"Zweitklassige Militärmacht" - Britische Streitkräfte nicht auf einen Konflikt vorbereitet
Von Alexander Karpow
Im Vereinigten Königreich seien die Streitkräfte nicht in der Lage, sich an Konflikten "jeglichen Ausmaßes" zu beteiligen und das Land zu verteidigen. Dies berichtet die Zeitung Financial Times unter Berufung auf Rob Johnson, den ehemaligen Direktor des Büros des Staatssekretärs für Bewertung von Strukturen und Herausforderungen des britischen Verteidigungsministeriums. Die Zeitung zitierte den Beamten, der bis vor kurzem mit der Einschätzung der militärischen Stärke Großbritanniens beauftragt war, mit den Worten:
"Im Falle einer großangelegten Operation würde uns schnell die Munition ausgehen.
Unsere Verteidigung ist zu schwach und wir sind nicht darauf vorbereitet, einen bewaffneten Konflikt jeglichen Ausmaßes zu kämpfen und zu gewinnen. Das Vereinigte Königreich ist in eine Situation geraten, in der es die britischen Territorien nicht mehr angemessen verteidigen kann."
Rob Johnson vertritt die Auffassung, dass die britische Armee heute über ein "Minimum" an Fähigkeiten verfügt, die friedenserhaltende und humanitäre Einsätze, die Evakuierung von Zivilisten und einige Aktivitäten zur Sabotagebekämpfung ermöglichen, aber nicht mehr.
So sei die britische Luftverteidigung nicht in der Lage, Angriffe mit Langstreckenraketen abzuwehren, der Royal Navy fehle es an Schiffen, die im Nordatlantik patrouillieren könnten, um russische U-Boote abzuschrecken, und der Royal Air Force fehle es an Kampfflugzeugen, erklärte Johnson.
Er stellte fest, dass die britischen Streitkräfte zum jetzigen Zeitpunkt nicht in der Lage seien, eine kampffähige Expeditionsarmee aufzustellen, wie sie im Falklandkrieg oder im Irak eingesetzt wurde.
Der pensionierte Marschall der Luftwaffe, Edward Stringer, bestätigte gegenüber der Financial Times, dass die britischen Streitkräfte bloß "ein beeindruckendes Erscheinungsbild haben und sich bei Überprüfungen und Übungen gut präsentieren".
Systematische Probleme
Die britischen Medien haben in den letzten Jahren regelmäßig auf den desolaten Zustand der Streitkräfte des Königreichs hingewiesen, der sich durch die Bereitstellung von Militärhilfe für die Ukraine nach dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation noch verschlechtert hat.
So stellte die Times im Jahr 2023 in einem Artikel mit dem Titel "Es ist an der Zeit, einen realistischen Blick auf unsere Streitkräfte zu werfen" fest, dass der beklagenswerte Zustand der britischen Armee London daran hindere, seinen militärischen und politischen Einfluss in der Welt geltend zu machen.
Der Autor des Artikels, der bekannte Militärhistoriker Max Hastings, wies auf die Verringerung des Personalbestands der Armee und die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Soldaten sowie auf die Situation der Royal Navy hin, die ernsthafte Probleme bei der Rekrutierung von Seeleuten hätte. Den regelmäßig außer Dienst gestellten Flugzeugträger HMS Prince of Wales bezeichnete er als "eine Schande, die in eine Schiffsreparaturwerft gehört".
Darüber hinaus haben Hastings und The Times darauf hingewiesen, dass alle drei großen britischen Rüstungskonzerne – Rolls-Royce, BAE und Babcock – mit der Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die Streitkräfte nicht Schritt halten könnten.
Sky News zitierte anschließend Quellen, wonach ein hochrangiger US-General dem damaligen britischen Verteidigungsminister Ben Wallace mitgeteilt habe, dass das Pentagon eine schlechte Meinung von der Qualität der Streitkräfte des Königreichs habe.
Die Quellen des Fernsehsenders, die mit dem Inhalt des Gesprächs vertraut gewesen sein sollen, berichten, dass der US-Militärkommandeur sich auf eine Bewertung der militärischen Macht berief, deren erste Stufe von Mächten wie den Vereinigten Staaten, Russland, China und Frankreich gehalten wird. Die zweite Stufe umfasst Staaten mit geringerer Kampffähigkeit, wie Deutschland oder Italien. Der US-General soll den britischen Verteidigungsminister darauf hingewiesen haben, dass die britischen Streitkräfte nicht der ersten und nicht einmal der zweiten Stufe entsprächen.
Der Fernsehsender gab die Identität des US-Militäroffiziers nicht preis, Experten gehen jedoch davon aus, dass es sich höchstwahrscheinlich um den Vorsitzenden der US-amerikanischen Joint Chiefs of Staff, Mark Milley, handelt.
Anfang Februar 2024 veröffentlichte der Verteidigungsausschuss des britischen Unterhauses einen Bericht, in dem festgestellt wurde, dass die Armee des Königreichs chronisch unter Waffen- und Ausrüstungsmangel leidet und "schneller Personal verliert, als sie rekrutieren kann".
Aus diesem Grund wären die britischen Streitkräfte nicht in der Lage, im Falle eines großen und langwierigen Krieges zu kämpfen, heißt es in dem Dokument.
