Trickreich für die Ukraine: Kriegsfinanzierung durch Friedensfonds
Von Rüdiger Rauls
Vorgeschichte
Die Unterstützung der ukrainischen Kriegsführung aus einem Topf, der sich europäische Friedensfazilität nennt, ist nicht nur Etikettenschwindel. Diese Begriffsverwirrung entspricht dem tatsächlichen Denken in den Führungsetagen des politischen Westens, der glaubt, dass es nur Frieden gibt, wenn er selbst militärisch überlegen ist. Aufrüstung in welcher Form auch immer ist nach dieser Sichtweise unabdingbar für die Friedenssicherung. Frieden gibt es in diesem Denken nur, wenn der politische Westen seine eigene Friedensordnung durchsetzen kann.
Diese Sichtweise ist der Hintergrund für die Einrichtung der europäischen Friedensfazilität. Mit dem Wahlsieg von Donald Trump und dessen Drohungen gegenüber den europäischen NATO-Mitgliedern sahen diese ihr Schutzbedürfnis berührt. Trump wollte mehr Geld von ihnen oder aber den Rückzug der USA aus dem Bündnis. So beschloss die EU, selbst mehr für die eigene Verteidigung zu tun, nicht zuletzt auch um von den USA unabhängiger und weniger erpressbar zu werden.
Um dieses Ziel zu erreichen, war der damalige Kommissionschef Jean Claude Juncker der Meinung, dass vor allem die Entwicklungsausgaben kostengünstiger gestaltet werden sollten. "Die europäische Rüstungsindustrie müsse stärker zusammenarbeiten, hier gebe es ein Einsparungspotenzial von 25 bis 100 Milliarden Euro pro Jahr". Wie viel Geld und in welche Techniken oder Ausrüstungen investiert wird, sollten aber weiterhin die Mitgliedsländer entscheiden.
Um diesen die Investitionen schmackhaft zu machen, sollten Ausnahmen bei den EU-Regeln vorgenommen werden. Investitionen in diesen Fonds konnten sich mindernd auf die Defizite der Haushalte auswirken, was bedeutet, dass die Schuldenregeln aufgeweicht werden sollten. Der Anfang für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik war gemacht. Die Spannungen im Bündnis zwischen den USA und den Europäern nahmen zu. Am 7.11.2019 erklärte der französische Präsident in seiner bekannt großspurigen Art die NATO für "hirntot".
Am 16. Juni des Jahres 2020 verkündete Trump den Plan, 9.500 amerikanische Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Die Lage im Bündnis verschlechterte sich zusehends. Der ehemalige deutsche Außenminister Heiko Maas kam damals zu dem Schluss: "Wir werden uns Gedanken machen, wie wir die Konflikte rund um Europa künftig auch ohne die USA besser eindämmen können". Damals waren damit hauptsächlich die Konflikte im Nahen Osten und Nordafrika gemeint, deren Flüchtlingswelle Europa zu spüren bekam.
Im März 2021 war im Europäischen Parlament "die von Frankreich initiierte "Europäische Friedensfazilität" mit einem Umfang von fünf Milliarden Euro verabschiedet" worden. Mit diesem Betrag sollte der Fond bis 2027 durch die EU-Mitgliedstaaten ausgestattet werden. Er schaffte erstmals "ein einziges Instrument für die umfassende Finanzierung der gesamten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in den Bereichen Militär und Verteidigung [und ermöglichte der EU,] Hilfe und militärische Ausrüstung in die ganze Welt zu schicken".
Neue Orientierungen
Im Verlauf des Jahres 2021 nahmen aber die Spannungen zwischen der NATO und Russland dramatisch zu. Offensichtlich drängte es den politischen Westen, den Druck auf Russland durch eine neue Erweiterungsrunde zu verstärken. "Wenn die EU ein wichtiger geopolitischer Akteur werden will, muss sie nicht nur in Afrika, sondern auch in ihrer östlichen Nachbarschaft aktiv werden", erklärte der stellvertretende litauische Verteidigungsminister Margiris Abukevičius am Rande des NATO-Ministertreffens in Riga am 1.12.2021. Bereits im Verlauf des Jahres 2021 hatte sich der Schwerpunkt der EU-Politik eindeutig nach Osteuropa verschoben. Die EU hatte angekündigt: "Ab dem nächsten Jahr wird sie[EU] der Ukraine, Georgien und Moldawien Sicherheitshilfe leisten."(6). Besonders die Ukraine wurde aufgerüstet.
