Europa

Präsidentin spricht von "Schicksalswahl" – Slowaken wählen trotzdem SMER-SD

Die pro-europäisch eingestellte slowakische Präsidentin hatte im Vorfeld der Parlamentswahlen von einer "Schicksalswahl" gesprochen. Dennoch siegte Robert Fico mit seiner Partei SMER-SD. Im Wahlkampf hatte er sich sehr kritisch zu Waffenlieferungen an die Ukraine und den EU-Sanktionen gegen Russland geäußert.
Präsidentin spricht von "Schicksalswahl" – Slowaken wählen trotzdem SMER-SDQuelle: AFP © TOMAS BENEDIKOVIC

Von Pierre Levy

Die slowakische Präsidentin hatte einige Tage vor dem 30. September, an dem die 4,4 Millionen Wähler ihre 150 Abgeordneten neu wählen sollten, eine Warnung ausgesprochen. Die pro-europäische Zuzana Čaputová hatte behauptet: Es werde eine "Schicksalswahl" sein, die darüber entscheide, "ob die Slowaken ihre Demokratie und ihre prowestliche Ausrichtung beibehalten wollen."

Trotz – oder vielleicht teilweise dank – dieser Warnung bescherten die Wähler dem Brüsseler Angstgegner, dem ehemaligen Premierminister Robert Fico, einen Sieg von unerwartetem Ausmaß. Mit 23 Prozent der Stimmen (bei einer Wahlbeteiligung von 68,5 Prozent, was einer Steigerung von 2,1 Prozentpunkten gegenüber 2020 entspricht) gewann seine Partei, die SMER-SD, 4,8 Prozentpunkte hinzu und wurde mit Abstand stärkste Kraft, weit mehr als die Umfragen vorhergesagt hatten.

Die SMER-SD – die offiziell immer noch der Sozialdemokratischen Partei Europas angehört, innerhalb dieser aber sehr unbeliebt ist – hatte eine radikale Kampagne mit mehreren Themen geführt, darunter die Einstellung von Waffenlieferungen an die Ukraine und scharfe Kritik an den EU-Sanktionen gegen Russland. 

Militärische Hilfe fördere die Inflation, so Fico, und die Sanktionen schadeten der Slowakei mehr als Moskau, fügte er hinzu. Er verglich sogar die NATO-Soldaten im Land mit den Besatzungstruppen der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs. Unter diesen Umständen ist es verständlich, dass der Mann in den Korridoren in Brüssel, wo man diesen Sieg fürchtete, als "Populist" und "Demagoge" beschimpft wurde. 

Dieses Thema trug zu seinem Wahlerfolg in einem Land bei, in dem die Bevölkerung "pro-russische" Gefühle mit einem der höchsten Anteile innerhalb der EU zum Ausdruck bringt. Eine kürzlich im Auftrag eines westlichen Thinktanks durchgeführte Studie behauptete, dass mehr als ein Drittel der Slowaken die Ansicht teilten, dass der Krieg in der Ukraine auf eine Provokation des Westens zurückzuführen sei. Laut derselben Studie sehe die Hälfte der Bevölkerung die USA als Sicherheitsbedrohung an, und nur 31 Prozent hätten eine positive Meinung vom ukrainischen Präsidenten. 

Die internationale Politik war natürlich nicht das einzige Thema der SMER-SD, die ihr Sozialprogramm hervorhob und die brutale Inflation anprangerte – im August waren es noch 9,6 Prozent, der höchste Wert in der Eurozone. In der Einwanderungsfrage vertritt Fico gegenüber Brüssel ähnlich Positionen wie der ungarische Premierminister Orbán, und er teilt auch dessen Feindseligkeit gegenüber gleichgeschlechtlichen Ehen und generell dessen Haltung in gesellschaftlichen und Migrationsfragen.

Ein weiterer Faktor, der zum Sieg dieser Partei beigetragen hat, ist das anhaltende politische Chaos seit 2020, als eine neue selbsternannte Anti-Korruptions-Partei, OL’ANO, an die Macht kam. OL’ANO führte dann eine Koalition aus vier Parteien an, die nur durch den Willen vereint waren, SMER-SD zu vertreiben, aber ansonsten zeigten sie sich uneins. 

Die Unerfahrenheit des OL'ANO-Chefs und sein autoritäres Verhalten gegenüber seinen Koalitionspartnern (und auch Korruptionsskandale) führten dazu, dass innerhalb von drei Jahren drei Regierungen aufeinander folgten und die Mehrheit zerbrach. Diese Mehrheit hatte jedoch Zeit, große Mengen an Waffen nach Kiew zu liefern...

Mit 8,9 Prozent der Stimmen, gegenüber 25 Prozent vor drei Jahren, erlitt die OL’ANO eine schwere Niederlage. Diesmal aber wurde das EU- und NATO-freundliche Lager auch von der Partei "Progressive Slowakei" (PS, die als "zentristisch" etikettiert wird und aus der die derzeitige Staatschefin hervorgegangen ist) vertreten, die im scheidenden Parlament abwesend war. Diese Partei hatte gehofft, vor der SMER-SD zu landen, erreichte aber letztlich nur 18 Prozent der Stimmen.

