Europa

Bombardement mit Zigaretten bringt baltische Sicherheitskräfte zum Staunen

Litauen ist plötzlich von massiven "Luftangriffen" betroffen. Dabei handelt es sich um Ballons, die von Schmugglern benutzt werden. Wie wurde dieses Mittel zum neuesten "Modetrend" des Schmuggelgeschäfts, warum sind die Behörden machtlos, und wie hängt das mit der Gefahr eines großen Krieges zusammen?
Bombardement mit Zigaretten bringt baltische Sicherheitskräfte zum StaunenQuelle: Gettyimages.ru © Schellhorn/ullstein bild

Von Stanislaw Leschtschenko

Viele Bewohner der Grenzgebiete der Ukraine, Weißrusslands, Polens und der baltischen Staaten betreiben aktiv Schmuggel. Da die Zigarettenpreise in Russland, Weißrussland und der Ukraine viel niedriger sind als in der EU, werden große Mengen von Zigaretten in die Europäische Union geschmuggelt, ohne dass dafür Verbrauchssteuern entrichtet werden. Besonders profitabel ist dieser Schmuggel in Litauen, wo die Verbrauchssteuer auf Zigaretten regelmäßig erhöht wird. Derzeit sind die Kosten für Tabakwaren in Litauen sogar um ein Drittel höher als im benachbarten Polen.

In der litauischen Grenzregion herrscht seit Jahren ein unerklärter Krieg wie im Wilden Westen: Schmuggler und Staatsbeamte konkurrieren miteinander in Sachen Mutterwitz, Erfindungsgeist und technischer Ausstattung. Im ersten Halbjahr 2024 fingen litauische Grenzschutzbeamte insgesamt 6,9 Millionen geschmuggelte Zigarettenpackungen im Wert von rund 9,7 Millionen Euro ab, die auf verschiedenen Wegen in die baltische Republik gelangten.

Grenzschutzbeamte berichten von Versuchen, Zigaretten in Fahrradrahmen und -reifen, in Fußbällen, in Musikinstrumenten, in Büchern, in Broten und zwischen Waffelschichten zu schmuggeln. Am häufigsten werden Zigaretten jedoch in Autos und Zügen versteckt, wobei als Versteck jeder Hohlraum oder z. B. Autoreifen genutzt werden.

Der Erfindergeist der "Ritter des Schmuggels" kennt keine Grenzen: Längst nutzen sie nicht nur die Luft, sondern auch den Wasser- und sogar den Unterwasserraum. Im Winter werden Zigaretten über das Eis geflößt oder im Inneren von als Eisschollen getarnten schwimmenden Containern befestigt. Einige "Erfinder" ziehen dafür sogar Taucheranzüge an und liefern die in hermetisch verschlossenen Kisten verpackte Fracht unter Wasser aus.

Auch in diesem Bereich gibt es technische Fortschritte – jedes Jahr nutzen die "Grenzpiraten" immer raffiniertere Methoden, um Schmuggelware zu transportieren.

Ein einzigartiger Fall ereignete sich Anfang 2018, als der Videoüberwachungsdienst des weißrussischen Grenzschutzes eine unbemannte Draisine entdeckte, die von der litauischen Grenze aus autonom über die Bahngleise fuhr. Als die Draisine gestoppt und untersucht wurde, stellte sich heraus, dass sie von einem Elektromotor angetrieben wurde. Sie verfügte über ein Netz, in dem Zigarettenkartons verstaut werden konnten. Bemerkenswert ist, dass die Draisine leer war, was den Schluss zulässt, dass dieser Roboter nach einer erfolgreichen Mission zurückkehrte.

Viele Schmuggler wollten schon vor Jahren den Luftraum nutzen – es gab Fälle von Grenzübertritten mit Drachenfliegern. Doch wirklich Kopfzerbrechen bereitet den Grenzschutzbeamten die Invasion unbemannter Fluggeräte.

Noch im Mai 2014 erwischten russische Ordnungskräfte eine Drohne mit einer Spannweite von vier Metern, die bis zu zehn Kilogramm Zigaretten transportieren konnte und von Litauen aus in die Region Kaliningrad flog. Sie verfügte über ein integriertes GPS-System zur Navigation. Dieser "Pionier" ebnete den Weg für weitere erfolgreiche Versuche.

