Europa

Düngemittel: Europas Abhängigkeit von Russland weiter gewachsen

Trotz der Abkühlung der Beziehungen kauft die EU weiterhin Düngemittel aus Russland. Im Juli stiegen die Düngemittelimporte auf ein 20-Monats-Hoch. Russland ist zwar der wichtigste Düngemittellieferant der Europäischen Union, der EU-Markt ist jedoch nicht der wichtigste Markt für Russland.
Düngemittel: Europas Abhängigkeit von Russland weiter gewachsen© Getty Images / Monty Rakusen

Von Olga Samofalowa

Die Europäische Union steigerte im Juli die Einfuhren russischer Düngemittel auf ein 20-Monats-Hoch. Damit stieg der Anteil Russlands an den europäischen Importen zum ersten Mal seit März 2022 wieder auf über 30 Prozent, wie Eurostat-Daten zeigen. Vor einem Jahr lag der Anteil Russlands noch bei 18,5 Prozent.

Die EU hat ihre Düngemittelimporte aus Russland im Juli im Vergleich zum Juni um das 2,2-fache und im Vergleich zum Vorjahr um das 1,7-fache auf 199 Millionen Euro gesteigert. Die Gesamteinfuhren von Düngemitteln stiegen auf 643 Millionen Euro.

Polen, Frankreich und Deutschland waren die größten Abnehmer von russischen Düngemitteln. Polens Einfuhren verdoppelten sich auf 55,7 Millionen Euro, Frankreichs Käufe verfünffachten sich auf 31,5 Millionen Euro, und die deutschen Einkäufe stiegen um ein Drittel auf 24,5 Millionen Euro.

Weitaus überraschender war jedoch Irland, das unerwartet mit dem Kauf russischer Düngemittel begann: Der Umsatz stieg um das 18.000-fache, von 101.000 Euro auf 1,8 Millionen Euro. Weitere bemerkenswerte Importländer waren Rumänien, das seine Einfuhren von russischen Düngemitteln um das 54-fache auf 17,3 Millionen Euro steigerte, und Bulgarien, das sie um das 25-fache auf 12,9 Millionen Euro erhöhte.

Russland ist der Hauptlieferant von Düngemitteln in die EU. An zweiter Stelle steht Marokko, dessen Ausfuhren sich im Juli auf 111 Millionen Euro fast verdreifacht haben. Abgerundet werden die Top drei durch Ägypten, das seine Ausfuhren in die EU um das 1,4-fache auf 85 Millionen Euro steigern konnte. Zu den Top fünf gehören auch Algerien (37 Millionen Euro) und Kanada (27 Millionen).

Der Anstieg der russischen Düngemittelausfuhren in die EU-Länder ist zum einen auf die niedrigeren Kosten und zum anderen auf den Rückgang der Produktion in der Eurozone zurückzuführen, meint Wladimir Tschernow, Analyst bei Freedom Finance Global. Er sagt:

"Die Düngemittelproduktion ist ein energieintensiver Prozess, und die Produktionskosten können bis zu 50–60 Prozent der Energiekosten für die Herstellung bestimmter Düngemitteltypen umfassen. Im Jahr 2022 stiegen die Preise für russisches Erdgas in Europa um ein Vielfaches an, von etwa 800 US-Dollar pro tausend Kubikmeter auf 3.400 US-Dollar pro tausend Kubikmeter, woraufhin die ersten Düngemittelproduktionsanlagen in der EU zu schließen begannen."

Und obwohl der Gaspreis seither bereits stark gesunken ist, liegen die Preise immer noch deutlich über dem Durchschnitt, der vor der Weigerung einiger europäischer Länder, von sich aus russisches Gas zu kaufen, oder nach der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines bestand. Tschernow fügt hinzu:

"Russische Düngemittel sind am wettbewerbsfähigsten, weil die Energie zu ihrer Herstellung billiger ist. Der größte deutsche Hersteller (BASF) hat seine Produktion Anfang letzten Jahres eingestellt und auch einige Ammoniakproduktionsanlagen wurden aufgrund des steigenden Erdgaspreises dauerhaft geschlossen."

Früher kauften unter anderem Frankreich und Polen Düngemittel aus diesem BASF-Werk in Deutschland, doch nach dessen Schließung suchten sie nach Möglichkeiten, die Verluste auszugleichen, und griffen zu günstigeren russischen Düngemitteln, so der Experte.

