Amsterdamer Politologe: Niederlande sind nach dem Verzicht von Geert Wilders ein unregierbares Land
Von Felicitas Rabe
Im November vergangenen Jahres gewann der rechtspopulistische Kandidat Geert Wilders in den Niederlanden die Parlamentswahl. Bereits zu dem Zeitpunkt war vielen Niederländern klar gewesen, dass Wilders niemals Ministerpräsident werden könnte. Schließlich könne ein derart obsessiver und offensichtlicher Gegner von Menschen mit muslimischem Glauben kein Land führen, das mit islamischen Ländern, wie zum Beispiel Saudi-Arabien oder anderen Golf-Staaten, wichtige Beziehungen pflegt.
Dennoch wurde bis März versucht, eine Regierungsbildung mit ihm als Premier zustande zu bekommen. Erst am 13. März erklärte Wilders, er würde auf das Amt verzichten. Wie wird es jetzt mit der Regierungsbildung in den Niederlanden weitergehen? Im Telefon-Interview mit Felicitas Rabe analysierte der Amsterdamer Politikwissenschaftler Prof. Kees van der Pijl am Donnerstag die verwickelte Lage der niederländischen Führung.
Ein Sozialdemokrat als Scout für eine rechtskonservative Regierungsbildung
Das heutige politische System in seinem Land sehe vor, so van der Pijl, dass nach einer Wahl eine Art Scout bestimmt wird, der die Möglichkeiten der Regierungsbildung evaluiert und darüber ein Gutachten verfasst. Es ginge dabei aktuell darum, wie man aus der alten Koalition aus der PVV, also der Liste von Geert Wilders, zusammen mit der liberal-konservativen Partei VVD sowie der Bauernpartei und der NSC, der neuen Sozialvertragspartei, eine Regierung bilden könnte.
Der zunächst bestimmte Scout war ein Mitglied der Wilders-Liste ("PVV") in der Ersten Kammer. Dieser sei aber dann aufgrund eines persönlichen Finanzskandals schnell wieder abgesetzt worden. Merkwürdigerweise sei als Nächstes der Sozialdemokrat Ronald Plasterk mit der Aufgabe betraut worden. Merkwürdig deshalb, weil die an der Regierung zu beteiligenden Parteien mit Ausnahme des heterogenen NSC alle aus dem rechts-konservativen Spektrum seien.
Plasterk habe es schließlich auch aufgegeben, Optionen für eine Regierung unter Geert Wilders zu entwickeln. Auch Kim Putters, dem zuletzt ernannten Scout, sei dies nicht gelungen. Letztendlich habe man sich in den vergangenen Wochen darauf geeinigt, keine Regierung mit Wilders als Premier zu bilden, sondern eine Programm-Regierung. Dabei käme keiner der vier Parteiführer in die Regierung, und die Regierung würde von einem Sachverständigen geführt, erklärte der Politikwissenschaftler.
Mark Rutte legt noch schnell die Politik für die nächsten 2 ½ Regierungen fest
Normalerweise würden sich die Koalitionsparteien auf ein sehr detailliertes Programm festlegen und die Abgeordneten dann während der Regierungszeit nur noch als "Stimmvieh" für ihre Parteien agieren. Im Gegensatz dazu hätten die vier Parteien aufgrund der Sondersituation dieses Mal ein sehr allgemein gehaltenes Programm beschlossen. Infolgedessen könne man in der kommenden Regierung nun viel mehr Debatten im Parlament erwarten. Das führe aber möglicherweise zu einem Regierungsstillstand.
Interessanterweise werde von den zukünftigen Parlamentariern der sozialdemokratische Technokrat Plasterk als möglicher Premierminister vorgeschlagen. Dazu müsse man wissen, erläuterte van der Pijl im Interview, dass sich der ehemalige Vizepräsident der EU-Kommission, der Sozialdemokrat Frans Timmermans, vor den Wahlen ausgerechnet hatte, er würde der neue Premierminister der Niederlande werden. Er habe zuvor seine Position in Brüssel aufgegeben, um in den Niederlanden als Regierungschef ein Repräsentant der EU und der NATO zu werden. Anlässlich seiner Niederlage drohe er nun allen Sozialdemokraten, die der geplanten Regierung beiträten, mit Parteiausschluss.
Die bereits abgewählte Regierung von Mark Rutte beeile sich derweil, noch möglichst viele Verträge unter Dach und Fach zu bekommen. Zuletzt habe sie ein zehnjähriges Verteidigungsabkommen mit der Ukraine beschlossen, obwohl man von ihr als Demissionsregierung erwarte, nur noch die laufenden Geschäfte zu führen. Mit diesem Vertrag seien die nächsten 2 ½ Regierungen schon auf ihre fortlaufende Unterstützung eines kriegsführenden Landes, das weder Mitglied der EU noch der NATO ist, festgelegt worden.
Steigende Popularität von Geert Wilders – in den Augen seiner Gegner ein No-Go für Neuwahlen
Während der monatelangen Verhandlungen habe Geert Wilders Meinungsumfragen zufolge immer weiter an Beliebtheit zugelegt. Um es doch noch als Premierminister zu schaffen, habe er seine sämtlichen bisherigen Positionen aufgegeben, berichtete van der Pijl. So viel sei aus den geheimen Verhandlungen über die Regierungsbildung durchgedrungen.
Um diesem populistischen Repräsentanten aller Kräfte, die gegen die alte Rutte-Regierung opponierten, keine noch größere Chance zu geben, kämen für die Leute außerhalb von Wilders Kreisen deshalb auch auf keinen Fall Neuwahlen in Betracht. Van der Pijl fasste an dieser Stelle die Pattsituation in den Niederlanden zusammen:
"Eigentlich sind wir in einer Situation, wo das Land unregierbar wird. Das Risiko von Neuwahlen kann man nicht eingehen, denn dann würde das Wilders-Problem noch größer, das Problem mit einem Mann, der unmöglich Premierminister werden kann."
Nach Einschätzung des Amsterdamer Politologen werde Ronald Plasterk der neue Ministerpräsident. Die Niederlande würden somit weiter der NATO- und der EU-Linie folgen. Grundsätzlich entwickelten sich die Niederlande immer mehr zu einem autokratischen Staat. Aktuell versuche man zum Beispiel, das Forum für Demokratie von Thierry Baudet zu verbieten, weil es angeblich Gelder aus Russland empfangen haben soll. Von solchen Anschuldigungen und Maßnahmen gäbe es immer mehr.
Prof. Dr. Kees van der Pijl, emeritierter niederländischer Politikwissenschaftler, engagiert sich für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit. Im Jahr 2022 veröffentlichte er das Buch "States of Emergency: Keeping the Global Population in Check". In deutscher Übersetzung erschien sein Buch 2021 unter dem Titel "Die belagerte Welt: Corona: Die Mobilisierung der Angst – und wie wir uns daraus befreien können". Auf seinem Twitter-Account berichtet er regelmäßig auch über die Situation in den Niederlanden.
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