Um den weiteren Verfall der Streitkräfte zu stoppen, kündigte der Premierminister des Königreichs, Rishi Sunak, Ende Mai seine Absicht an, die Wehrpflicht für junge Männer einzuführen, falls die Konservative Partei die kommenden Wahlen gewinnt.
Allerdings wurde dieser Plan in erster Linie vom britischen Militär selbst kritisiert. So bezeichnete Admiral Alan West, ehemaliger Chef des Marinestabes, diesen Plan als "dumm" und betonte, dass die Armee mehr finanzielle Mittel und keine unausgebildeten jugendlichen Freiwilligen benötige.
Auch die britische Fachwelt hat auf die Probleme im Verteidigungssektor aufmerksam gemacht. Keith Hartley, Experte für Verteidigungsfragen und Wirtschaftsprofessor an der Universität York, erklärte im April, der militärisch-industrielle Komplex des Königreichs sei in die Falle getappt, die der Chef von Lockheed Martin, Norman Augustine, in den 1990er-Jahren beschrieben hatte.
Diese besagte: Da die Militärtechnologie immer komplexer wird, würden die Kosten so stark steigen, dass sich die Länder schließlich nur noch ein Kriegsschiff, einen Panzer und ein Flugzeug leisten könnten.
Hartley beklagte:
"Dieser Trend ist schon seit langem zu beobachten. So kaufte die britische Royal Air Force früher 1.000 Hunter-Flugzeuge, heute setzt sie auf weniger als 150 Eurofighter Typhoon-Kampfjets."
"Schwache Institution"
Analysten wiederum erklären, dass die wichtigsten "Möglichkeiten zur Verteidigung" des Vereinigten Königreichs seine Insellage und die Straße von Dover seien. Der Militärexperte Iwan Konowalow erinnerte gegenüber RT:
"Der Falkland-Krieg war im Jahr 1982, und im Irak waren die Briten keine eigenständige Truppe, sondern operierten unter der Schirmherrschaft des Pentagon mit einem eher kleinen Kontingent und konnten dort keine großen Erfolge vorweisen. Tatsächlich war der Einsatz auf den Falkland-Inseln das letzte, was die britische Armee aus eigener Kraft geschafft hat. Außerdem war das noch zu Zeiten des Kalten Krieges."
Seitdem seien die britischen Streitkräfte ernsthaft heruntergewirtschaftet worden, fügte der Experte hinzu und hob hervor:
"Es handelt sich um eine schwache Institution, deren Zahl ständig schrumpft. Das Hauptaugenmerk Londons liegt auf seinen Sonderdiensten, die sehr aktiv sind, auch in der Ukraine."
Er bezweifelt jedoch, dass die Pläne von Rishi Sunak zur Einführung der Wehrpflicht verwirklicht werden können. Konowalow erklärte:
"Dies wird im Vereinigten Königreich natürlich eine soziale Explosion mit ziemlich unvorhersehbaren Folgen auslösen. Das gilt übrigens auch für alle anderen europäischen Länder. Niemand wird die allgemeine Wehrpflicht freiwillig akzeptieren, denn es wird erforderlich sein zu erklären, warum sie notwendig ist und gegen wen sie sich richtet. Um Selenskij und die Kiewer Nazis zu schützen? Selbst in Großbritannien, das für seine Russophobie bekannt ist, wird man das wohl kaum verstehen."
Seiner Meinung nach ist das Vereinigte Königreich keine Militärmacht ersten Ranges. Der Analyst ist sich sicher:
"Es handelt sich um eine zweitrangige Militärmacht, und sie wird ihr Potenzial nicht wiedererlangen. Dabei muss genau präzisiert werden, von welcher Art von Potenzial wir sprechen. Von der Größe des britischen Empire? Das ist natürlich unmöglich. London hält seine Stellung in der Welt nur dank seines Finanzsystems und seiner Geheimdienste."
Alexander Michailow, Leiter des Büros für politisch-militärische Analysen, äußerte sich gegenüber RT dahingehend, dass sich das Vereinigte Königreich innerhalb der NATO seit langem auf nachrichtendienstliche Arbeit, Spezialoperationen und Informationskampagnen konzentriere. Er merkte an:
"Die britischen Streitkräfte sind im Moment wirklich nicht in Bestform. Selbst die Royal Navy ist stark abgenutzt, es gibt Probleme mit der U-Boot-Flotte. Es ist nur ein U-Boot im aktiven Dienst. Auch in der Luftfahrt gibt es Probleme: Es gibt immer noch kein neues Kampfflugzeug-Modell als Ersatz für den Eurofighter Typhoon. Und die jüngste Beteiligung von Challenger-2-Panzern an den Kämpfen in der Ukraine hat gezeigt, wie gering ihre Effizienz ist."
Großbritannien sei zwar eine Atommacht mit der Fähigkeit, Waffen und Ausrüstungen zu produzieren, dies habe aber keinen Einfluss auf seine militärische Macht, meint der Analyst. Er fügte hinzu:
"Großbritannien ist einer der weltweiten Hauptproduzenten von Waffen und gehört traditionell zu den fünf führenden Ländern in diesem Bereich. Seine Waffen werden sowohl innerhalb als auch außerhalb der NATO-Allianz verkauft. Und Waffenexporte sind für London wichtiger als die Ausrüstung des eigenen Militärs."
Mehr zum Thema – "Ziehen definitiv in den Krieg" – Britische Armee wirbt um weiße Hetero-Männer
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.