In sozialen Netzwerken teilen ukrainische Schmuggler ihre Erfahrungen mit und berichten über die Möglichkeiten, den Kauf einer Drohne dort auszuhandeln. "Wer kann ein Gerät so zusammenbauen, dass es eine Fracht von bis zu 10 kg heben, sie bis zu 5 km weit tragen und dann wieder zurückfliegen kann?", fragt zum Beispiel einer der Nutzer. Ihm wird fachmännisch geantwortet, dass ein solches Gewicht nicht weit zu transportieren ist, höchstens bis zu einem Kilometer. "Sie brauchen einen ferngesteuerten Quadrocopter, der mindestens 7.000 US-Dollar kostet. Und für Ihre Zwecke ist es besser, ein Gerät von 10.000 US-Dollar (240.000 Griwna) zu kaufen – ein solches Gerät wird garantiert nicht irgendwo auf halbem Weg jemandem auf den Kopf fallen", erklären die "Experten". Laut ihren Angaben kann ein solches Gerät bis zu fünf Kilogramm heben und an den Zielort liefern (eine Zigarettenstange wiegt etwa 250 Gramm), es macht nicht viel Lärm und fliegt bis zu 50 km in beide Richtungen.

Im Juli 2019 erwarb der litauische staatliche Grenzschutzdienst gezielt zwei unbemannte Luftfahrzeuge zur Bekämpfung von Schmugglern. Im Rahmen des Projekts wurden auch Schulungskurse für die Steuerung dieser Fluggeräte organisiert. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass zwei Flugzeugdrohnen nicht ausreichten, zumal den Schmugglern mittlerweile eine ganze Luftflotte zur Verfügung stand.

Einer der jüngsten Fälle, in denen eine Drohne mit Zigaretten abgefangen wurde, ereignete sich am 15. September 2024. Litauische Grenzschutzbeamte, die in der Nähe des Dorfes Beržiškės Dienst taten, entdeckten die Drohne und landeten sie mithilfe eines Anti-Drohnen-Systems in einem benachbarten Waldgebiet. Es stellte sich heraus, dass die Drohne mit zwei in Polyethylen verpackten Kartons mit tausend Zigarettenschachteln beladen war.

Nunmehr verzichten die Schmuggler auf Drohnen und setzen stattdessen als Wettersonden getarnte Ballons ein – sie sind billiger und unauffälliger.

Dieser neue "Trend" hat sich wahrlich rasch entwickelt. Während die litauischen Grenzschutzbeamten im gesamten Jahr 2023 nur drei Ballons mit Zigaretten registrierten, gab es nach Angaben des litauischen Grenzschutzdienstes allein im September 2024 250 Fälle, als Pseudo-Wettersonden mit Schmuggelgut von Weißrussland nach Litauen flogen.

Am 29. September ereignete sich ein absolut skandalöser Fall, als eine mit Zigaretten beladene "Wettersonde" direkt auf dem Gelände des Flughafens von Vilnius landete. Nach Angaben von Dainius Gaižauskas, Mitglied des parlamentarischen Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung, mussten daraufhin Beamte der Anti-Terror-Einheit zum Flughafen eilen.

Der Parlamentarier ist empört:

"Stellt euch vor, da ist eine Wettersonde mit einer etwa zwanzig Kilogramm schweren Fracht heruntergefallen! Es hat sich herausgestellt, dass bereits seit einem Jahr Hunderte von Ballons mit einer Fracht von Weißrussland nach Litauen fliegen."

Und Gaižauskas fügt hinzu, dass mit Hilfe einer solchen "Wettersonde" etwa tausend Zigarettenschachteln auf einer einzigen Fahrt transportiert werden.

Der Parlamentarier stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn "die Feinde Litauens" anfangen würden, Sprengstoff an Ballons anzubringen?!

