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Neue Regionen kommen unausweichlich hinzu – Medwedew verspricht Befreiung "urrussischer Gebiete"

Vor genau einem Jahr wurden infolge einer Volksabstimmung vier ehemals ukrainische Regionen in das russische Staatsgebiet aufgenommen. Heute ist der Jahrestag ein staatlicher Feiertag – mitten im Krieg, der laut russischem Recht fast ausschließlich auf russischem Territorium stattfindet.
Neue Regionen kommen unausweichlich hinzu – Medwedew verspricht Befreiung "urrussischer Gebiete"Quelle: Sputnik © Kirill Sykow

Von Wladislaw Sankin 

Den meisten westlichen Mediennutzern ist es vielleicht gar nicht bewusst, dass der Ukraine-Krieg sich auf russischem Territorium abspielt – von einem kleinen Landstreifen im ukrainischen Gebiet Charkow abgesehen. So ist die Situation zumindest nach dem geltenden russischen Recht. Und so ist es auf den Tag genau seit einem Jahr, seit auf den Beitrittsurkunden der Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie der Gebiete Saporoschje und Cherson die Unterschrift des russischen Präsidenten steht.

Mit diesem Akt hat Russland die rechtliche Basis für seinen Anspruch auf diese Territorien gelegt. Wenn wir bedenken, dass diese Handlung kurz vor dem Rückzug der russischen Streitkräfte auf dem linksufrigen Teil des Gebiets Cherson und damit auch der Gebietshauptstadt ereignete, war dies ein kühner politischer Schachzug. Für diese Entscheidung spielte beispielsweise keine Rolle, ob die Einwohner der Gebiete Cherson und Saporoschje für ihr Recht, mit Russland zu sein, gekämpft haben oder nicht. Neben der wehrhaften Ablehnung des ukrainischen Nazismus in den acht Jahren zuvor abgespalteten Volksrepubliken Donezk und Lugansk zählte vor allem auch gemeinsame Herkunft in einem Staat als Argument für die Wiedervereinigung.

Seitdem wird immer wieder spekuliert, vor allem in der russischen Blogosphäre, aber auch in militärnahen Expertenkreisen, ob Russland auch auf weitere Gebiete der ehemaligen Ukrainischen Sowjetrepublik Ansprüche erheben wird. "Wir sind ein Volk", sagte Wladimir Putin am ersten Jahrestag der Wiedervereinigung in seiner feierlichen Ansprache zu den Einwohnern der vier neuen Regionen. Damit meinte er wohl nicht nur Russischstämmige oder Russofone. Auch früher hatte er betont, dass Russen und Ukrainer "im Grunde" ein Volk seien.

Noch mehr Klarheit brachte der Ex-Präsident und Vizechef des Sicherheitsrates Dmitri Medwedew, als er am Samstag auf seinem Telegram-Kanal die Befreiung weiterer "ursprünglich russischer Gebiete" versprach.

"Der Sieg wird unser sein. Und es wird mehr neue Regionen innerhalb Russlands geben", so Medwedew.

Russlands militärische Spezialoperation werde so lange fortgesetzt, bis das nazistische Kiewer Regime vollständig zerstört sei, erklärte er auch. Dies setzte er mit "der Befreiung einheimischer russischer Gebiete vom Feind" gleich. Er fügte außerdem hinzu, dass die Einwohner der neuen Gebiete bei den Referenden vor einem Jahr "eine folgenschwere Entscheidung getroffen haben ‒ für ihr Vaterland".

Diese Rhetorik ist trotz ihres pathetischen Klangs mehr als nur Propaganda oder psychologische Kriegführung, sondern viel eher die Formel der ideologischen Grundlage für weiteres militärisches und politisches Handeln Russlands in diesem Krieg. Medwedew hat nicht nur den Anspruch auf Gebiete des historischen Neurusslands als gemeinsames Vaterland erhoben, beispielsweise auf die Gebiete Nikolajew und Odessa, die den Gebieten Cherson und Saporoschje historisch und kulturell sehr ähnlich sind.

Er meinte wohl auch die Restukraine. Es geht um die Rückeroberung dessen, was man als gemeinsame Heimat betrachtet. Das Kiewer Regime hatte sich schon lange von seinem Land abgekoppelt – mit menschenfeindlichen Gesetzen, der Vernichtung der Kultur und Erinnerung sowie einer blutigen Jagd auf Andersdenkende bis zur Verpachtung der Agrarböden an ausländische Spekulanten. So verhalten sich nur Besatzer.

Aber damit ist es genug. Der Zweck dieses Artikels besteht nicht darin, Argumente für die Richtigkeit von Medwedews Aussagen zu liefern. Heute geht es einzig und allein um die Feststellung der Tatsache, dass Russlands hohe Vertreter ein Jahr nach der ersten Welle der Wiedervereinigung die zweite Welle schon fest im Visier haben. "Militärisch mehr als machbar", kommentierte ein Militärblogger umgehend Medwedews Aussagen. Da ein landschaftlich bedingter militärischer Schauplatz kaum etwas mit administrativen Grenzen zu tun hat, ist es aus heutiger Sicht kaum möglich vorherzusagen, wo und wann diese Welle sich "unausweichlich" ausbreiten wird.

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