Frankreich: Die Bauernproteste nehmen wieder Fahrt auf
Von Pierre Levy
In den ländlichen Gebieten Frankreichs wächst die Wut. Seit dem 18. November gewinnt die Mobilisierung, zu der alle Bauernverbände aufgerufen haben, an Fahrt – eine seltene Einmütigkeit. Sie könnte durchaus anhalten und sich verschärfen.
Schon im letzten Winter hatten die Bauern massiv demonstriert, um ihren Ängsten und Forderungen Ausdruck zu verleihen. Auch in einem Dutzend anderer EU-Länder hatten sich Bewegungen mit ähnlichem Ansinnen entwickelt.
Zehn Monate später haben in Frankreich viele Bauern das Gefühl, dass nur wenige der Regierungsversprechen vom Februar eingehalten wurden. Die Gründe für den Zorn sind daher zahlreich und immer wiederkehrend. Beispielsweise erscheinen ihnen die immer drastischeren EU-Normen und die entsprechenden Kontrollen als unerträgliche Zwänge. All den Bemühungen der Landwirte liegt freilich ihr Bestreben zugrunde, von ihrer Arbeit anständig leben zu können; eine Perspektive, die immer weniger erreichbar erscheint.
Die Wut konzentriert sich dabei vor allem auf eine Forderung: die Ablehnung des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Mercosur, einer Zone, die fünf südamerikanische Länder umfasst: Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, zu denen noch Bolivien hinzugekommen ist.
Die Verhandlungen über ein solches Abkommen wurden im Jahr 1999 aufgenommen. Sie wurden mehrmals unterbrochen und wieder aufgenommen, was zeigt, wie sensibel und explosiv das Thema ist. Schließlich wurde 2019 ein Grundsatzabkommen unterzeichnet. Nachdem Jair Bolsonaro in Brasilia an die Macht gekommen war, wurde der Prozess 2020 erneut ausgesetzt. Die Europäische Kommission, die die alleinige Verhandlungsmacht im Namen der 27 Mitgliedstaaten innehat, setzte die Gespräche jedoch in völliger Intransparenz fort.
Mitte November 2024 ließ Brüssel verlauten, dass eine endgültige Einigung schon bald bevorsteht. Einige schätzen, dass sie auf dem Mercosur-Gipfel am 7. Dezember paraphiert werden könnte. Diese kurze Frist rief die französische Regierung auf den Plan, die den Zorn der Bauern sehr fürchtet. Am 13. November reiste der Premierminister zu einem Treffen mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, um sie an die schon mehrfach geäußerte Ablehnung des Abkommens seitens Frankreichs zu erinnern. Offensichtlich konnte er sie aber nicht überzeugen.
Auch wenn die Bestimmungen des Entwurfs zahlreich und komplex sind, drehen sie sich doch um eine zentrale Achse: die Abschaffung (oder Senkung um 90 Prozent) der Zölle auf landwirtschaftliche und industrielle Produkte sowie auf Dienstleistungen zwischen der EU und dem Mercosur. Grob gesagt könnten die großen Agrar- und Lebensmittelunternehmen des Mercosur dann insbesondere viel mehr Rind- und Schweinefleisch, Geflügel, Milchpulver, Mais und Soja nach Europa exportieren; und die Industriefirmen des alten Kontinents hoffen, ihre Produkte aus den Bereichen Automobil, Metall, Chemie, Pharmazie usw. auf dem Gebiet des Mercosur absetzen zu können.
Die französischen Bauern sind sich darüber im Klaren, dass ihnen der Wettbewerb mit den extensiven Billigproduktionen des südamerikanischen Agrarhandels zum Verhängnis werden könnte. Vor allem betonen sie, wie ungerecht es wäre, wenn Fleisch in die europäischen Supermärkte schwappen würde, das unter viel laxeren Gesundheits- und Umweltstandards produziert wird als denen, die ihnen hier auferlegt werden ("Lasst uns nicht das importieren, was in Frankreich verboten ist", konnte man auf den Traktoren bei den Demonstrationen lesen). Dieses Argument wurde von Emmanuel Macron wiederholt, der unter dem Druck der Bauernmobilisierung vergeblich die Einführung von "Spiegelklauseln" forderte, das heißt eine Angleichung der Normen für importierte Produkte an die europäischen.
Ein kürzliches Audit hat ergeben, dass die bereits bestehenden Verfahren im bilateralen Handel mit Brasilien nicht ausreichen, um Wachstumshormone in einigen Rindfleischimporten zu erkennen – eine Enthüllung, die Wasser auf die Mühlen der Gegner des geplanten Vertrages mit dem Mercosur war.
Für die Befürworter des Vertrages sollen diese "kleinen Nachteile" jedoch kein Hindernis für den Abschluss eines Abkommens sein, das ihre Exporte steigern könnte. Dies gilt unter anderem für die deutsche Regierung, die vor allem ihre großen Automobilkonzerne zufriedenstellen will.
Aber auch auf der Mercosur-Seite macht man sich in einigen Branchen Sorgen. Die Gewerkschaften der brasilianischen Industrie haben ihrerseits Angst vor der Einführung von Produkten, die wettbewerbsfähiger sind als die heimische Produktion. Kleinbauern in südamerikanischen Ländern befürchten, dass Großbetriebe das Abkommen zu ihrem Nachteil ausnutzen könnten, zum Beispiel durch weitere Abholzung der Wälder.
