Europa

Umgehung des Montreux-Abkommens: USA finden einen Weg ins Schwarze Meer

Die USA und ihre NATO-Verbündeten wollen offenbar die Donau für militärische Zwecke nutzen, um Zugang zum Schwarzen Meer zu erhalten – und so das Abkommen von Montreux umgehen. Welche Risiken birgt die Ausweitung der westlichen Marinepräsenz im Schwarzen Meer für Russland?
Umgehung des Montreux-Abkommens: USA finden einen Weg ins Schwarze MeerQuelle: Gettyimages.ru © Paul Panayiotou

Von Andrei Restschikow

Der russische Präsidentenberater und Vorsitzende des Maritimen Rates Nikolai Patruschew erklärte während einer dem Schiffsbau gewidmeten Beratung auf dem Krim in dieser Woche, die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten strebten eine Nutzung der Donau für den Zugang von Kriegsschiffen zum Schwarzen Meer an. Auf diese Weise wollen sie die durch das Montreux-Abkommen festgelegte Ordnung der Meerengen des Schwarzen Meeres umgehen und ihre Vorherrschaft auf den Weltmeeren auch hier aufrechterhalten.

Patruschew zufolge gehört es zu den Zielen der westlichen Länder, die Rolle Russlands in der Schwarzmeerregion zu verringern. Dieses Vorgehen zielt darauf ab, Russland eine strategische Niederlage beizubringen. Allerdings gehören das Schwarze Meer und das Asowsche Meer gemäß der russischen maritimen Doktrin zu den wichtigen Gebieten zur Sicherung der Nationalinteressen im Weltmeer.

Patruschew dazu:

"Zu den Prioritäten bei der Umsetzung der staatlichen Meerespolitik im Asowschen Schwarzmeer-Becken gehören die Sicherstellung der Schiffs- und Seeverkehrssicherheit, die Modernisierung der Hafen- und Küsteninfrastruktur sowie die Entwicklung des Schiffbaukomplexes."

Nach dem Montreux-Abkommen von 1936 dürfen die Schwarzmeer-Mächte die Meerengen Bosporus und Dardanellen mit ihren Kriegsschiffen jeder Klasse nur in Friedenszeiten und nach vorheriger Anmeldung bei den türkischen Behörden durchfahren. Für Kriegsschiffe von Nicht-Schwarzmeerstaaten gelten in Friedenszeiten Beschränkungen hinsichtlich der Tonnage, der Gesamtzahl und der Aufenthaltsdauer (21 Tage).

Wenige Tage nach Beginn der militärischen Sonderoperation sperrte Ankara den Bosporus und die Dardanellen für alle Militärschiffe. Seitens des Westens wurde wiederholt die Überarbeitung des Montreux-Abkommens gefordert, um der US-Marine eine ständige Präsenz in den Gewässern zu ermöglichen und Druck auf Russland auszuüben.

Darüber hinaus wurde der Türkei vom Pentagon bereits angeboten, gemeinsam an der Lösung des Konflikts in den Schwarzmeerregionen zu arbeiten. Allerdings bekräftigten die türkischen Behörden wiederholt, dass sie keine Änderung der geltenden Regeln für die Einfahrt von Kriegsschiffen ins Schwarze Meer zulassen werden. Das Versprechen der Türkei, sich strikt an das Montreux-Abkommen zu halten, war zuvor vom russischen Außenminister Sergei Lawrow erwähnt worden.

Nach Ansicht von Maxim Klimow, Kapitän 3. Ranges der Reserve, zieht die Türkei politische und wirtschaftliche Vorteile aus der Kontrolle über die Meerenge und wird daher ihr Vorgehen auf Druck Washingtons nicht ändern. Solange Tayyip Erdoğan an der Macht ist, sei dies unrealistisch, meint der Experte.

Ebenfalls nicht im Interesse der Türkei ist es, Kriegsschiffe in den Istanbul-Kanal zu lassen, dessen Bau vor drei Jahren angekündigt wurde. Diese neue, 51 Kilometer lange Wasserstraße wird eine Dublette der Meerenge Bosporus sein. Selbst wenn in der Türkei eine pro-US-amerikanische Regierung an die Macht käme, so der Experte, werde sie sich auch nicht dazu zwingen lassen, weil es "die nationalen Interessen zu stark beeinträchtigt".

Der Militärexperte Wassili Dandykin, Kapitän 1. Ranges der Reserve, ergänzt:

"Der Westen versucht die Türkei schon seit Langem zu überreden, ihre Haltung zum Montreux-Abkommen zu überdenken. Aber ich halte dieses Szenario für unwahrscheinlich. Für die Türkei ist es von Vorteil, die Meerenge zu kontrollieren, denn sie hat dieses Recht im Ersten Weltkrieg erworben. Und sie ist stolz darauf, die Meerenge kontrollieren zu können." 

