass die Waffen der europäischen NATO nicht so weit reichen. Deshalb hält er es für die beste Lösung, als Vergeltung europäische Truppen in die Ukraine zu verlegen.
"Leuco" erklärt seinen Vorschlag, die russische Nordflotte anzugreifen, damit, dass das schon im Schwarzen Meer zum Beispiel mit der Zerstörung der "Moskwa" gut geklappt habe. Russland habe auf diesen Schlag sehr zurückhaltend reagiert. Bei dem Angriff auf Königsberg (so nennt er die heute russische Stadt) sieht er das Problem, dass Russland diesen Vorstoß als Versuch, das Territorium (dauerhaft) zu erobern, werten und in die Opferrolle schlüpfen könnte.
Um diese russische "Opferrolle" zu verhindern, schlägt "Broensen" (ein weiterer Forist) vor, eine europäische "Königsberg-Doktrin" zu erstellen, die Königsberg als Faustpfand zum Schutz des Baltikums nimmt und bei einem russischen Einmarsch in die baltischen Staaten mit einem ebensolchen Einmarsch in die Oblast Kaliningrad droht. Die russische Führung könnte dann deeskalieren, indem sie "Kaliningrad propagandistisch aus dem Mutterland herausnimmt". "Broensen" glaubt also, auf Kaliningrad würde die Führung der Russischen Föderation am ehesten verzichten. Königsberg müsse ohnehin vollständig besetzt, militarisiert und unter UN-Verwaltung gestellt werden (an eine sofortige Rückgabe des Gebiets an Deutschland glaubt "Broensen" also nicht – oder er will sich öffentlich nicht dazu äußern).
Allein "Kongo Erich" (der zugleich mehrere Routen der möglichen russischen Vorstöße auslegt und eher nicht an einen Vorstoß über den Suwałki-Korridor glaubt) hält es für möglich, dass Russland den Konflikt auch mit massiven Enthauptungsschlägen auf mehrere europäischen Hauptstädte beginnen könnte, vielleicht sogar mit Atomschlägen auf europäische Hafenstädte, um den Widerstandswillen der europäischen Bevölkerung zu brechen.
Das sind nur rasch aufblitzende Momentaufnahmen, aber sie bieten womöglich doch einen Einblick in das Denken einer zwar kleinen, jedoch für einen eventuellen Krieg maßgeblichen Bevölkerungsgruppe. Man glaubt mehrheitlich eher nicht, dass Russland massiv eskalieren würde, und denkt, man könnte relativ ungestraft Murmansk oder die Nordmeerflotte bombardieren.
Und Königsberg ist jedenfalls nicht vergessen und sowohl ein militärischer als auch emotionaler Fixpunkt innerhalb dieser Überlegungen. Man hält Königsberg/Kaliningrad nicht für einen festen Besitz Russlands, den die Russen mit allen ihnen nur möglichen Mitteln verteidigen würden. Zugleich hält man die eigene Gesellschaft für schwach und nicht fähig, einen längeren Krieg zu führen. Man möchte "vergelten", eine Eskalation des Krieges mit Russland jedoch vermeiden. Die Fragwürdigkeit eines eingehegten Krieges wird den Diskutanten nicht bewusst.
Mehr zum Thema – Skandinavien und die baltischen Staaten bereiten zweite Front gegen Russland vor
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.