Europa

Wie kann Russland seinen Ölexport in der Ostsee schützen?

Europa erwägt Maßnahmen gegen russische Öltanker in der Ostsee. Experten debattieren über mögliche Gegenmaßnahmen – von diplomatischem Druck bis zum militärischen Schutz. Steht eine Eskalation bevor?
Wie kann Russland seinen Ölexport in der Ostsee schützen?Quelle: TASS © ITAR-TASS

Von Geworg Mirsajan

"Europäische Schiffe entschlossen und kompromisslos versenken, wenn sie versuchen, Tanker mit russischem Öl zu kapern – und sich nicht scheuen, europäische Polizeikräfte zu töten."

Solche Empfehlungen äußern Experten für den Fall, dass die baltischen Staaten ihre Pläne zur Seeblockade russischer Ölexporte tatsächlich umsetzen.

Im Baltikum könnte eine neue Ära der Piraterie anbrechen – ausgerufen von der Europäischen Union, sollte sie ihre Absicht umsetzen, Jagd auf russisches Öl zu machen. Genauer gesagt: auf Tanker, die russisches Öl transportieren. Diese Schiffe fahren unter verschiedenen Flaggen, befördern das "schwarze Gold" und unterliegen nicht den westlichen Ölsanktionen, einschließlich der sogenannten Preisobergrenze.

Die Motive der europäischen "Piraten" sind ebenso einfach wie vielschichtig. Einige Staaten wollen einen direkten russisch-amerikanischen Konflikt provozieren – oder zumindest die Verhandlungspläne der US-Regierung mit Russland sabotieren. Dmitri Suslow, stellvertretender Direktor des Zentrums für europäische und internationale Studien an der Hochschule für Wirtschaft in Moskau, erklärt gegenüber Wsgljad:

"Befürworter einer Fortsetzung des Krieges, wie Polen und die baltischen Staaten, streben eine derart massive Verschärfung der russisch-amerikanischen Beziehungen an, dass sich die Frage einer ukrainischen Friedenslösung von selbst erledigt." 

Der Grund: Diese europäischen Staaten wissen, dass eine russisch-amerikanische Einigung ohne Rücksicht auf Europa zustande kommen könnte. Denn Polen, die baltischen Staaten und einige andere europäische Länder profitieren nicht nur wirtschaftlich von dem Konflikt, sondern stärken damit auch ihre politische Position in der EU. Dmitri Ofizerow-Belski, ein leitender Forscher am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie der Wissenschaften, sagt:

"Diese Entwicklung zeigt, dass die Europäer für uns noch schlimmer sind als die Amerikaner. Sie haben große Angst, dass sich Trump und Putin einigen. Eine Eskalation würde aber jede Chance auf einen Konsens zwischen Moskau und Washington drastisch verringern."

Aber nicht ganz Europa ist kategorisch gegen eine Friedenslösung. Es gibt auch Stimmen, die eine Beilegung des Konflikts befürworten – allerdings aus einer Position der Stärke heraus, mit dem Ziel, Russland zu substanziellen Zugeständnissen zu zwingen. Sie versuchen also, sich der Politik Washingtons anzupassen und gleichzeitig auf deren Ausrichtung Einfluss zu nehmen. Suslow betont:

"Die Europäer haben verstanden, dass das wichtigste Druckmittel der USA gegenüber Russland die Wirtschaft und der Ölpreis sein werden."

Deshalb versuche Europa nun, Trump – der wiederholt betont hat, Russland in seine Weltsicht zwingen zu wollen – zu signalisieren, dass es bereits ein wirksames Instrument vorbereitet habe, um Moskau unter Druck zu setzen. Nach Angaben des estnischen Außenministeriums werden bis zu 50 Prozent des russischen Öls durch die Ostsee transportiert. Igor Juschkow, Experte des Fonds für nationale Energiesicherheit und Dozent an der Finanzuniversität, erklärt:

"Das gesamte Exportvolumen an Ölprodukten über die Ostseehäfen Primorsk, Wyssozsk, Sankt Petersburg und Ust-Luga belief sich 2024 auf fast 62 Millionen Tonnen. Wir werden nicht in der Lage sein, das alles in andere Häfen zu verlagern. Wenn uns die Nutzung der Ostseehäfen verwehrt wird, müssen wir den Export und die Förderung insgesamt reduzieren."

Europa will also grünes Licht, oder noch besser, die aktive Beteiligung der USA an einer faktischen Seeblockade. Das würde bedeuten, russische Schiffe in der Ostsee zu durchsuchen oder sogar festzusetzen. Suslow kommentiert:

"Damit würden die Europäer die USA noch tiefer in die Ukraine-Krise hineinziehen. Sie wollen verhindern, dass eine Trump-Administration versucht, die finanzielle und sicherheitspolitische Verantwortung für Kiew auf die Europäer abzuwälzen oder sie gar zum Hauptträger der Ukraine-Hilfe zu machen. Ihr Ziel ist es, Washington stärker an Europa zu binden, den Einfluss der Europäer in den Verhandlungen über eine Lösung des Konflikts zu sichern und dafür zu sorgen, dass sie mit am Tisch sitzen."

