Europa

Der neue ukrainische Außenminister überzeugt durch seine besondere Dreistigkeit

Das Kiewer Regime braucht einen neuen Außenminister, um unter anderem die persönliche Macht von Wladimir Selenskij zu stärken und um aggressiver für militärische Lieferungen zu werben. In dieser Hinsicht ist der dreiste und russophobe Andrei Sibiga der ideale Kandidat.
Der neue ukrainische Außenminister überzeugt durch seine besondere Dreistigkeit© Andrii Nesterewnko/Ukrainian Parliament Press Office via AP

Von Dmitri Bawyrin

Im Mai 2020 kam es im türkischen Urlaubsort Alanya in der Provinz Antalya zu einem sonderlichen Fall von Diskriminierung von Ukrainern aufgrund ihrer Nationalität. Wie es sich für einen gebürtigen Galizier gehört, gedachte der ukrainische Botschafter in der Türkei, Andrei Sibiga, traurig der Niederlage der Banderiten im Zweiten Weltkrieg, als er sah, dass auf dem Stadtplatz zu einem ähnlichen Anlass ein festliches Konzert stattfand. Unter anderem wurde das Lied Katjuscha, und natürlich auf Russisch, gesungen.

Der Botschafter fühlte sich dadurch beleidigt und gab eine Sondererklärung ab, in der er sich erstens über die "militaristische Propaganda des Kremls" beschwerte und zweitens Alanya mit einem Boykott durch ukrainische Touristen drohte.

Dieses Lied stammt übrigens aus der Vorkriegszeit (geschrieben im Jahr 1938). Und wie fast jeder weiß, geht es darin um Liebe. Dabei ist Katjuscha der Name einer jungen Frau, die ihrem Liebsten beim Grenzschutz Grüße schickt, und nicht die Bezeichnung des Feldraketenartilleriesystems vom Typ BM-13. Selbst in dem Dorf in der Nähe von Ternopol, in dem Sibiga 1975 geboren wurde, muss diese Information bekannt gewesen sein.

Für die Verhältnisse des Jahres 2020 schien eine solche Reaktion auf Botschafterebene selbst für das ukrainische Diplomatische Korps, das seit Jahren eine systematische Degradierung erlebt, zu übertrieben zu sein. Es schien, dass es sich wahrscheinlich um die Auswirkungen eines Katers, der einen Karrierediplomaten wie Sibiga seine Position kosten könnte, handelte.

Damals war Wladimir Selenskij gerade erst in das Amt des ukrainischen Präsidenten eingetreten und hatte nichts gegen russische Lieder, die er zuvor in seiner Unterhalterkarriere selbst regelmäßig auf Firmenfeiern vortrug.

Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei nicht um einen Einzelfall von Dummheit (der Botschafter besitzt einfach nicht den erforderlichen Rang, um das Repertoire von Kurortkonzerten zu bestimmen), sondern um ein starkes Karrierestreben, das zwei in Kiew sehr geschätzte Eigenschaften von Sibiga unter Beweis stellte – nämlich Dreistigkeit und Russophobie.

Etwas mehr als vier Jahre nach diesen Ereignissen wurde Andrei Sibiga zum Außenminister der Ukraine ernannt. Er ist immer noch hauptsächlich nur für den Katjuscha-Skandal bekannt.

Der langjährige ukrainische Botschafter in der Türkei hatte sich der Firma des Filmemachers Wladimir Selenskij angeschlossen. Die Türkei war ihr Lieblingsort zur Veranstaltung von Firmenfeiern, vielleicht war das auch der Grund für die Entscheidung.

Nachdem der Filmjurist Andrei Jermak, der zum Architekten der Selenskij-Diktatur und Leiter der Kiewer "Kriegsbefürworterpartei" wurde, in das Amt des Chefs des ukrainischen Präsidialamtes eingeführt worden ist, wurde der Karrierediplomat Sibiga zu seinem Stellvertreter und außenpolitischen Berater ernannt.

In dieser Zeit äußerte sich Sibiga nur selten in der Öffentlichkeit, aber seine "Aussagen" finden sich in vielen großen und scheinbar seriösen Arbeiten, von langen Texten bis hin zu Büchern, die westliche Journalisten über Selenskij schrieben.

