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Der Zweck des ukrainischen Angriffs aufs Gebiet Kursk bleibt für den Westen unklar

Der ukrainische Einmarsch in das Gebiet Kursk, ruft in der ausländischen Presse überwiegend skeptische Einschätzungen hervor. Russische Analysten hingegen neigen zu der Annahme, dass der Angriff dazu dient, zwei politische Aufgaben für Kiew zu lösen.
Der Zweck des ukrainischen Angriffs aufs Gebiet Kursk bleibt für den Westen unklarQuelle: Gettyimages.ru © Russisches Verteidigungsministerium/Handout/Anadolu via Getty Images

Von Oleg Issaitschenko

Im Westen wird weiterhin über die Gründe für den Einmarsch der ukrainischen Streitkräfte in das Gebiet Kursk spekuliert. CNN zitierte US-Beamte mit der Aussage, das Ziel der ukrainischen Behörden sei es, die russische Armee zu demoralisieren und ihre Aufmerksamkeit von anderen Teilen der Ostfront abzulenken. Außerdem glaube Washington nicht, dass die Operation dauerhaft sein werde.

The Washington Post glaubt, dass die Invasion dem ukrainischen Präsidialamt ein Druckmittel für mögliche Verhandlungen mit Moskau verschaffen sollte. Ähnlich sieht es die Nachrichtenagentur Bloomberg:

"Es wird die Argumente Kiews untermauern, dass die Verbündeten in den USA und Europa keine Eskalationsdrohungen des Kreml fürchten sollten und dass sie der Ukraine erlauben sollten, so zu kämpfen, wie sie es für richtig hält."

Andererseits fragt sich The New York Times, ob die ukrainischen Streitkräfte dieses Risiko eingehen sollten, "da die Truppen bereits überlastet sind" und Russland wahrscheinlich "mit Reserven reagieren wird, die nicht in der Ukraine kämpfen". Die Zeitung fügt hinzu:

"Es ist unklar, ob diese Mission der Ukraine helfen wird, ihre Position auf dem restlichen Schlachtfeld zu verbessern, wo sie seit vielen Monaten stetig an Boden verliert. Es bleibt auch unklar, was die Ukraine letztendlich zu erreichen hofft."

The Guardian zitiert John Foreman, einen ehemaligen britischen Militärattaché in Moskau und Kiew, mit den Worten: "Die Operation Kursk ist nicht ohne Risiko, denn sie könnte die knappen ukrainischen Ressourcen von den ohnehin schon langen Frontlinien abzweigen."

In einem anderen Artikel des Blattes heißt es, dass Experten die militärische Zweckmäßigkeit der Invasion skeptisch beurteilen. Jade McGlynn, Wissenschaftlerin am King's College London, meint: "Als politische Strategie hat sich die Invasion jedoch als sehr erfolgreich erwiesen. Sie zeigt einmal mehr, dass die 'roten Linien' nur Worte sind."

Die Nachrichtenagentur Reuters stellt ihrerseits fest:

"Kiew ist besorgt, dass die Unterstützung der USA nachlassen könnte, wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen im November gewinnt. Trump hat erklärt, er werde den Krieg beenden. Sowohl Russland als auch die Ukraine sind bestrebt, auf dem Schlachtfeld die stärkstmögliche Position für Verhandlungen einzunehmen. Die Ukraine will die russischen Streitkräfte in die Schranken weisen und dem Westen zeigen, dass sie immer noch in der Lage ist, große Schlachten zu schlagen."

France 24 ist jedoch der Meinung, dass "die Ziele dieser Operation gelinde gesagt vage sind". Das Medium zitiert einen Analysten mit den Worten: "Es könnte sich um eine Operation zur Zerstörung von Stützpunkten im Hinterland handeln oder um eine Offensive zur Übernahme oder Beschädigung der Energieinfrastruktur." Darüber hinaus seien "erhebliche russische Gegenangriffe" zu erwarten.