Dennoch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben, eine Koalition zu bilden, die den Brüsseler Hoffnungen entspricht. Denn insgesamt sind sieben Parteien im Parlament vertreten. Vier von ihnen könnten zu einer pro-westlichen Mehrheit beitragen: neben PS und OL'ANO die Christdemokraten (6,8 Prozent, +2,2 Prozentpunkte) und die SaS (6,3 Prozent, + 0,1 Prozentpunkte), die wirtschaftlich ultraliberal und gesellschaftlich libertär ist. All diese Parteien kommen insgesamt auf 71 Sitze in einem Parlament mit 150 Sitzen, und verfehlen damit die absolute Mehrheit. Wenn sich diese Parteien zusammenschlössen, würde dies zu einem sehr heterogenen Parteienbündnis führen, was das gleiche Chaos wie bereits zuvor verursachen könnte. 

Was die SMER-SD anbetrifft, so gibt es noch zwei Parteien, mit denen sie sich verbünden könnte. Zum einen die Partei HLAS ("Stimme", die 14,7 Prozent erhielt), welche im Juni 2020 von sozialdemokratischen Dissidenten gegründet worden war. Diese hatten sich zur damaligen Zeit von Ficos zweifelhaftem Image distanzieren wollen. Fico war 2006–2010 und 2016–2018 Regierungschef, hatte aber infolge einer Kampagne seiner Gegner, die ihm Verbindungen zur Mafia und sogar den Auftrag zur Ermordung eines investigativen Journalisten vorwarfen, zurücktreten müssen. Pellegrini, ehemaliger Stellvertreter Ficos und späterer Gründer der Partei HLAS, folgte ihm von 2018 bis 2020 als Premierminister nach. 

SMER-SD und HLAS sind also aus einer gemeinsamen sozialdemokratischen Matrix hervorgegangen. Letztere steht jedoch der westlichen Ideologie näher und lehnt darüber hinaus Bündnisse mit Parteien ab, die als rechtsextrem eingestuft werden. Die SMER hingegen hat bereits zweimal mit der Slowakischen Nationalpartei (SNS) regiert und wurde daraufhin von der Sozialdemokratischen Partei Europas suspendiert (bis sie 2008 schließlich wieder aufgenommen wurde).

Die SNS, die älteste Partei in der Geschichte des Landes (sie behauptet ihre Abstammung von einer 1871 gegründeten Partei), bekennt sich zur nationalen Rechten und steht Brüssel (und nun auch dem militärischen Engagement für die Ukraine) eher ablehnend gegenüber. Mit 5,6 Prozent der Stimmen (gegenüber 3,2 Prozent bei der Wahl 2020) kehrte sie diesmal ins Parlament zurück.

Wenn es diesen drei Parteien, die zusammen 79 Sitze haben, gelingt, sich zu verbünden, wird Robert Fico wieder der starke Mann im Lande sein. Zwar befürwortet er keinen Austritt aus der EU. Aber mit einer Sozialpolitik, die kaum mit den Sparmaßnahmen in der Eurozone vereinbar ist, und einer offenen politischen Nähe zu Viktor Orbán – beide werden von den westlichen Mainstream-Medien als "pro-russisch" gebrandmarkt – wäre ein Premier Fico geeignet, das Gleichgewicht in der EU zu verändern und sogar an deren Grundfesten zu rütteln. 

Auch wenn er erwartet wurde, ist dieser Schlag für Brüssel sehr hart. Die französische Europaabgeordnete Valérie Hayer, die die Delegation der Macronisten im Europäischen Parlament anführt, sprach von einem "dunklen Tag für die Ukraine und die Einheit des Westens". Und man kann davon ausgehen, dass viele europäische Politiker hinter den Kulissen darauf hinarbeiten werden (und besonders Druck auf HLAS ausüben werden), eine Koalition durchzusetzen, die die SMER in der Opposition hält.

Unabhängig vom parlamentarischen Ausgang markiert das Votum der Slowaken auf jeden Fall einen Wendepunkt, der die Europäische Union vor allem in zwei besonders brisanten Bereichen schwächt: den Beziehungen zu Russland, und der Frage der Einwanderung.

Bis zum Ende des Jahres werden die Wähler in zwei weiteren Ländern – Polen und den Niederlanden – an die Urnen gehen. Aus unterschiedlichen, aber nicht weniger entscheidenden Blickwinkeln hat Brüssel viel zu verlieren. Ganz zu schweigen von den Wahlen in mehreren deutschen Bundesländern, in den nächsten Wochen und Monaten, bei denen die Ergebnisse der AfD in den EU-Institutionen besonders genau beobachtet (und gefürchtet) werden.

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