Diesen zufolge kann man zu dem Schluss kommen, dass Sibiga sich besonders um das heldenhafte Image seiner Vorgesetzten kümmerte. Zum Beispiel behauptete er, dass die Vertreter der westlichen Länder Selenskij im Frühjahr 2022 dazu gedrängt hätten, die Bedingungen Russlands zu akzeptieren, doch der Präsident hätte beschlossen, "bis zum Ende zu kämpfen".

Im April 2024 wurde Sibiga unerwartet vom Präsidialamt ins Außenministerium versetzt, zu dessen Leiter – Dmitri Kuleba – Andrei Jermak ein schlechtes Verhältnis hatte, wie westliche Medien immer wieder berichteten. Sie konnten den Konflikt beobachten, denn sein Ursprung lag im Ringen um Zugang zu einer Ressource, die in der Ukraine als entscheidend für Machterhalt und Geldbeschaffung gilt – und diese Ressource sind die Kontakte zu Washington.

Jermak strebte eine Monopolkontrolle über diese an, aber Kuleba hatte seine eigenen Kommunikationskanäle (in erster Linie über den US-Außenminister Antony Blinken), und er betrachtete Jermak nicht als seinen Vorgesetzten (und formal hatte er recht), um jeden Schritt in Richtung der Vereinigten Staaten mit ihm koordinieren zu müssen.

Viele politische Analysten sahen damals in der Ernennung von Sibiga zum stellvertretenden Außenminister einen "schwarzen Fleck" für Kuleba. Im besten Fall, so sagten sie, wurde dem Minister ein "Aufpasser" zugewiesen, und im schlimmsten Fall wurde eine Ablösung vorbereitet.     

Das Schlimmste (für Kuleba) ist eingetreten. Jetzt bündelt Jermak noch mehr Macht in seinen Händen, obwohl er so schon die meiste Macht im Land zu haben scheint. In der Tat war die gesamte Personalsäuberung, bei der die Hälfte der ukrainischen Regierung entlassen wurde, notwendig, um die Position von Jermak zu stärken, der nicht nur die Hauptrichtungen der Politik, sondern auch die Schlüsselsektoren der Wirtschaft auf sich konzentriert hatte.

Vielleicht brauchte das Kiewer Regime Sibiga nur und ausschließlich, um seine Machteinheit zu stärken. Selenskij und sein "grüner Kardinal" Jermak haben daraus eine Art Besessenheit gemacht – und können nun nicht mehr aufhören.

Man kann jedoch nicht behaupten, dass sie unter den derzeitigen Bedingungen nichts zu befürchten haben, denn die Umstände sind toxisch – angefangen vom Zusammenbruch der ukrainischen Frontlinie im Donbass bis hin zu den Hinweisen der westlichen Partner, dass es nicht mehr möglich sein wird, so verschwenderisch wie bisher weiterzumachen (die Arsenale sind erschöpft, und auch das Geld wird knapp).

Solche Arrangements fördern innere Konflikte zwischen den Eliten, und die Gefahr solcher Konflikte macht die Zentralisierung der Macht oft zum Selbstzweck.

Wenn dies der Fall ist, dann ersetzt Sibiga Kuleba nur, damit Jermak sich wieder als "Alpha" fühlt und Selenskij ein bisschen weniger Angst um seine Zukunft hat. Es gibt jedoch auch eine andere Version über den Aufstieg des Hassers des Katjuscha-Liedes. Sie stammt von The Economist, stützt sich auf anonyme Quellen und läuft darauf hinaus, dass der Musterschüler Kuleba "sich nicht gerne die Hände schmutzig machte" und seine Diplomatie "nicht immer mit der rüden und emotionalen Rhetorik des Chefs übereinstimmte".

Mit anderen Worten: Der Minister hat die westlichen Partner nicht in der Art und Weise und zu dem Zeitpunkt angepöbelt, wie es das Büro des ukrainischen Präsidenten gerne gehabt hätte. Er hat nicht die nötige unsympathische Frechheit an den Tag gelegt. Er war bis zum Schluss kein "Prolet".

Aber Sibiga wird es sein. Man sieht es ihm an: Er hat das Zeug zum Eintreiber. Ein solcher Mann kann nicht nur frech sein, sondern auch einen Kampf entfesseln, dessen Auslöser überhaupt nicht wichtig ist. Sogar das Lied Katjuscha reicht als Grund aus.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 7. September 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

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