Brasiliens Präsident Lula, der früher selbst Metallgewerkschafter war, setzt sich trotz allem weiterhin für das Abkommen ein, auch wenn die entscheidende Bedeutung des Projekts in den letzten Jahren abgenommen zu haben scheint. So ist der Anteil der Exporte des brasilianischen Agrar- und Nahrungsmittelsektors in die EU zwischen 1999 und 2024 von 41 auf 13 Prozent gesunken. Mittlerweile ist China mit 33 Prozent der Exporte der wichtigste Markt für die Agrarindustrie.
Der Aufstieg des Reichs der Mitte dient den europäischen Befürwortern wiederum als Argument für die Unterzeichnung. Dies gilt insbesondere für Kaja Kallas, die in Kürze ihr Amt als Chefdiplomatin der EU antreten wird. Die ehemalige estnische Premierministerin beschäftigt sich hauptsächlich mit geopolitischen Fragen – und das heißt für sie: wie man am besten Russland und China bekämpfen kann. So sagte sie vor dem Europaparlament:
"Wenn wir kein Abkommen mit dem Mercosur schließen, wird es China tun."
Ebenfalls auf geopolitischer Ebene erinnern andere daran, dass Südamerika reich an Rohstoffen ist, darunter auch seltene Erden. Um sich damit zu versorgen, strebt die EU eine Diversifizierung ihrer Lieferanten an.
Der Freihandel ist also nicht der einzige Grund, warum viele europäische Politiker den Vertrag mit dem Mercosur auf den Weg bringen wollen. Er bleibt jedoch ein Dogma, das die europäische Integration begründet, wie die kürzlich in Kraft getretenen Abkommen mit Kanada (CETA, 2017), Japan (2019) oder Neuseeland (2024) belegen. Dasjenige mit dem Mercosur wäre das bislang größte, argumentieren die Befürworter, da es "800 Millionen Verbraucher" vereinen würde.
Der freie Wettbewerb mit seinen katastrophalen Folgen für die Völker bleibt also ein wichtiger ideologischer Bezugspunkt in Brüssel. Historisch gesehen wurde der Freihandel immer von den herrschenden Imperien verteidigt, um ihre kommerzielle und damit politische Macht zu festigen – Großbritannien im 19. Jahrhundert, die USA in der zweiten Hälfte des 20. Nun ist es aber so, dass das Gewicht und der Einfluss der EU schwinden, und die USA unter Donald Trump sich darauf vorbereiten, Europa einen Handelskrieg aufzuzwingen. Das könnte die Dogmen der EU letztlich verändern.
Im Moment zeigt der Kampf um den Vertrag mit dem Mercosur die Schädlichkeit der EU auf: Eine Entscheidung kann sich gegen die Interessen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten durchsetzen. In diesem Fall wird das das Abkommen befürwortende Lager von Deutschland angeführt, da die Bundesrepublik noch immer sehr an ihrer Industrie festhält; auch Spanien gehört unter anderem zu diesem Lager.
Auf der anderen Seite steht Frankreich, das offiziell gegen das Abkommen ist und von Österreich und in geringerem Maße von den Niederlanden, Polen und Griechenland unterstützt wird, die noch eine starke Landwirtschaft haben. Italien zögert indes, sich den Gegnern anzuschließen, die Regierung in Rom ist gespalten. Und Tatsache ist auch, dass das Nein-Lager seit dem letzten Versuch eines Vertragsabschlusses mit dem Mercosur Ende 2023 schwächer geworden ist.
Die endgültige Entscheidung muss nicht einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Das heißt, es reicht die Zustimmung von 15 Ländern (sofern sie mehr als 65 Prozent der Bevölkerung der 27 Mitgliedstaaten repräsentieren), damit das Abkommen von Brüssel unterzeichnet und für alle verbindlich wird. Derzeit vertreten bereits ein Dutzend Länder eine befürwortende Position.
Unter diesen Umständen ist das Gezeter des französischen Präsidenten, er werde "das Abkommen in seiner jetzigen Form nicht unterzeichnen", ein Schwindel, da das Abkommen gegen den Willen der Minderheitsländer in Kraft treten und für alle verbindlich werden kann. Und das in einem Kontext, in dem die Europäische Kommission die ausschließliche Kompetenz zur Aushandlung von Handelsabkommen besitzt (und damit eine Kompetenz, die nicht mit den Mitgliedsstaaten geteilt wird).
Ein solcher Gewaltstreich hat sich schon gegen Ungarn oder Polen (in diesem Fall in Bezug auf die Migration) abgespielt, aber noch nie gegen Frankreich. Wird die (krisengeschüttelte) deutsche Regierung darauf bestehen, dass Brüssel die französische Regierung (ebenfalls ohne parlamentarische Mehrheit) übergeht? Wenn ja, so die Sorge von Le Monde (und vieler EU-freundlicher Parlamentarier), dann "könnte dies eine schädliche und dauerhafte Spur in der französischen Meinung hinterlassen, indem es eine Anti-EU-Stimmung nährt."
Eine Antwort auf diese Frage wird in den nächsten Wochen erwartet. Und die Lage wird von den französischen Landwirten mit Argusaugen beobachtet werden. Aber nicht nur …
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