Im vergangenen Jahr ging die Düngemittelproduktion in der EU um 8,4 Prozent auf 28,2 Millionen Tonnen zurück. Die Phosphatdüngerproduktion brach um 64 Prozent auf 0,43 Millionen Tonnen ein, die Kaliproduktion ging um 12,5 Prozent auf 2,1 Millionen Tonnen zurück und die Produktion von Mischdüngern sank um 9,5 Prozent auf 11,4 Millionen Tonnen.

Etwa 20 Prozent der europäischen Unternehmen seien geschlossen worden, die verbleibenden seien nur zu 40 Prozent ausgelastet, sagt Anatoli Tichonow, Direktor des Zentrums für internationale Agrarwirtschaft und Ernährungssicherheit an der Hochschule für Management der russischen Präsidentenakademie. Er erklärt:

"Der Anstieg der russischen Düngemittelausfuhren ist auf die hohe Nachfrage vor Beginn der neuen Agrarsaison zurückzuführen. Darüber hinaus bauen die EU-Länder sowie China und Brasilien ihre Lagerbestände aktiv aus, was zu einer zunehmenden Verknappung von Düngemitteln führt. In Russland hingegen ist ein Düngemittelüberschuss entstanden, da die Exportquoten die Inlandsnachfrage übersteigen. Daher können wir etwa 300.000 Tonnen Düngemittel auf den Weltmarkt liefern, ohne dass die inländischen Verbraucher davon betroffen sind."

Neben den wettbewerbsfähigen Preisen und der bequemen Logistik sind russische Düngemittel auch für ihre Umweltfreundlichkeit bekannt – die Düngemittel seien frei von Schwermetallen, was die Käufer ebenfalls anziehe, fügt Tichonow hinzu.

Europa ist also nicht der einzige, der mehr russische Düngemittel kauft. Auch China hat in den ersten acht Monaten des Jahres 2024 einen Rekord aufgestellt und Düngemittel im Wert von 976 Millionen US-Dollar aus Russland gekauft. Das ist fast ein Drittel mehr als im letzten Jahr. Außerdem hat Russland Weißrussland, den bisherigen Marktführer, auf dem chinesischen Markt verdrängt. Wie kam es dazu? Tschernow sagt:

"Unseres Erachtens ist der Rekordeinkauf russischer Düngemittel durch China in erster Linie auf die im Vergleich zu den Wettbewerbern niedrigen Kosten und die günstigere Logistik vor dem Hintergrund der geografischen Nähe der beiden Länder zurückzuführen."

Für Russland sei Europa nicht der wichtigste Markt, denn es gebe wichtigere landwirtschaftliche Zentren in der Welt, wie Indien und Lateinamerika, betont Ljudmila Rokotjanskaja vom Finanzdienstleistungsunternehmen BKS Investment World. Die europäischen Landwirte würden es aber ohne russische Düngemittel definitiv schwer haben.

Alexander Timofejew, Dozent am Lehrstuhl für Informatik der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität, erläutert:

"Die Nachfrage nach Düngemitteln in Indien und China ist erheblich gestiegen und übersteigt die einheimischen Produktionskapazitäten, sodass die Einfuhren regelmäßig erhöht werden müssen. Gleichzeitig benötigen die meisten afrikanischen Länder höhere Ernteerträge, was den Einsatz von Düngemitteln erfordert. Phosagro hat seine Düngemittellieferungen in die afrikanischen Länder innerhalb von sechs Monaten um 74 Prozent gesteigert."

Die Lieferungen nach China belaufen sich auf 3,5 Millionen Tonnen und der Export nach Indien erreicht ein Rekordvolumen von 5,4 Millionen Tonnen. Die russischen chemischen Erzeugnisse werden in mehr als 100 Länder verkauft. Der Anteil von Harnstoff aus Russland an den weltweiten Ausfuhren beträgt zwölf Prozent, während Kaliumchlorid 20 Prozent ausmacht. Timofejew stellt fest:

"Das Tempo der Nachfrage nach Düngemitteln ist sehr hoch. Die Nachfrage wächst weltweit um 15 bis 20 Prozent pro Jahr. In Russland wächst die Düngemittelproduktion um drei bis sechs Prozent pro Jahr. Bei diesem Tempo könnte die russische Düngemittelproduktion bis Ende des Jahres auf 60 Millionen Tonnen ansteigen, von denen 35 Millionen Tonnen ins nahe und ferne Ausland exportiert werden."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 24. September 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

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