Die offene militärische Konfrontation mit dem Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar 2022 in der Ostukraine schien hinter den Kulissen andere Gefühle geweckt zu haben, als die öffentlich vorgetragene Empörung und Betroffenheit den Eindruck hinterließen. Jedenfalls schien diese Entwicklung dem Außenbeauftragten der EU, Josep Borrell, nicht so ungelegen zu kommen, als er bereits am 1. März feststellte: "Dies ist ein Moment, in dem das geopolitische Europa geboren wird". Nicht nur bei ihm reiften große Pläne, deren Saat wohl schon länger gekeimt hatte.
Bereits in der Woche zuvor hatte die EU die schärfsten Sanktionen gegen Russland verhängt, die jemals gegen ein Land ausgesprochen worden waren. Die Russen sollten "die Folgen [der Invasion] in Form von Inflation und dem Verfall ihrer Währung zu spüren" bekommen, so Borrell. Am 27. Februar hatte die EU darüber hinaus 500 Millionen Euro an die Mitgliedsstaaten freigegeben, "um damit die ukrainischen Streitkräfte mit zusätzlichen Waffen auszustatten".
Da aber die europäischen Verträge verbieten, den regulären Haushalt der EU zur Finanzierung von Kriegen zu verwenden, griff man auf die fünf Milliarden der Europäischen Friedensfazilität zurück. Denn diese unterlag als "außerbudgetäres Finanzierungsinstrument" nicht dem regulären EU-Haushalt. Juristische Einwände, ob diese Verwendung zulässig sei, wischte Borrell im Gutsherrenstil vom Tisch: "Doch, das können wir. Ja, wir haben es getan". Das schien zu genügen.
Nicht nur, dass die EU das ursprüngliche geografische Ziel der Europäischen Friedensfazilität (EFF) von Süden nach Osten umgelenkt hatte, jetzt wurde sie auch noch zweckentfremdet. War sie ursprünglich gedacht als Finanzquelle zur Vermeidung von Kriegen und für humanitäre Missionen, so war sie nun mit einem Federstrich zu einem Mittel für Kriegsführung und den Kauf von Waffen umgemünzt worden.
Die Gremien der EU hatten darüber hinaus ihre eigenen Grundsätze der Haushaltsführung und Mittelverwendung sowie die Einhaltung der eigenen Regeln über Bord geworfen, ohne die rechtsstaatlichen Voraussetzungen dafür geschaffen zu haben. Die EU war selbst jener Willkür verfallen, die sie bei den sogenannten autokratischen Staaten als Mangel an Rechtsstaatlichkeit immer wieder angeprangert und zum Anlass für Sanktionen genommen hatte.
Abwrackprämie für Waffen
Mit der Genehmigung der ersten 500 Millionen Euro zur Finanzierung von Waffenkäufen durch die EU-Mitgliedsstaaten zugunsten der Ukraine war der Anfang gemacht und danach schien es kein Halten mehr zu geben. Borrell und von der Leyen wirkten von dieser Entwicklung nahezu berauscht. Man sah sich als Wegbereiter einer neuen Zeit und Gestalter einer neuen Politik, die mit Tabus brach und alte Zöpfe abschnitt. Es klang fast nach Revolution.
"Ein weiteres Tabu ist in diesen Tagen gefallen – das Tabu, dass die EU ihre Ressourcen nicht nutzen kann, um Waffen an ein Land zu liefern, das von einem anderen angegriffen wird", sagte EU-Chefdiplomat Josep Borrell. Und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fügte begeistert hinzu: "Zum ersten Mal überhaupt wird die EU den Kauf und die Lieferung von Waffen und anderer Ausrüstung an ein angegriffenes Land finanzieren… Dies ist ein Wendepunkt".
