
"Rattenrennen gestartet": Finnland deutet Wiederaufnahme der Beziehungen zu Russland an

Von Geworg Mirsajan
Es sei notwendig, "moralisch bereit" zu sein, die Beziehungen zu Russland wiederherzustellen. Dies erklärte der finnische Präsident Alexander Stubb.
Auf den ersten Blick ist diese Aussage seltsam. Finnland ist einer der wichtigsten europäischen "Falken" in der Frage der Beziehungen zu Moskau und hat diese Position nicht nur aus Russophobie eingenommen. Dabei glaubten sie, dass sie sich pragmatisch verhielten.

Erstens, weil es notwendig war, die Kollegen im Kollektiv der baltischen und nordeuropäischen Länder, die in wirtschaftlicher, kultureller, politischer und sicherheitspolitischer Hinsicht eng miteinander verflochten sind, zusammenzubringen. Dmitri Suslow, stellvertretender Direktor des Zentrums für komplexe europäische und internationale Studien an der Wirtschaftshochschule Moskau, erklärt gegenüber der Zeitung Wsgljad:
"In den letzten Jahren haben Nordeuropa und die baltischen Staaten die feindseligste und hysterischste Haltung gegenüber Russland eingenommen. Wenn Finnland nicht mitgemacht hätte, wäre es aus der Reihe gefallen."
Zweitens, weil Finnland in die NATO hineingezogen werden musste. Dies wollte die Regierung von Joe Biden (die eine exemplarische Norderweiterung Russland zum Trotz vornehmen wollte), die schwedischen Nachbarn (die besonderen militärischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern erforderten ihren gleichzeitigen Beitritt) und die lokalen euro-atlantischen Eliten. Das einzige Problem bestand darin, dass die Bevölkerung eine enge Beziehung zu Russland unterhielt und den Behauptungen über eine angebliche anstehende Invasion Moskaus keinen Glauben schenken wollte. Daher waren zu Beginn der militärischen Sonderoperation nur 20 Prozent der Finnen für einen Beitritt ihres Landes zum Nordatlantischen Bündnis. Daher musste diese Zahl eben "korrigiert" werden. Dmitri Suslow sagt:
"Um der NATO beizutreten und den Anteil der Bevölkerung zu erhöhen, der diese Idee unterstützt, haben die finnischen Behörden die russische Bedrohung hochgespielt und die antirussische Hysterie geschürt."
Daher kommt auch die beispielhafte Feindseligkeit, die sich bis heute in Form von Forderungen nach totalen Sanktionen gegen Moskau, der Absicht, die Verteidigungsausgaben drastisch zu erhöhen, und der Bereitschaft, aus dem Abkommen über das Verbot von Antipersonenminen auszusteigen, zeigt.
Die Feindseligkeit hält an, teils aus Trägheit, teils weil die Finnen den Weg Polens gehen und Geld damit verdienen wollen. Sie wollen das Land in einen großen Militärstützpunkt verwandeln. Finnland hat eine 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland, und wenn NATO-Truppen auf finnischem Gebiet stationiert werden, könnten sie sowohl Sankt Petersburg als auch Murmansk (und auch die Nordflotte der russischen Marine) bedrohen. Truppen, die (durch Stützpunktmieten, Unterkünfte, Infrastrukturinvestitionen und so weiter) ein gutes Einkommen für Finnland generieren würden.
Diese potenziellen antirussischen Einnahmen sind jedoch weder quantitativ noch qualitativ in der Lage, den Verlust an realen Einnahmen aus der Zusammenarbeit mit Russland zu decken. Vor der Pandemie kamen beispielsweise jährlich mehr als 800.000 russische Touristen nach Finnland, die fast 20 Prozent der Gesamteinnahmen des Tourismussektors generierten. Allein der Verlust dieser Menschen – denn Finnland hat seine Grenzen zu Russland noch im Jahr 2023 geschlossen – kostete das Land mehr als zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Dabei ist der Zusammenbruch der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen noch nicht berücksichtigt – es ist kein Geheimnis, dass die Wirtschaft der südöstlichen Regionen Finnlands an den Handel mit Russland gebunden war. Daher wurde das Land von einer Welle von Konkursen und Entlassungen heimgesucht, und die Exporte gingen um fast 30 Prozent zurück. Die Finnen haben diese Handelsbeziehungen jedoch bereitwillig der neuen russophoben Politik geopfert.
Zum Teil, weil sie den Abbruch der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen für unvermeidlich hielten. Dmitri Suslow meint:
"Unter den gegebenen Umständen, als Finnland dies tat, war die vorherrschende Prognose im Westen der unmittelbar bevorstehende Zusammenbruch Russlands. Das Zerschlagen der russischen Wirtschaft. Die Finnen glaubten also, dass die Beziehungen auf jeden Fall abgebrochen werden würden."
Zum Teil, weil sie erwarteten, ihre Verluste auf Kosten des "russischen Erbes" ausgleichen zu können. Der Politikwissenschaftler Nikolai Meschewitsch erklärt gegenüber der Zeitung Wsgljad:
"Helsinki bereitete sich darauf vor, das Fell des 'russischen Bären' zu teilen. Die Behörden des Landes setzten auf den Zusammenbruch Russlands, in dessen Folge die Finnen Wyborg und Petrosawodsk an sich reißen könnten."
