Ungereimtheiten bei Einführung des europäischen "Gesundheitsdatenraums"
Von Felicitas Rabe
Am Mittwoch bestätigte das EU-Parlament die Einführung eines europäischen "Gesundheitsdatenraums" (European Health Data Space, EHDS). Die Abgeordneten stimmten damit einer neuen "Gesundheitsdateninfrastruktur" zu, die zuvor zwischen der EU-Kommission und dem Rat ausgehandelt wurde. Über den Hintergrund einer europäischen Gesundheitsdatenverbreitung steht auf der Webseite der EU-Kommission an erster Stelle, die einzelnen EU-Bürger sollten damit angeblich die Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten bekommen:
"Der EHDS wird:
- den Einzelnen in die Lage versetzen, die Kontrolle über seine Gesundheitsdaten zu übernehmen, und den Austausch von Daten für die Gesundheitsversorgung in der EU erleichtern (primäre Verwendung der Daten)
- einen echten Binnenmarkt für elektronische Patientendatensysteme fördern
- ein kohärentes, vertrauenswürdiges und effizientes System für die Wiederverwendung von Gesundheitsdaten für Forschung, Innovation, politische Entscheidungen und regulatorische Tätigkeiten bereitstellen (sekundäre Datennutzung)"
An zweiter und dritter Stelle steht also die Förderung eines Markts für Patientendaten und die Bereitstellung eines effizienten Systems zur Überwachung und Kontrolle von Menschen ("regulatorische Tätigkeiten") Die Details dazu kann man im EU-Dokument "Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über den Europäischen Gesundheitsdatenraum" nachlesen.
Wie das Ärzteblatt am Mittwoch berichtete, könne nun mit dem Aufbau einer EU-weiten Gesundheitsdateninfrastruktur begonnen werden. Neben der Nutzung der Daten für eine grenzübergreifende medizinische Versorgung würde die Einsicht in die individuellen Gesundheitsdaten der Menschen jetzt auch grenzübergreifend für die Pharmaindustrie freigegeben. Im Ärzteblatt heißt es dazu: "Zudem sollen Gesundheitsdaten europaweit für die Forschung geteilt und genutzt werden können."
Dabei sollen dem Fachblatt zufolge die Versicherten "ähnlich wie auf nationaler Ebene" in Europa "die Möglichkeit haben, bei besonders sensiblen Daten wie psychischen Erkrankungen die Sichtbarkeit für Heilberufler und eine Weiterverwendung für die Forschung zu verweigern". Diese Ärzteblatt-Darstellung über die Optionen bei der elektronischen Patientenakte in Deutschland kollidiert mit der sogenannten Opt-Out-Regelung in Deutschland. Gemäß dieser von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bislang zugesagten Option könnten deutsche Krankenversicherte ganz grundsätzlich der Einrichtung einer elektronischen Patientenakte widersprechen.
Nach der aktuellen Auslegung im deutschen Ärzteblatt zur Freigabe der Gesundheitsdaten für ganz Europa hätten Versicherte jetzt nur noch die Möglichkeit, die Sichtbarkeit von Daten über psychische Erkrankungen zu verweigern. Der Beitrag verliert kein Wort darüber, wann in Deutschland die Möglichkeit des Opt-Out-Verfahrens abgeschafft wurde, wonach keinerlei Gesundheitsdaten eines Versicherten auf der Gesundheitskarte gespeichert werden dürfen.
Wenn es allerdings neuerdings so sein sollte, dass man hierzulande als Patient zwar nicht mehr die Speicherung aller Gesundheitsdaten, aber angeblich wenigstens die Sichtbarkeit von psychischen Gesundheitsdaten verweigern kann, welche Behörde bestimmt dann die Grenze zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen und somit darüber, welche Daten scheinbar uneingeschränkt freigegeben werden müssen?
Mit anderen Worten, ab wann ist ein Magengeschwür kein Stresssymptom mehr, und ab wann zählen Verletzungen durch Suizidversuche zu den psychischen Erkrankungen? Auch eine Leberzirrhose oder eine Krebserkrankung kann schließlich mit einer Suchterkrankung zusammenhängen und damit psychisch verursacht sein. Diese Einordung scheint noch nicht geklärt zu sein.
Im nächsten Schritt müssten die EU-Mitgliedstaaten die europäische EHDS-Verordnung über die Freigabe der Gesundheitsdaten der Versicherten noch auf nationaler Ebene implementieren. Dafür habe man "regulatorische Freiheiten" für die Länder ausgehandelt, so die Fachzeitung. Der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt stellte in seinem Kommentar das quasi demokratische Vorgehen der EU-Institutionen heraus. Während der Verhandlungen hätten das EU-Parlament und der Rat den "Vorschlag der EU-Kommission erheblich verbessert". Reinhardt erklärte zur EU-Entscheidung, sie habe das Potenzial, den europaweiten Austausch von Patientendaten zu vereinfachen. Ihm zufolge gibt es in Deutschland Datenautonomie für die Versicherten:
"Erst der vorliegende Kompromiss wird unserer Vorstellung von Autonomie der Patientinnen und Patienten über ihre Daten gerecht",
so Reinhardt.
Bei der Umsetzung der europäischen Verordnung müsse man nun in Deutschland nur noch darauf achten, dass man hierzulande weiterhin der Weitergabe der elektronischen Gesundheitsdaten widersprechen könne. Das Ärzteblatt gab Reinhardts Aussage zu seinen Vorstellungen über die individuelle Verweigerungsmöglichkeit der deutschen Versicherten und eine scheinbar noch vorhandene deutsche Subsidiariät in Bezug auf Gesundheitdaten so wieder: "Es sei wichtig, dass die EHDS-Verordnung den Patienten die Möglichkeit einräume, der Zusammenführung oder Weitergabe ihrer elektronischen Gesundheitsdaten zu widersprechen." Die Zeitung zitierte die Forderung des Ärztekammerpräsidenten:
"Dieser Widerspruch muss einfach und jederzeit möglich sein. Hierauf ist bei der Umsetzung in Deutschland zu achten."
Nach Auffassung der Bundesärztekammer sollten an die "Forschung" (also die Pharmakonzerne) "im Regelfall nur anonymisierte Daten" weitergegeben werden. Das Ärzteblatt hob am Ende noch die "Freiheiten" der EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des EHDS hervor. Die Länder hätten demnach "die Möglichkeit, Arztpraxen von der Pflicht auszunehmen, Daten zur Sekundärnutzung bereitzustellen". Grundsätzlich müssten Ärzte die Digitale Umstellung zur Aufarbeitung und Verbreitung der Gesundheitsdaten für die Industrie bezahlt bekommen.
"Klar ist darüber hinaus, dass die Kosten, die den Praxen durch die Umstellung entstehen, kompensiert werden müssen",
forderte Reinhardt dazu.
Nach Auffassung der Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Andrea Benecke, liegt es weiterhin bei den Versicherten, einer solchen "Datenspende" zuzustimmen. Explizit erklärt sie dazu: "Ob man seine Gesundheitsdaten teilen oder für Forschungszwecke spenden möchte, bleibt eine freie Entscheidung."
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