Wieso will Scholz jetzt Friedensgespräche?
Von Dmitri Bawyrin
"Das ist der Moment, auch darüber zu diskutieren, wie wir aus dieser militärischen Situation schneller zum Frieden kommen, als es im Moment realistisch erscheint."
Mit diesem klobigen Satz verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er seit geraumer Zeit für direkte Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau zur Konfliktbeendigung eintrete. In der Öffentlichkeit peilt Berlin die Lage mit äußerster Vorsicht. Nach Angaben der führenden italienischen Zeitung La Repubblica arbeiten Scholz und seine gleichgesinnten SPD-Kollegen in ihren Büros bereits an einem eigenen Friedensplan. "Es handelt sich dabei um eine Art 'Minsk-3', das die Hypothese der Überlassung eines Teils des ukrainischen Territoriums an Moskau beinhaltet", so die Zeitungsquelle.
Im Runet stellt sich in solchen Fällen die Frage: "Oh, was ist denn da los?"
Früher herrschte in Berlin die allwestliche Maxime, dass die Machthaber in Kiew selbst entscheiden werden, wann sie von Kampfhandlungen zu Verhandlungen mit Russland übergehen, und bis dahin werden die NATO- und EU-Länder die Ukraine "so lange wie nötig" unterstützen. Die Position Kiews ist im Moment die gleiche wie vor einem Jahr. Die in der ersten Sommerhälfte von Wladimir Selenskij geäußerte Rhetorik über die etwaige Möglichkeit eines politischen Dialogs mit Moskau wurde durch die Begeisterung der Ukrainer über den Einsatz der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet Kursk zunichtegemacht. Jetzt lehnt Kiew erneut jegliche Idee von Verhandlungen vor dem Abzug der russischen Truppen "jenseits der Grenzen von 1991" ab.
Die Begeisterung ist inzwischen zwar verblasst, aber die Position bleibt. Und nun stellt sich heraus, dass Deutschland eine andere Position vertritt. Scholz hatte bisher klaglos den westlichen Weg verfolgt, indem er die ukrainischen Streitkräfte belieferte und den Sanktionen gegen Russland zustimmte. Er ging nie voran (dafür war Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen zuständig), aber er zog auch keine Grenze, abgesehen von seiner Weigerung, Langstreckenraketen vom Typ Taurus an die Ukraine zu liefern, da deren Wartung nur durch das deutsche Militär erfolgen könnte.
Dieser Weg führte Deutschland zu milliardenschweren Ausgaben, Verlust von Wettbewerbsvorteilen, Rezession und sinkendem Lebensstandard, aus dem es aber mangels militärischer und politischer Souveränität (das heißt als Vasall der USA) nicht herauskommen konnte. Und plötzlich flattert der "zum Krabbeln Geborene" mit den "Flügeln". Abgesehen von der allgemeinen Härte dieser "Pflicht zu liefern" (die Deutschen gaben am meisten für das ukrainische Projekt in der EU aus und verloren am meisten bei seiner Umsetzung) gibt es dafür zwei offensichtliche Gründe.
Erstens: Regionalwahlen. Die jüngsten Wahlen in Thüringen und Sachsen haben gezeigt, dass die deutschen Wähler entweder diejenigen Kräfte bevorzugen, die Kiew überhaupt nicht unterstützen wollen; oder – im besten Fall für das deutsche politische System – Befürworter von Friedensgesprächen, wie den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU).
Bereits nächste Woche wird in Brandenburg gewählt, einem weiteren östlichen Bundesland, in dem Euroskeptiker willkommen und Russophobe unbeliebt sind. Im besten Fall tritt die SPD als Juniorpartner in einer vielfältigen Koalition an; im schlimmsten Fall wird sie in die Opposition gedrängt, obwohl Brandenburg früher eine Hochburg der Sozialdemokraten war.
Scholz versucht also, die Tagesordnung an sich zu reißen und seine Wähler davon zu überzeugen, dass er der wahre Friedensstifter in Deutschland ist. Obwohl es sich dabei um eine Tätigkeit nach dem Motto "Wenn ich nicht aufhole, dann wärme ich mich wenigstens auf" handelt, kann man dem Kanzler keinen Vorwurf machen: Er hat einen normalen politischen Instinkt. Doch dieser Instinkt wurde zu spät geweckt. Scholz kann nicht wie Senator Lindsey Graham (der in der Russischen Föderation auf der Liste der Terroristen und Extremisten steht) sagen, dass alle Hilfen für Kiew durch die Bodenschätze in den Eingeweiden der Ukraine kompensiert werden. Denn was die geizigen Amerikaner besänftigen würde, gilt nicht für die Deutschen: aus historischen Gründen haben sie keinen Anspruch auf die ukrainischen Eingeweide, und vor allem werden die Amerikaner mit niemandem etwas teilen.