Das hört sich nach Erlösung an, als habe man lange auf diese Gelegenheit gewartet. Und dementsprechend hagelte es nur so Milliarden. Da die EU selbst nicht über eigene Waffen verfügt, sollten die Mitglieds-Staaten Waffen aus eigenen Beständen an die Ukraine abgeben. Diese Lieferungen sollten den Staaten aus der Europäischen Friedensfazilität zu einem Großteil erstattet werden.
Besonders die Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes sahen darin eine Abwrackprämie für ihr veraltetes sowjetisches Gerät, mit dem auch die ukrainische Armee ausgestattet war. Innerhalb weniger Monate waren so viele Waffen abgegeben worden, dass die Erstattungsforderungen der Mitglieds-Staaten den Rahmen der Friedensfazilität sprengten. "Der Fonds wurde in den fast 10 Monaten des Krieges in der Ukraine weitgehend ausgeschöpft. Mehr als die Hälfte des Fonds wurde für militärische Hilfe an die Ukraine verwendet." Dabei waren die ursprünglich etwa sechs Milliarden Euro des Fonds vorgesehen für den Zeitraum bis zum Jahre 2027.
Bereits am 7. April 2022 waren die Mittel für die Erstattung von Waffenlieferungen der Mitglieds-Staaten aus dem Fond zum dritten Mal aufgestockt worden auf damals 1,5 Milliarden Euro. Nun, am 12. Oktober 2022, musste eine sechste Aufstockung des Fonds um 500 Millionen Euro beschlossen werden. Denn die Mittel reichten nicht aus, um die Waffenwünsche der Ukraine, aber auch die Erstattungsforderungen der Mitglieds-Staaten zu erfüllen.
Als zu Beginn des Krieges der Topf für die Waffenspenden an die Ukraine noch 500 Millionen Euro umfasste, waren bereits 600 Millionen Euro an Erstattungsforderungen vonseiten der Mitglieds-Staaten eingegangen. Besonders Polen hatte der Ukraine "eine beträchtliche Menge an Panzern, Haubitzen, Flugabwehrwaffen und anderen militärischen Ausrüstungen übergeben". Als der Topf für die Erstattungen im April bereits auf 1,5 Milliarden angeschwollen war, "gingen jedoch bereits rund 3,3 Milliarden Euro an Anträgen ein, wobei mehr als die Hälfte der Einnahmen auf Polen entfiel."
Ursprünglich umfasste die EFF fünf Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2027, aus dem auch andere Länder mit Maßnahmen der Friedenssicherung bedient werden sollten. Inzwischen hat der sogenannte Friedensfonds allein in der Zeit von 2022 bis 2024 "11,1 Milliarden Euro zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte mobilisiert". Seit dem Ausbruch des offenen Konflikts in der Ukraine am 24.2.2022 "haben die EU und ihre Mitgliedstaaten über 143 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine und ihrer Bevölkerung bereitgestellt oder zugesagt: Zusammen mit der militärischen Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten wird die Gesamtunterstützung der EU für die ukrainische Armee auf 33 Milliarden Euro geschätzt".
Das sind nur die Zahlen für die EU, hinzu kommen noch die der USA und anderer Staaten des politischen Westens. Unklar ist in der Öffentlichkeit, wie all diese Milliarden finanziert werden, wie viele davon Kredite und wie viele Zuschüsse sind, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Vermutlich haben nicht einmal die EU und ihre Mitgliedsstaaten einen Überblick über die Verbindlichkeiten, die sie selbst und die Ukraine eingegangen sind. Als die USA im April dieses Jahres weitere sechzig Milliarden Dollar für die Ukraine locker machen konnten, war man sich im Lager der Republikaner sicher, dass "niemand glaube, dass Kiew das Geld jemals zurückzahle".
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse
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