Europa

Gemeinsame "Zeitenwende" – Norwegen rät Deutschland, sein Wehrpflicht-Modell zu übernehmen

Mit der Wehrpflicht lässt sich derzeit auch Wahlkampf machen. Da dürfen auch Ratschläge von außen nicht fehlen: Der Militärattaché aus Norwegen sieht die allgemeine Wehrdienstpflicht für Männer und Frauen in seinem Land als Vorbild für Deutschland.
Gemeinsame "Zeitenwende" – Norwegen rät Deutschland, sein Wehrpflicht-Modell zu übernehmenQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Jouni Porsanger

Im Wahlkampf vor der Bundestagswahl 2025 ist die Wehrpflicht bei allen Parteien Thema. Experten berichten von Personalnot in der Bundeswehr, die nur mit weitreichenden Maßnahmen gemildert werden kann. Die Union spricht sich für eine Wehrpflicht aus, die SPD will einen "neuen, flexiblen Wehrdienst". Die Grünen wollen ein freiwilliges Wehrdienstmodell und den Reservedienst für eine größere Zielgruppe attraktiver machen.

Und die FDP will nichts weniger, als "die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitkraft in Europa" auszubauen. Die Einstellung der AfD zur Wiedereinführung der Wehrpflicht ist grundsätzlich bejahend, es wird aber darüber noch intern diskutiert, ob die Wehrpflicht ins Wahlprogramm aufgenommen werden sollte – Bedenken gibt es nämlich wegen der Entwicklungen im Ukraine-Krieg.

In anderen NATO-Staaten habe man für die Debatte in Deutschland wenig Verständnis, berichtet der Münchner Merkur und nennt Norwegen als Beispiel. Probleme, neue Rekruten zu finden, habe die norwegische Armee nicht. Junge Menschen seien enttäuscht, wenn sie nach der Musterung nicht zum Militärdienst dürfen, für die allermeisten sei der Wehrdienst eine Selbstverständlichkeit. Grund dafür sei 2015 die allgemeine Wehrpflicht für Männer und Frauen, die Norwegen als erstes NATO-Land eingeführt hat.

Zudem erlebe Norwegen seit Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine seine eigene "Zeitenwende" und rüste massiv auf, so der Merkur. Investiert wird in neue U-Boote für die NATO-Nordflanke, die gemeinsam mit Deutschland gebaut werden, und den Bau neuer Fregatten für die königliche Marine. Außerdem werden neue deutsche Leopard-Panzer bestellt. Und nun gibt der nördliche NATO-Partner auch einen Ratschlag – dem norwegischen Wehrpflichtmodell zu folgen.

Für Deutschland könne Norwegen in diesem Punkt vielleicht sogar Vorbild sein, findet Fredrik Borgmann, Verteidigungsattaché in der norwegischen Botschaft in Berlin, der vom Merkur zitiert wird. "Ich bin überzeugt, dass Deutschland vom norwegischen Modell inspiriert sein und Erfahrungen daraus ziehen kann, um ein auf die deutsche Gesellschaft zugeschnittenes System zu entwickeln", so Borgmann in einem Interview.

Die Wehrpflicht diene als anerkanntes Bindeglied zwischen der Bevölkerung und den Streitkräften. "Das hilft, Vertrauen in die Streitkräfte aufzubauen, und erhöht das Wissen und das Verständnis dafür, warum wir eine militärische Leistungsfähigkeit brauchen." Die Wehrpflicht sei "der wichtigste Rekrutierungspool", so Borgmann.

Die Norweger betonen: Die deutsche Verteidigungspolitik habe im Land großen Eindruck gemacht, das Wort "Zeitenwende" habe es als Lehnwort gar in den aktiven Wortschatz mancher Experten geschafft. Bereits 2023 hatte das Land 200 Millionen Kronen (etwa 17 Millionen Euro) in Rekrutierung und Ausbildung von Soldaten gesteckt – angeblich wegen des Ukraine-Krieges. Ein wichtiges Ziel sei es, Rekruten für eine längerfristige Karriere bei den Streitkräften zu halten, damit sie nicht in die freie Wirtschaft wechseln.

Noch aber ist Deutschland vom norwegischen Modell weit entfernt, auch wenn die beiden Länder sich gerade im Zustand der "Zeitenwende" befinden. Nach der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 brachte Verteidigungsminister Boris Pistorius die Wiedereinführung der Wehrpflicht zum ersten Mal seit Jahren ins Gespräch. Nach monatelangen Diskussionen billigte das Kabinett im November einen Gesetzentwurf mit dem "Fragebogen-Modell".

Diesem Gesetzentwurf zufolge sollen ab dem nächsten Jahr alle jungen Männer, die 18 Jahre alt werden, einen digitalen Fragebogen erhalten, der unter anderem die Frage enthält, ob sie bereit sind, Soldat zu werden. Von den Männern, die sich bereit erklären, soll ein Teil zur Musterung eingeladen werden. Insgesamt sollen so anfangs pro Jahr rund 5.000 junge Männer zusätzlich zu den aktuell jährlich rund 10.000 freiwillig Wehrdienstleistenden eingezogen werden.

Das Recht zur Kriegsdienstverweigerung soll dabei erhalten bleiben. Davon haben in Deutschland im laufenden Jahr bis zum Stichtag 31. Oktober insgesamt 2.468 Antragsteller Gebrauch gemacht – 50 Prozent mehr als im Vorjahr mit 1.609 Anträgen und elfmal so viele wie 2021.

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