Deshalb spricht sich der Bundeskanzler für die schrittweise Auflösung dieser Party aus, die vom deutschen Volk bezahlt wird. Doch im Großen und Ganzen interessiert das weder Washington noch Moskau. Die Interessen des deutschen Volkes wurden von den USA von vornherein nicht berücksichtigt; vielmehr war eines der Motive für ihr Vorgehen in der Ukraine der Wunsch, die deutsch-russische Wirtschaftskooperation zu zerstören.
Als sich Berlin im Frühjahr der Staatenkoalition anschloss, die auf eine militärische Niederlage Russlands setzte, verlor es die Möglichkeit, die Rolle des Vermittlers zu beanspruchen. Dass diese Wette nicht aufging, ist sein Problem. Sowohl die Hinweise auf einen Taktikwechsel seitens des Bundeskanzlers als auch seine eigene Äußerung über die Verhandlungen erschienen unmittelbar nach seinem Treffen mit Selenskij auf der Militärbasis Ramstein. Dies ist ein besonderer Treffpunkt für die Kiewer Repräsentanten: Dort werden die für die Ukraine bestimmten Rüstungsaufträge an die Länder verteilt, die sie erfüllen können.
Diesmal war Selenskijs Reise anscheinend umsonst, obwohl dieses regelmäßige Treffen in Ramstein mit mehreren anderen großen Waffenpaketen für die ukrainischen Streitkräfte (vor allem aus Schweden) verbunden war. Es ist bereits bekannt, dass Kiew dort keine Erlaubnis zum Abschuss von NATO-Langstreckenraketen auf russisches Territorium bekam, trotz (oder gerade wegen) der "Liste möglicher Ziele", die es seinen Partnern zur Verfügung stellte. Und im Großen und Ganzen beeindruckten seine Zukunftspläne zumindest Scholz nicht. Im Gegenteil, es scheint, als hätten sie ihn dazu gedrängt, das ukrainische Projekt wegen seiner Aussichtslosigkeit zu verlassen.
Das ist in der Tat der zweite offenbare Grund: Selenskijs Fantasien wirken nicht mehr, zumindest nicht auf Scholz, der ihnen seit zweieinhalb Jahren zugehört hat. Der Kanzler ist wohl eher von dem Bild überzeugt, das die deutschen Medien vermitteln, indem sie zum Beispiel den Frontzusammenbruch im Donbass für die ukrainischen Streitkräfte vorhersagen. Und deshalb muss er dringend seine Ansichten ändern, auch wenn das demütigend ist. Aber das Demütigendste für die Deutschen und auch für Scholz persönlich ist die Tatsache, dass sie überhaupt nichts beeinflussen können.
Sie können die militärische Niederlage Kiews nicht verhindern. Die Einstellung des äußerst starrköpfigen Führers des Kiewer Regimes können sie auch nicht beeinflussen. Sie können Russland nicht mit ihren angeblichen Friedensinitiativen beeindrucken. Sie können sich nicht aus dem von einer festen amerikanischen Hand auferlegten Joch befreien. Sie können sich nicht weigern, die fremden Rechnungen zu bezahlen, auch wenn das Geld wirklich ausgegangen ist und die Kiewer Führung jeden Bezug zur Realität verloren hat.
Deshalb ist der Friedensplan von Scholz nur insoweit von Interesse, wie man aus verbrauchtem Papier Mülltüten basteln könnte. Vielleicht sollte er jetzt keine voreiligen Schritte unternehmen, sondern die Niederlage der ukrainischen Koalition mit Würde hinnehmen und sich niemandem als Ansprechpartner aufdrängen. Aber die Würde der deutschen Regierung ist Vergangenheit, genau wie Nord Stream und die Handels- und Industriekooperation mit Russland.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 10. September 2024 zuerst bei der Zeitung "Wsgljad" erschienen.
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