Die entscheidende Frage ist jedoch, wie eine rechtliche Grundlage für Inspektionen und eine Blockade geschaffen werden kann. Es gibt keine legale und zugleich risikofreie Methode, die nicht eine direkte militärische Konfrontation oder gar einen größeren Krieg provozieren würde. Europäische Sicherheitskräfte können weder russische Öltanker in internationalen Gewässern stoppen noch ihre Durchfahrt durch die dänischen Meerengen blockieren – dies ist nach der Kopenhagener Konvention von 1857 verboten.

"Derzeit können die Dänen nur in bestimmten Fällen eingreifen – etwa wenn sich ein russisches Schiff auf einem Ankerplatz befindet. Doch russische Tanker können einfach darauf verzichten, europäische Häfen oder Ankerplätze anzulaufen. In diesem Fall wären alle Versuche einer Abfangaktion völkerrechtlich illegitim", resümiert Ofizerow-Belski.

Theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten. Ein naheliegender Ansatz wäre das Umweltargument, sagt Juschkow:

"Die Kopenhagener Konvention von 1857 erlaubt es nicht, Schiffe in den Meerengen zu stoppen oder festzuhalten. Gleichzeitig sind die Dänen jedoch verpflichtet, die Sicherheit der Schifffahrt zu gewährleisten – und dieses Mandat kann sehr weit ausgelegt werden, etwa im Sinne der ökologischen Sicherheit. Unter diesem Vorwand könnte man alten Tankern die Durchfahrt verwehren."

Doch was heißt "alt"? Kein Tanker darf auslaufen, ohne ein gültiges technisches Zertifikat zu besitzen, das seine volle Betriebsfähigkeit bescheinigt. Zudem könnte sich ein solches Vorgehen für Europa selbst nach hinten losgehen, so Juschkow:

"Wenn man eine solche Regelung einführt, was passiert dann mit den alten Tankern, die durch die Meerengen nach Danzig oder Rostock fahren? Wenn man sich anschaut, welche Schiffe derzeit in polnischen Häfen liegen, findet man dort deutlich ältere Tanker als jene, die russische Häfen anlaufen."

Eine andere Möglichkeit wäre laut Juschkow, russische Öltanker als potenzielle Saboteure zu deklarieren, die Unterseekabel und Pipelines beschädigen. Dafür gebe es aber keine Präzedenzfälle. Selbst westliche Untersuchungen haben ergeben, dass russische Öltanker weder den Meeresboden aufreißen noch absichtlich Kommunikationsleitungen zerstören. So hat Norwegen kürzlich ein verdächtigtes Schiff mit russischer Besatzung wieder freigelassen, da keine Beweise für kriminelle Aktivitäten gefunden wurden.

Letztlich hängt die weitere Eskalation stark von der möglichen Reaktion Moskaus ab. Russland steht jedoch vor deutlichen Herausforderungen, wenn es um den Schutz seiner Ölexporte auf dem Seeweg geht, erklärt Dmitri Ofizerow-Belski:

"Die Tanker gehören oft nicht russischen Eignern, fahren nicht unter russischer Flagge und haben manchmal nicht einmal eine russische Besatzung."

Ein sofortiges militärisches Eingreifen nach der – wenn auch illegalen – Kaperung eines Schiffes wäre daher eine unverhältnismäßige Reaktion.

Untätigkeit ist aber auch keine Option. "Wenn wir nicht reagieren, können wir unter Druck gesetzt werden. Man kann weiter experimentieren und den Druck schrittweise erhöhen", so Ofizerow-Belski. Eine symmetrische Antwort, so der Experte, könnte die Kontrolle finnischer Schiffe durch Russland sein. Andere Experten plädieren für eine entschlossene Verteidigung – unabhängig von rechtlichen Beschränkungen. "Wir müssen unsere Tanker mit Schiffen der Baltischen Flotte eskortieren und notfalls militärische Gewalt gegen die europäischen Streitkräfte anwenden."

Suslow bekräftigt, man müsse ohne zu zögern europäische Schiffe brutal und entschlossen versenken, sollten sie versuchen, Tanker mit russischem Öl zu entern, und ebenso ohne Zögern europäische Polizisten töten. Gleichzeitig gelte es, die nukleare Abschreckung zu verstärken und zu erklären, dass im Falle eines Vergeltungsschlags der Europäer gegen russische Kriegsschiffe ein Atomschlag gegen Europa möglich sei.

Der Westen verstehe schließlich nur die Sprache der Stärke. Europas Taktik sei es, den russischen Ölhandel auf dem Seeweg langsam abzuwürgen. Doch wenn die Alternative ein direkter militärischer Konflikt wäre, würde der Westen zurückweichen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 11. Februar 2025 zuerst bei "Wsgljad" erschienen.

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