Seiner Meinung nach beabsichtigt der Westen, das Schwarze Meer für Russland zu blockieren, so wie er es in der Ostsee versucht:

"Fast die gesamte Ostseeküste gehört der NATO, mit Ausnahme der Region Kaliningrad und des Finnischen Meerbusens. Und die Türkei hält sich trotz ihrer NATO-Mitgliedschaft an die Neutralität."

Dandykin stellte auch eine Situation vor, in der Schiffe westlicher Länder mit Tomahawk-Raketen an Bord in das Schwarze Meer einlaufen – "das kann als Invasion betrachtet werden":

"Der Konflikt wird über eine spezielle Militäroperation hinausgehen. Selbst die eifrigsten 'Falken' im Westen sind sich dessen bewusst."

Klimow betont jedoch, dass der Westen bestimmte organisatorische, diplomatische und andere Schritte unternehmen kann, die es ihm ermöglichen würden, das Montreux-Abkommen im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften zu umgehen:

"Sie sind im Schwarzen Meer nicht präsent, weil es andere Mittel zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben gibt, einschließlich der Luft- und Unterwasserfahrt."

Dieser Experte verweist darauf, dass die Ausweitung der Marinepräsenz im Schwarzen Meer durch die USA und ihre NATO-Verbündeten bereits im Gange ist und ernsthafte Risiken für Russland birgt. Aufklärungsflugzeuge schwebten ständig über dem Meer. Russland müsse die Kampfbereitschaft der Schwarzmeerflotte erhöhen. Auch der Handelsverkehr durch Noworossijsk ist für Russland sehr wichtig, und die Schwarzmeerflotte sei verpflichtet, ihn zu gewährleisten.

Was die Nutzung der Donau als Alternative für die Durchfahrt von Kriegsschiffen zum Schwarzen Meer anbelangt, so können unbemannte Boote (BECs) und übliche Militärboote diesen Fluss bereits passieren, wobei die Deutschen in den Jahren des Zweiten Weltkrieges sogar U-Boote durch diesen Wasserweg überführten. Aber, so der Experte weiter, die Zeiten hätten sich geändert, es werden jetzt neue Aufklärungs- und Kampfmittel eingesetzt, sodass es keinen Sinn ergibt, große Schiffe in das Schwarze Meer zu schicken. Sie seien dort eingeengt und könnten zum Ziel von Raketen- und Torpedobeschuss werden.

Klimow ist der Ansicht, dass die Ausbaggerung der Donau, die seit Beginn der speziellen Militäroperation von der Ukraine aktiv betrieben wird, lediglich der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Schifffahrtsstraße diene, aber nicht über dieses Ziel hinausgehe.

Der Wirtschaftswissenschaftler Iwan Lisan schließt sich dieser Ansicht an. Die Donau sei ein internationaler Fluss, und die Schifffahrt auf ihr sei durch das Abkommen von 1948 geregelt. Dieses Abkommen sehe die Freizügigkeit der Handelsschifffahrt für alle Staaten von Ulm bis zum Schwarzen Meer durch die Sulina-Röhre mit Meereszugang durch den Sulinakanal vor.

Die Durchfahrt von Kriegsschiffen aller Nicht-Donau-Staaten auf der Donau ist verboten. Die Ukraine sollte die Ausbaggerung des Donau-Bystroje-Kanals bereits abgeschlossen haben. Sie habe ihren eigenen Weg von der Donau zum Schwarzen Meer, ruft Lisan in Erinnerung.

Ihm zufolge zeichnet sich das Mündungsgebiet der Donau dadurch aus, dass es zwar breit, aber flach ist, sodass die Ein- und Ausfahrt zum Meer über zwei Hauptkanäle möglich ist, deren Boden regelmäßig ausgebaggert werden muss. Der Hauptkanal, nämlich der Sulinakanal, stehe unter rumänischer Kontrolle. Der zweite – die Mündung von Bystroje – werde von der Ukraine kontrolliert. In den Jahren der Sowjetunion sei diese Mündung für die Durchfahrt von Kriegsschiffen genutzt worden, denen die Durchfahrt durch den Sulinakanal verboten war.

Dandykin fügt hinzu, dass die Donau durch das Hoheitsgebiet vieler Länder fließt, die ihre eigenen Sichtweisen auf das Geschehen haben. Dies gelte für Österreich, die Slowakei, Ungarn und Serbien, die möglicherweise die Durchfahrt großer Militärfahrzeuge durch ihr Gebiet nicht zulassen. Würde dies jedoch geschehen, müssten die russischen Streitkräfte die Fluss- und Küsteninfrastruktur attackieren, so wie es manchmal bei ukrainischen Häfen geschieht.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 2. November 2024 zuerst auf der Seite der Zeitung Wsgljad erschienen.

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