Europa

Baltische Behörden treiben Russen zum "Guerillakrieg"

Ein neuer Fall "hybrider Kriegsführung Russlands" wird von den baltischen Staaten beklagt: Jemand beschädigte Porträts ukrainischer Militärs in Riga. Davor gab es Brandanschläge auf das "Okkupationsmuseum" und Fußabdrücke auf der Nationalflagge. Waren es wirklich russische Geheimdienste?
Baltische Behörden treiben Russen zum "Guerillakrieg"Quelle: Gettyimages.ru © PHAS/Universal Images Group

Von Nikita Demianow

In Lettland ist abermals von den "Machenschaften der Agenten Moskaus" die Rede. Eine Frau beschädigte drei Plakate ukrainischer Soldaten, die in der Nähe des "Okkupationsmuseums" hingen. Der Frau gelang die Flucht, und die Polizei sucht nun nach der "Verbrecherin". Es wird behauptet, dass sie auf Anweisung der russischen Spezialdienste gehandelt hat.

Das Museum ist ein düsteres Gebäude im Zentrum Rigas, das der "sowjetischen und nazistischen Besetzung Lettlands" gewidmet ist. Die Exponate des Museums sind so ausgewählt, dass sie die sowjetische "Besetzung" Lettlands als etwas viel Schlimmeres als diejenige durch Hitlerdeutschland darstellen. Diese Einrichtung ist für die in Lettland lebenden Russen äußerst irritierend – sie ist eine der ideologischen Stützen des Regimes, das die größte nationale Minderheit des Landes unterdrückt.

Vor einigen Monaten hatte sich hier das "Verbrechen des Jahrhunderts" ereignet – zumindest nach der Reaktion der höchsten Beamten des lettischen Staates auf den Vorfall zu urteilen. In der Nacht des 28. Februar 2024 flog eine Flasche mit einem Molotowcocktail in das Museum. Im Erdgeschoss des Gebäudes fingen ein Tisch und die darauf ausgebreiteten Dokumente Feuer – die Gesamtfläche des Brandes betrug einen halben Quadratmeter. Die Direktorin der Einrichtung, Solvita Viba, behauptete daraufhin, der Anschlag sei "gezielt geplant" gewesen.

Nach einem Treffen mit Präsident Edgar Rinkevics erklärte Premierministerin Evika Silinja, dass die Innen- und Sicherheitsbehörden "mit Hochdruck" an der Suche nach dem Schuldigen arbeiten würden. Und er wurde tatsächlich schnell gefunden. Innenminister Richard Kozlovskis sagte, dass "das Verbrechen dank der Videoüberwachung schnell aufgeklärt werden konnte". Ihm zufolge "war das Verbrechen nicht spontan, der Täter hatte sich vorbereitet".

Die Identität des "Partisanen" wurde noch nicht bekannt gegeben, aber es wurde ein Strafverfahren gegen ihn auf der Grundlage von Artikel 185 Teil 2 des lettischen Strafgesetzes ("Vorsätzliche Zerstörung oder Beschädigung fremden Eigentums, begangen durch Brandstiftung oder auf andere sozial gefährliche Weise") eingeleitet, das eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren vorsieht.

Kozlovskis weist darauf hin, dass "die Straftat im Hinblick auf die Bedingungen der hybriden Kriegsführung, unter denen wir heute leben, bewertet werden muss – und solche Verbrechen stellen eine ernsthafte Bedrohung für die nationale Sicherheit dar". "Die Version, dass es sich um einen von Russland organisierten Sabotageakt handelt, wird derzeit untersucht", betont der lettische Staatssicherheitsdienst (SGB).

Einige Wochen zuvor hatte der SSB die Festnahme eines weiteren "Kriminellen" gemeldet, der angeblich von russischen Spezialdiensten rekrutiert wurde. Es handelte sich um einen Esten mit doppelter russisch-estnischer Staatsbürgerschaft. Dem Festgenommenen wird vorgeworfen, am 29. Januar einen zu Ehren lettischer Legionäre der Waffen-SS errichteten Gedenkstein mit roter Farbe beschmiert zu haben. Der SSB ist sich sicher, dass dieses Objekt für die russischen Spezialdienste so störend ist, dass sie eigens ihren "Agenten" geschickt haben, um es zu "entweihen".