"Die Tatsache, dass die Ukrainer beträchtliche Ressourcen in diese Invasion stecken, ist sicherlich keine Garantie für ihren Erfolg", bemerken Autoren der Zeitschrift Forbes, die die gegnerische Gruppierung auf 10.000 Mann schätzen. Sie fügen hinzu:

"Es besteht eine große Chance, dass die ukrainische Operation ihren Planern auf die Füße fällt. Kiew riskiert den Verlust von Tausenden von Soldaten, die nicht so leicht ersetzt werden können."

Währenddessen haben sich die ukrainischen Behörden noch nicht zu den Geschehnissen geäußert. Am Donnerstag stellte Michail Podoljak, ein Berater des Chefs des ukrainischen Präsidialamtes, klar, dass die Provokation der ukrainischen Streitkräfte im Gebiet Kursk die Position Kiews bei möglichen Verhandlungen mit Moskau verbessern könnte. Der ukrainische Machthaber Wladimir Selenskij erklärte seinerseits kontextlos, dass die ukrainische Armee "weiß, wie man überrascht" und "Ergebnisse erzielt".

Der politische Analyst Wladimir Kornilow sagt:

"Generell machen die ukrainischen Behörden keinen Hehl daraus, dass sie eine stärkere Verhandlungsposition brauchen. Eine der Optionen, die im Westen propagiert wird, ist die Festlegung der Grenzen entlang der derzeitigen Frontlinie auf Jahre hinaus. Selenskij ist besorgt, dass Russland seine stetige Offensive im Donbass fortsetzt. Deshalb will er die Bedingungen für Verhandlungen auf Kosten von Offensiven in anderen Richtungen verbessern.

Ein weiteres, rein militärisches Ziel ist es, die russische Armee von der Hauptoffensive im Donbass zur Front bei Kursk umzulenken. Auf diese Weise hofft Kiew, unseren Vormarsch in der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk zu verlangsamen, von wo aus das russische Kommando gemäß dem ukrainischen Plan Einheiten ins Gebiet Kursk verlegen wird."

Der politische Analyst Wladimir Skatschko vertritt eine etwas andere Meinung. Ihm zufolge möchte die ukrainische Seite die finanzielle und militärische Unterstützung des Westens beibehalten, und die Durchführung offensiver Operationen sei die beste Möglichkeit für Selenskij, seine Position zu untermauern. Er erklärt:

"Außerdem werden die Beträge der erklärten Hilfe für die Ukraine schrittweise ausgezahlt. Und damit der Westen die Tranchen nicht verzögert, zeigt Selenskij, dass das Geld der Sache zugutekommt. Somit versucht Selenskij erstens, die westlichen Investitionen für den Konflikt mit Russland zu bewahren, und zweitens, wenn es zu Verhandlungen kommt, Moskau zu Zugeständnissen zu bewegen."

Die politische Analystin Larissa Schesler glaubt: "Meiner Meinung nach wollen die Ukraine und der Westen Russland zu vermeintlich ungünstigen Bedingungen in den Verhandlungsprozess ziehen. Genau das ist das Hauptziel des Angriffs der ukrainischen Streitkräfte. Aber mir scheint, dass dieser Angriff dem Feind im Gegenteil die letzten Argumente entzogen hat. Die einzige Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, besteht darin, die militärische Sonderoperation zu einem Ende zu bringen.

Ich erkenne auch an, dass die Idee, das Gebiet Kursk anzugreifen, ursprünglich aus Selenskijs Amt stammt. Politisch versucht der Westen, sich ein wenig von den Geschehnissen zu distanzieren und so den Vektor der Bewegung der Konfliktparteien hin zu Verhandlungen zu erhalten. Aber all dies ist für Russland völlig inakzeptabel."

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 9. August 2024 zuerst auf der Website der Zeitung Wsgljad erschienen.

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