"Tatsache ist, dass Ballons von der Seite Weißrusslands aufsteigen und etwa 40–50 Kilometer weit in Richtung Litauen fliegen, und niemand schießt sie ab. Die Drohnen tragen eine Fracht von 30 bis 50 Kilogramm, und unsere derzeitigen staatlichen Stellen schweigen dazu... Das ist ein Skandal", so der Abgeordnete.

Ihm zufolge flogen innerhalb nur einer Woche etwa 150 Schmuggelballons in litauisches Hoheitsgebiet ein. Vier von ihnen landeten in der Stadt Alytus, wo die litauische Armee 2022 ein dem NATO-Standard entsprechendes Munitionslager eröffnet hat, und einer landete auf Eisenbahnschienen in der Stadt Varėna.

Um die Öffentlichkeit irgendwie zu beruhigen, erklärt der Direktor der Abteilung für Staatssicherheit, Darius Jauniškis, dass man keine Informationen über den Einsatz von fliegenden "Wettersonden" zur Aufklärung habe – sie würden ausschließlich von Schmugglern benutzt. Doch wie bekämpft man diese "fliegenden Zigarettenträger"?

In diesem Punkt schieben sich die litauischen staatlichen Gewaltorganen gegenseitig die Verantwortung zu. Die Grenzschutzbeamten beklagen, dass sie nicht über geeignete Langstreckenwaffen verfügen. Und Verteidigungsminister Laurynas Kasčiūnas will seinen Untergebenen wiederum nicht befehlen, die Ballons abzuschießen. Ihm zufolge ist der Einsatz von Waffen durch das Militär in Friedenszeiten "ein sehr sensibles Thema".

Nach Ansicht von Kasčiūnas sollten die Ballons von Grenzschutzbeamten und nicht von der Armee kontrolliert werden, da es keine Hinweise darauf gebe, dass sie etwas Gefährlicheres als geschmuggelte Zigaretten transportieren. Wenn es jedoch Hinweise darauf gebe, dass ein Ballon nicht nur Zigarettenstangen, sondern auch einen Sprengsatz transportiere, könne das Militär eingreifen, erklärt er. Kasčiūnas rät, den Öffentlichen Sicherheitsdienst (die gesetzlich mit dem Schutz kritischer Einrichtungen betraute Struktur) in die Problembehebung einzubeziehen und ihn anzuweisen, spezielle mobile Einheiten zu bilden und diese mit Maschinengewehren auszustatten.

Für Kasčiūnas ist klar, dass der Einsatz von Raketen und großkalibrigen Schusswaffen durch das litauische Militär im Grenzgebiet unvorhersehbare Folgen haben kann, bis hin zum Beginn des Dritten Weltkriegs. Und was passiert, wenn Weißrussland dies als Beginn einer Aggression ansieht und darauf reagiert?

Schließlich äußerte sich der litauische Präsident Gitanas Nausėda selbst zu diesem Thema:

"Das Problem besteht nicht nur im Schmuggel oder vielleicht in anderen, gefährlicheren Gütern, die dort platziert werden könnten. Das Problem ist auch die Sicherheit unserer Zivilluftfahrt, denn der Wind kann diese Objekte in die Flugzone tragen. Ich will mir gar nicht ausdenken, was passieren könnte, wenn ein Flugzeug auf ein solches Objekt trifft."

Der litauische Staatschef forderte die Behörden auf, miteinander zu kommunizieren, um das Problem mit den vorgetäuschten Wettersonden irgendwie zu lösen. "Die einen sehen sie nicht, andere haben keine Waffen; wiederum andere haben zwar Waffen, aber sie sehen sie nicht. Wissen Sie, das sieht nicht seriös aus, und das ist nichts, was sie jetzt in der Öffentlichkeit diskutieren sollten", empört sich Nausėda.

Nausėdas Chefberater Frederikas Jansonas forderte seinerseits, dass sich der Verteidigungsminister und der Chef des Innenministeriums an einen Tisch setzen und sich darauf einigen sollten, wer die Schmugglerballons abschießen soll. Seiner Meinung nach sehe der Versuch, die Verantwortung von einer Behörde auf die andere zu schieben, "sehr litauisch, aber nicht sehr positiv" aus.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 1. Oktober 2024 zuerst auf der Homepage der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

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