Der lettische Dienst arbeitet in diesem Fall mit der estnischen Sicherheitspolizei (KaPo) zusammen, da es in letzter Zeit auch in Estland zu ähnlichen Vorfällen gekommen ist. Am 23. Januar besprühten mehrere Personen im Schutz der Nacht Denkmäler für Angehörige der estnischen Waffen-SS-Division mit roter Farbe. Sie malten schwarze Hakenkreuze auf die Denkmäler und in Rot das Zeichen X. In diesem Zusammenhang leitete die estnische Polizei ein Strafverfahren unter dem Paragrafen "Schändung des Andenkens an die Verstorbenen" ein. Am 31. Januar wurden die SS-Denkmäler erneut mit roter Farbe beschmiert.

Bald darauf gab die KaPo die Verhaftung der "Vandalen" bekannt – zwei Männer, von denen einer russischer Staatsbürger mit ständigem Wohnsitz in Estland ist, und der andere die estnisch-russische Doppelstaatsbürgerschaft besitzt (offenbar handelt es sich bei dem zweiten um denselben Mann, der von den Letten verhaftet wurde). Staatsanwalt Triinu Olev sagte, dass einer der Festgenommenen "auch verdächtigt wird, das Flachrelief von Alfons Rebane mit Farbe geschändet zu haben. Rebane war ein SS-Standartenführer estnischer Herkunft. Die estnische Staatspropaganda behauptete auch hier, dass die Inhaftierten "Befehle zur Begehung von Verbrechen" aus Russland erhalten hätten.

Im Allgemeinen glauben Letten, dass das heimtückische Moskau unerschöpflich kleinliche Intrigen spinnt. So haben Unbekannte vor vier Monaten ein Video in die sozialen Netzwerke gestellt, auf dem ein russischsprachiger Mann zu sehen ist, der seine schmutzigen Schuhe an einem Bild der ukrainischen Flagge in Riga abwischt. Die Polizei leitete eine Untersuchung ein und nahm diesen Vorfall ebenso ernst wie einen anderen ähnlicher Art: Auf einem Plakat, das in Riga im Auftrag der Stadtverwaltung aufgestellt worden ist, malten Unbekannte das Symbol "Z" auf die ukrainische Flagge.

Der lettische Sicherheitsexperte Kārlis Apalups stellte einen Anstieg der Zahl der vom Staatssicherheitsdienst eingeleiteten Verfahren fest und brachte dies mit dem Anwachsen der prorussischen Stimmung in Verbindung. Er behauptet, dass die Zahl der Fälle von "Vandalismus" mit dem Ziel, Russland zu unterstützen, in den vergangenen Monaten um 38 Prozent gestiegen sei. Apalups zufolge werden Dutzende von Letten, die kürzlich der "Spionage" beschuldigt wurden, von russischen Sicherheitsdiensten über Telegram rekrutiert. Allen Personen, die mit Russland sympathisieren, drohte er schwerste Konsequenzen an:

"Ich möchte denen sagen, die denken, es sei leicht, mit Telegram Geld zu verdienen, denkt daran – Russland wird niemals für euch kämpfen! Ihr seid keine Spione, ihr seid nicht unentbehrlich – ihr werdet in lettischen Gefängnissen verrotten!"

Nicht nur in Lettland und Estland, sondern auch in Litauen kommt es zu Angriffen auf Wahrzeichen des Staates. Vor kurzem haben Unbekannte in der Stadt Klaipeda die litauische Nationalflagge geschändet – das Tuch wurde vom Fahnenmast entfernt und in Brand gesetzt. Einige Tage zuvor wurde eine litauische Flagge mit einem Brandloch in einem Mülleimer gefunden.

All diese Fälle sind auf Handlungen von Personen zurückzuführen, die ihre Abneigung gegen die bestehende Ordnung zeigen wollten. Doch in Lettland werden harmlose Handlungen, die auch bei näherer Betrachtung kein Verbrechen darstellen, ab jetzt mit strafbaren Handlungen gleichgesetzt.