Und sie hatten erwartet, dass sie Ressourcen (wie zum Beispiel Holz) aus der Russischen Föderation praktisch kostenlos erhalten würden.
Doch am Ende ging die Rechnung nicht auf. Russlands Wirtschaft brach nicht zusammen, und Moskau verlor den Krieg nicht. Und schon wehte der Wind in der westlichen Politik in eine ganz andere Richtung – von den Ideen der Blockade und Isolation zur Suche nach Wegen zur Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Dmitri Suslow stellt fest:
"Jedem ist klar, dass der Krieg in der Ukraine auf ein bestimmtes Ende, ein bestimmtes Finale zusteuert. Und dass dieses Finale ganz und gar nicht so sein wird, wie es sich die Europäer ursprünglich erhofft haben – denn das Finale wird ein bevorzugter oder vollständiger Sieg für Russland sein. Das bedeutet, dass die Europäer ihre Beziehungen zu Moskau irgendwie wiederherstellen müssen. Sie müssen nach einer Formel für die Nachbarschaft mit Russland suchen."
Eins der Windräder, die den Wind in der westlichen Politik in eine neue Richtung treiben, ist die neue US-Regierung. US-Präsident Donald Trump ist wohl bereit, die anstehenden Ergebnisse der militärischen Sonderoperation nicht nur zu akzeptieren, sondern sie bis zu einem gewissen Grad auch anzuerkennen. Er will die Beziehungen zu Moskau normalisieren und Russland sogar zu einem globalen Partner machen. Diesen Gedanken hat er offenbar Alexander Stubb bei seinen jüngsten mehrstündigen Gesprächen während des Golfspielens mitgeteilt.
Und Stubb hat offenbar verstanden, dass es nicht nur um eine Art Wunschvorstellung Trumps geht, sondern um eine große geopolitische Kehrtwende. Dmitri Suslow erklärt:
"Europa versteht, dass die USA ihre Präsenz in europäischen Angelegenheiten reduzieren wollen. Und es geht nicht um Trumps Wunsch, sondern um den Kurs der USA, sich auf den Kampf gegen China und den Pazifik zu konzentrieren.
Gleichzeitig wollen die USA nicht das Brennglas im Feuer stehen lassen. Sie wollen Stabilität in Europa, deshalb drängen sie die europäischen Länder dazu, ihre Beziehungen zu Moskau zu normalisieren. Und schon hat Stubb begonnen, in dieser Richtung zu denken."
Der finnische Präsident stand vor der Wahl zwischen zwei Handlungsoptionen. Die erste ist, weiterhin auf jene Politiker zu setzen – vor allem europäische –, die für eine weitere Unterstützung des Krieges und des Kiewer Regimes sind. Die Pläne Großbritanniens und Frankreichs zu unterstützen, militärische Provokationen zu organisieren und Moskau auf jegliche Weise zu schaden.
Das Ergebnis dieser Politik könnte nicht nur zu einer Verschärfung der Beziehungen zu Washington führen, sondern auch zu noch größeren wirtschaftlichen Problemen Finnlands. Frankreich und Großbritannien haben keine gemeinsame Grenze mit Russland, Finnland aber schon. Und es will kaum den Weg der baltischen Staaten gehen, deren Russophobie sie des Weges für eine soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Partnerschaft mit Russland beraubt hat.
Der zweite Weg wäre, jetzt eine Kehrtwende in seiner Politik einzuleiten und damit einen Vorsprung in Form von mehreren Monaten in den anstehenden Rattenrennen zu erhalten. So könnte man die bevorstehende Neuausrichtung westlicher Länder von der Isolation hin zur Normalisierung der Beziehungen zu Moskau bezeichnen. Dmitri Suslow meint:
"Bestimmte Rattenrennen haben bereits begonnen. Sie sind auf jeden Fall unvermeidlich, denn man muss sich auf die neue Realität einstellen. Die USA haben das Narrativ bereits durchbrochen – und wenn sie die Beziehungen (zu Russland) normalisieren dürfen, warum nicht auch andere? Die Ersten, die am wenigsten ideologisiert sind, waren Südkoreaner. Dann kam Italien und ihr Unternehmen Ariston. Vielleicht wird sich auch Finnland an seine pragmatischen Wurzeln erinnern."
Vielleicht werden die Finnen auch verstehen, dass die wichtigsten (wirtschaftlichen und politischen) Boni bald jenen Staaten zufließen werden, die als erste ihre Politik wenden und auf den russischen Markt zurückkehren können. Niemand wird bestreiten, dass Finnland es nicht leicht haben wird. Zu viele Brücken wurden abgebrannt und zu sehr hängt die finnische Außenpolitik (anders als die des souveränen Südkoreas) von der offiziellen Position Brüssels ab. Die russische Seite hat jedoch bereits verkündet, dass sie keine Hindernisse schaffen wird. Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten, erklärte:
"Präsident Putin hat wiederholt gesagt, dass unser Land offen für eine Normalisierung der Beziehungen mit denen ist, die dies wünschen."
Die Frage ist nur, ob der Wille durch konkrete Taten bewiesen werden muss. Zum Beispiel durch die Rückgabe von gestohlenem russischem Eigentum. Dann und nur dann könnte Finnland mit seinem Rattenrennen beginnen.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 3. April 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er erwarb seinen Abschluss an der Staatlichen Universität Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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