"Bis zum letzten Ukrainer" neu gedacht – die "ukrainische Legion" in Polen
Von Elem Chintsky
Im Juli 2024 wurde die Absicht über die Schaffung einer sogenannten "ukrainischen Legion" in Polen ausgerufen. Damit sollte ein militärisch-bürokratischer Rahmen geschaffen werden, damit in Polen ansässige Ukrainer eine Militärausbildung absolvieren können.
Wie es zu erwarten war, gab es seither widersprüchliche Berichte über die Erfolge dieses sich entwickelnden bilateralen Projekts zwischen Kiew und Warschau.
Das systemische Problem, das diesem Unterfangen den Boden unter den Füßen wegzuziehen erscheint? Die Freiwilligkeit. Von den Ukrainern wurde und wird erwartet, sich freiwillig dieser Ausbildung und de facto der kurz- bis mittelfristigen "Rückführung" in den noch laufenden kriegerischen Konflikt mit Russland im eigenen Land hinzugeben.
Relativ früh begann man, die ukrainische Öffentlichkeit in Polen darauf vorzubereiten, dass es vorerst keine obligatorische Musterung oder Einberufung geben werde, obwohl diese in der politischen Debatte stets erwogen und diskutiert wurde.
Nach langen Spekulationen eröffnete nun am 3. Oktober 2024 offiziell das erste Rekrutierungszentrum im polnischen Lublin. Laut dem Kyiv Independent soll das Basistraining 35 Tage dauern. In den ersten Tagen seien 138 Online-Bewerbungen und 58 persönliche Ersuche von Ukrainern bei den relevanten Konsulatsbüros Lublins eingereicht worden.
Aber noch Mitte Juli – ganz frisch nach der ersten Ankündigung – behauptete der polnische Außenminister Radosław Sikorski, dass sich bereits "Tausende von Ukrainern in Polen" bereit erklärten, der neuen Legion beizutreten. Dazu sagte dann am 2. Oktober der polnische Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz, dass die tatsächliche Anzahl an Ukrainern für die effektive Schaffung einer solchen Legion "zu niedrig" ist. Wenige Tage später glich er seine Aussage öffentlichkeitswirksam etwas an und meinte, dass "die Ukraine nun in Hinblick auf die Information, das Rekrutieren und das Werben, die relevanten Handlungen unternommen hat", damit man mit dem Prozess beginnen könne.
Derselbe Minister konstatiert jedoch auch, dass Polen selbst seit September bereit gewesen sei, mit der militärischen Ausbildung im Rahmen der neuen Legion zu beginnen. Ebenso habe der polnische Staat seit Februar 2022 allgemein um die 20.000 ukrainische Militärangehörige ausgebildet.
Dieser Geistesblitz für eine ukrainische Legion in Polen geht zurück auf das bilaterale Sicherheitsabkommen, das der Ministerpräsident Polens Donald Tusk mit dem weiter als Staatsoberhaupt fungierenden Wladimir Selenskij Anfang Juli unterschrieben hat.
Auch Myśl Polska griff neuerdings das Rätsel um die Verfassung dieser ukrainischen Legion in Polen in einem Kommentar auf. Dort werden durchaus viele westliche Medienstimmen genannt, die sich mit den offiziellen Narrativen des Kiewer Regimes und anderer westlicher Plattformen – über die bisherigen knapp 200 Ukrainer als enthusiastische Freiwillige – stark beißen.
Im polnischen Radio soll zu hören sein, dass "dies ist ein unbestreitbarer Erfolg für die ukrainische Legion" ist. Der Myśl- Polska-Autor fasst den Bericht über diese 200 Ukrainer, die sich seit Anfang Oktober vermeintlich freiwillig gemeldet haben, folgendermaßen zusammen:
"Erfolg? Jeden Tag sehen wir alle Ukrainer im wehrpflichtigen Alter auf den Straßen der polnischen Städte. Es sind wirklich ziemlich viele, wenn auch wahrscheinlich weniger als noch vor einem Jahr. Daher habe ich große Zweifel, dass 200 Personen ein so spektakulärer Erfolg sind. Meiner Meinung nach zeigt die Zahl 200, wie vernünftig die in Polen verweilenden Ukrainer sind."
Das Kiewer Regime besteht auf seiner Behauptung, die Legion platze aus allen Nähten vor täglich einströmenden ukrainischen Freiwilligen in Polen. Mit der im Westen immer schärfer vernommenen Torschlusspanik an der ukrainisch-russischen Front, die sich zugunsten der Russen entwickelt, sind alle Mittel recht, gute Schlagzeilen zu kreieren. Auch mit den unzähligen Bildern in den sozialen Medien aus der Ukraine selbst – wo junge Männer offensichtlich gegen ihren Willen, oft unter leidenschaftlichem Protest ihrer Familien, für den zermürbenden Einsatz an der Front gegen Moskau direkt von der Straße gezogen, gekidnappt und verschleppt werden – fällt es ungemein schwer, Selenskij und seinen Medienstrategen Glauben zu schenken. Es wäre äußerst naiv zu glauben, dass die geflüchteten Ukrainer im westlichen Ausland nicht über diese Zustände in der eigenen Heimat im Bilde sind, selbst wenn sie vielleicht in ihrer Makroanalyse trotzdem Russland insgesamt als alleinigen Aggressor verstehen.
Die Schaffung einer "ukrainischen Legion" in Polen ist eine Strategie, all die vor dem Krieg geflüchteten Ukrainer erneut dem trojanischen Pferd namens "Bis zum letzten Ukrainer" unterzuordnen. Tschechien ist auch interessiert – andere Nationen der NATO-Ostflanke sicherlich auch. Nach der Medien-Nebelwand der "ukrainischen Freiwilligkeit" – sofern zu dem Zeitpunkt der Krieg nicht zumindest eingefroren ist – werden wohl doch noch, als nächste Stufe, Methoden des bilateralen Zwangs hinzugezogen werden.
Denn wer soll als Nächstes gegen die Russen in den Krieg ziehen, wenn das Kontingent der "freiwilligen" Ukrainer schlussendlich aufgebraucht ist?
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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