Spätes Erwachen? Merkel betont Unmöglichkeit rein militärischer Konfliktbeilegung in der Ukraine
Westliche Staaten werden letztendlich einen Dialog mit Russland aufnehmen müssen, um den Konflikt um die Ukraine zu beenden. Dieser Ansicht ist die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Kiews Unterstützer sollten darauf hinwirken, dass das Land nach der Einstellung der Feindseligkeiten unabhängig bleibe.
In einem am Samstag veröffentlichten Interview an die britische Sunday Times erklärt Merkel, sie unterstütze grundsätzlich die Ukraine-Politik der derzeitigen deutschen Regierung sowie die der EU. Seit der Eskalation des Konflikts im Februar 2022 ist Berlin zum größten Geber von Militärhilfen an Kiew in Europa geworden – weltweit nur noch übertroffen von den USA.
Angesichts des Konfliktes merkt die Altbundeskanzlerin jedoch an:
"Wir werden zu einem bestimmten Zeitpunkt – und die Verantwortlichen müssen diesen Zeitpunkt bestimmen – Gespräche brauchen.
Eine rein militärische Lösung wird es nicht geben."
Dabei war Merkels eigene Rolle in der Entwicklung des Ukraine-Konflikts seinerzeit alles andere als die eines Friedensengels. Zur Erinnerung: Merkel, Bundeskanzlerin in den Jahren von 2005 bis 2021, war einer der Garanten der Minsker Abkommen von 2014/2015. Diese wiederum zielten darauf ab, den vor dem Jahr 2014 zum ukrainischen Staatsgebiet gezählten Teil des Donbass, im Wesentlichen durch die beiden Volksrepubliken Donezk und Lugansk gegeben, wieder in die Ukraine zu integrieren, dieser Region aber gleichzeitig mehr Autonomie zu gewähren. Jedoch räumte sie im Jahr 2022 gegenüber der italienischen Corriere della Sera ein, der Abschluss der Abkommen seitens des Westens sei in Wirklichkeit ein Versuch gewesen, der Ukraine Zeit zu geben, ihr Militär aufzubauen. Im selben Interview wurde Merkel noch deutlicher:
"Wir alle wussten, dass es sich um einen eingefrorenen Konflikt handelte, dass das Problem nicht gelöst war. Aber das gab der Ukraine wertvolle Zeit."
Erklärungen für die eingangs dargelegte Aussage Merkels dürften in einem frischen Interview zu suchen sein, die Merkel am 23. November 2024 an ebendieses Blatt gab. Es ist Merkel und den Kräften, die hinter ihr stehen oder deren Anliegen sie aus welchen Beweggründen auch immer unterstützt, ganz und gar nicht daran gelegen, dass die Ukraine diese Verhandlungen aus eigener Initiative und mit eigenen Überlegungen als souveräner Staat führen würde. Besagte Souveränität spricht sie dem Land zumindest in dieser Hinsicht explizit ab. Sie macht den Zeitpunkt der Verhandlungen, und damit auch die Position, die Kiew dabei beziehen und die Verhandlungsmasse, auf die es zurückgreifen kann, von Kiews "Unterstützern" abhängig:
"Ich denke, dass die vielen Länder, die die Ukraine unterstützen, mit ihr zusammen entscheiden sollen, wann eine diplomatische Lösung mit Russland diskutiert werden kann. Es kann nicht allein Kiew sein, das darüber entscheidet."
Zu ihrem "diplomatischen" Vorstoß muss Merkel durch die Einsicht der in letzter Zeit überdeutlich gewordenen Unfähigkeit der Ukraine bewogen worden sein, selbst zusammen mit dem kollektiven Westen Russland eine Niederlage auf dem Schlachtfeld zuzufügen. Eine Niederlage, deren Ablauf der EU-Chefdiplomat Josep Borrell noch vor einigen Monaten in die Welt posaunte: Durch eine Eskalation mittels Freigabe von Lenkwaffensysteme großer Reichweite für Angriffe auf Russlands Territorium in den Grenzen von 1991, statt wie zuvor "nur" auf die Halbinsel Krim und die neuen Regionen Krim, Donezk, Lugansk, Saporoschje und Cherson. Sowie mittels weiterer Unterstützung für Kiew Moskau zu Verhandlungen zu zwingen, die de facto eine Kapitulation Russlands bedeuten würden.
Am Donnerstag veröffentlichte Die Zeit Auszüge aus Merkels Memoiren mit dem Titel "Freiheit: Erinnerungen 1954-2021". Darin plaudert sie vom NATO-Gipfel 2008 im rumänischen Bukarest, bei dem die Anträge der Ukraine und Georgiens auf Mitgliedschaftsaktionspläne zur Diskussion standen.
Die damalige Bundeskanzlerin lehnte die Idee damals ab und argumentierte, dass der Schritt von Russland als Provokation angesehen würde und den potenziellen Bewerbern dabei keine sinnvollen Sicherheitsgarantien gegeben würden.
Obwohl mehrere Politiker, darunter der heutige amtierende ukrainische Präsident Wladimir Selenskij, Merkel seither für ihre Haltung kritisiert haben, steht sie bis heute fest zu ihrer Meinung, wie ihre Memoiren belegen.
Moskau hat wiederholt seine Bereitschaft signalisiert, mit Kiew über eine Einigung zu verhandeln. Russlands Präsident Wladimir Putin bekräftigte kürzlich, dass alle Friedensgespräche auf den im Jahr 2022 in Istanbul erzielten Vereinbarungen gründen sollten, die einen neutralen, blockfreien Status für die Ukraine sowie gewisse Beschränkungen für die Stationierung ausländischer Waffensysteme und Truppenkontingente vorsahen.
Allerdings hat der Kreml auch klargestellt, dass bei allen weiteren Verhandlungen "die Realität vor Ort berücksichtigt werden" müsse. Dies impliziert, dass von der Ukraine erwartet wird, territoriale Zugeständnisse zu machen, anstatt die Regionen zu beanspruchen, die sich freiwillig Russland angeschlossen haben, darunter die Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie die Gebiete Cherson und Saporoschje und die Autonome Republik Krim samt Sewastopol als Stadt mit föderalem Bedeutungsstatus.
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