So wurde am 4. Mai in Liepaja, Lettland, der 59-jährige Lkw-Fahrer Alexander Demidow festgenommen und ins Gefängnis gesteckt, weil er einen Aufkleber mit dem Bild des Siegesordens an die Wand des Stadtmuseums geklebt hatte. Ihm werden zwei Artikel des lettischen Strafgesetzbuches zur Last gelegt: 74.1 ("Rechtfertigung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen gegen den Frieden und Kriegsverbrechen") und 81 ("Unterstützung eines ausländischen Staates bei Aktivitäten gegen Lettland").

Demidow erklärte, dass seine Großmutter während der deutschen Besatzung mit ihren Kindern (darunter seine spätere Mutter) aus der Region Pskow zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt worden war. Daher ehrt er die Sieger des Nationalsozialismus – und durch das Anbringen des Aufklebers wollte er ihr Andenken ehren. Da Alexanders "Verbrechen" als besonders "schwer" eingestuft wurde, weigerte sich das Gericht, ihn auf eigene Verantwortung aus der Haftanstalt zu entlassen.

Den Weg des gewaltlosen Widerstands wählte die in Riga lebende Jelena Kreile, die verhaftet wurde, weil sie Installationen mit den Farben der russischen Flagge am Fenster ihres Hauses angebracht hatte.

Kreile wird erneut wegen "Rechtfertigung von Kriegsverbrechen" angeklagt – es ist bereits der dritte Fall dieser Art für sie. Im ersten Fall wurde sie festgenommen, weil sie Plakate zur Unterstützung Russlands aufgehängt und eine Jacke mit der russischen Trikolore sowie eine Tasche mit dem Buchstaben "Z" getragen hatte, im zweiten Fall – erneut wegen des Anbringens von weiß-blau-roten Installationen in Fenstern –  auch wegen eines Telefons mit der Aufschrift "Meine Verbindung zum Kreml", wegen selbst gebastelter Flaggen der Russischen Föderation und des Russischen Reiches und Plakaten "Putin ist mein Freund", "Ich bin ein russisch-lettisch-sowjetischer Mensch" und "Dievs, sarga Latvija" ("Gott rette Lettland").

Während Kreile in den vorangegangenen Fällen mit Bewährungsstrafen davonkam, forderte der Staatsanwalt dieses Mal dreieinhalb Jahre Haft für sie. Jelena verärgerte das Gericht dadurch, dass sie während der Anhörung aus Prinzip nur auf Russisch sprach und, wie sie sagte, "über die Behörden, die Russophobie und die Ausgrenzung des verängstigten multinationalen Volkes ihres Heimatlandes sprach …".

Lokale Nationalisten haben keinen Zweifel daran, dass in den baltischen Staaten ein von Moskau gesteuertes "Untergrundnetzwerk" operiert. Ihrer Meinung nach wurden alle diese Vorfälle, vom "Molotow-Cocktail" in dem Besatzungsmuseum bis zur weiß-blau-roten Installation im Fenster, von dem russischen Geheimdienst geplant.

Dies ist jedoch nichts weiter als Spekulation, sonst wäre die "Sabotage" nicht so offenkundig hilflos und lächerlich. Vielmehr geht es um etwas anderes: Die spontanen Aktionen sind Ausdruck der Wut und Verzweiflung der einheimischen Russen – Menschen, die des Rechts beraubt wurden, in ihrer Muttersprache zu lernen, und denen die Denkmäler ihrer Großväter entzogen wurden, die in der Sowjetarmee gekämpft haben. Menschen, die täglich aus ethnischen Gründen eingeschüchtert, gedemütigt und erniedrigt werden. Aber nicht alle haben sich auf Dauer einschüchtern lassen – einige waren im Gegenteil gezwungen zu handeln, wenn auch auf verzweifelte Art und Weise.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Originalartikel ist am 4. Juli 2024 in der Zeitung "Wsgljad" (vz.ru) erschienen. 

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