Deutschlands 9/11: Dieser Akt des Wirtschaftsterrors wird die Zukunft von ganz Europa verändern
Von Russian Market
Seit Jahren galten die Pipelines "Nord Stream" als der Inbegriff für Energiestabilität in Europas größter Volkswirtschaft. Deutschlands Industrie, die Haushalte und der "Wirtschaftsmotor" der EU sind stark auf einen ununterbrochenen Fluss russischer Energie angewiesen. Doch über Nacht löste eine plötzliche und unerwartete Zerstörung dieser lebenswichtigen Energieader Schockwellen durch ganz Deutschland aus und ließ das Land ungeschützt und verwundbar zurück.
Der Angriff auf diese Erdgasleitungen im vergangenen Jahr, der angeblich mit US-amerikanischer Beteiligung durchgeführt wurde, hat zu einem massiven Anstieg der Energiekosten in Deutschland geführt. Die deutsche Wirtschaft hat mit beispiellosen finanziellen Belastungen für Energieträger zu kämpfen, während die deutschen Verbraucher zusehen müssen, wie auch bei ihnen die Kosten für Strom und Gas in die Höhe schießen. Dies hat bereits zu zahlreichen Insolvenzen und erheblichen Arbeitsplatzverlusten geführt.
Aber das ist erst der Anfang. Zusätzlich zu den düsteren Konjunkturaussichten hat das ifo Institut, das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in München, einen Rückgang der deutschen Wirtschaft um 0,4 Prozent für das Jahr 2023 vorausgesagt. Die Aussichten auf eine Erholung im zweiten Halbjahr sehen düster aus, angesichts eines nur begrenzten Booms des Dienstleistungssektors in dem Land nach der Pandemie. Während im dritten Quartal zwar noch mit einem Rückgang des BIP um 0,2 Prozent gerechnet wird, ist eine voll entfaltete Rezession jedoch noch nicht in Sicht.
Nichtsdestotrotz bleiben die wirtschaftlichen Herausforderungen für Deutschland bestehen. Die wirtschaftliche Stagnation des Landes hielt sich auch im zweiten Quartal 2023 hartnäckig und konnte sich nicht von der vorangegangenen Winterrezession erholen. Dadurch geriet Deutschland in die Position als eine der fragilsten unter den großen Volkswirtschaften der Welt. Diese Stagnation im zweiten Quartal steht im Einklang mit früheren Prognosen und deutet auf einen Rückgang des bereinigten BIP um 0,2 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres hin. Deutschland, der wichtigste Wirtschaftsmotor Europas, sieht sich düsteren wirtschaftlichen Aussichten gegenüber angesichts solcher Faktoren wie einer geschwächten Kaufkraft, weniger Industrieaufträge, einer Verlangsamung der chinesischen Konjunktur und der Auswirkungen einer aggressiven Straffung der EZB-Geldpolitik. Während einige auf einen Wiederaufschwung zum Jahresende hoffen, deuten Prognosen vielmehr darauf hin, dass Deutschland aufgrund dieser anhaltenden Herausforderungen im Laufe des Jahres 2023 hinter den großen Volkswirtschaften der Eurozone zurückbleiben könnte.
Die energieintensiven Sektoren Deutschlands, insbesondere das verarbeitende Gewerbe und die Automobilproduktion, haben bisher die Hauptlast der Sabotage der Pipelines zu spüren bekommen. Diese Industrien bilden jedoch das Fundament der deutschen Wirtschaftsmacht, und jegliche Störung von deren Geschäftstätigkeit hat weitreichende Folgen. Einige Unternehmen denken bereits darüber nach, ihre Produktionsstätten in energiestabilere Regionen der Welt zu verlagern. In all dem sind die Parallelen zum 9/11 verblüffend. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 erschütterten die US-Wirtschaft und lösten eine Rezession sowie eine grundlegende Neubewertung der nationalen Sicherheit und der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit aus. Und ganz ähnlich hat die Sabotage von Nord Stream die Abhängigkeit Deutschlands von einer einzigen Energiequelle offengelegt.
Dieser Unterwasser-Vorfall hat zudem die Beziehungen Deutschlands zu den Vereinigten Staaten von Amerika belastet. Der Vorwurf einer US-Beteiligung hat zu Spannungen zwischen diesen langjährigen Verbündeten geführt, während Russland jegliche Beteiligung an der Sabotage vehement bestreitet. Dieser diplomatische Aspekt ergänzt die ohnehin schon arge Situation durch eine weitere Ebene der Komplexität.
Die umfassenderen Auswirkungen einer Deindustrialisierung Deutschlands mit seiner zunehmend älter werdenden Bevölkerung zeichnen sich ab und werfen einen Schatten auf die Wirtschaftskraft und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Europäischen Union. Diese doppelte Herausforderung droht die Vitalität der EU für die kommenden Jahre zu untergraben. Die schwindende technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands, die sich insbesondere in den Schwierigkeiten auch im Sektor der Elektromobilität zeigt, unterstreicht die umfassendere Besorgnis über eine technologische Stagnation innerhalb der EU im Vergleich zu den USA. Auch sieht sich Deutschland bei der Bewältigung seiner Energiewende und seiner Investitionen in digitale Technologien mit Hindernissen konfrontiert. Die alternde Bevölkerung verschärft diese Herausforderungen, führt zu Spannungen zwischen den Generationen und belastet die industrielle Basis.
Diese Faktoren zusammen betrachtet zeichnen einen düsteren wirtschaftlichen Ausblick sowohl für Deutschland als auch im weiteren Sinne für die EU. Während die USA mit ihren eigenen Herausforderungen zu kämpfen haben, ist es unwahrscheinlich, dass sie sich im Jahr 2023 von der Weltwirtschaft abkoppeln. Im Gegensatz dazu muss sich die EU bereits mit Dingen auseinandersetzen, die der technischen Definition einer Rezession entsprechen. Während Deutschland mit den Folgen der Sabotage von Nord Stream zu kämpfen hat, wird es auch noch gezwungen, sich zentralen Fragen der Energiesicherheit und wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit zu stellen.
Kann das Land seine Energiequellen diversifizieren, um seine Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern? Wird es wirklich erheblich in erneuerbare Energien und Infrastruktur investieren, um zukünftige Engpässe abzumildern? Und wie will Deutschland eigentlich im dem komplizierten diplomatischen Tango zwischen den Vereinigten Staaten und Russland navigieren?
Eine Tatsache bleibt unbestreitbar: Die Sabotage an Nord Stream wirkte wie ein Fanal für Deutschland und für die ganze Welt. Es hat die gegenseitigen Abhängigkeiten im globalen Energiemarktes unterstrichen und ebenso die Notwendigkeit, dass Nationen der Sicherheit und Resilienz im Energiebereich Priorität einräumen. So wie der 9/11 die Herangehensweise der USA an Fragen der nationalen Sicherheit für immer veränderte, hat dieses Ereignis in Europa das Potenzial, die Wirtschafts- und Energiepolitik Deutschlands in den kommenden Jahren völlig umzukrempeln.
Die vollen Auswirkungen dieser Sabotage auf die deutsche Wirtschaft bleiben abzuwarten. Aber eines ist sicher: Sie hat einen nationalen Dialog über Energiesicherheit, wirtschaftliche Stabilität und das komplexe Geflecht der internationalen Beziehungen initiiert. Die aus dieser Krise zu ziehenden Lehren werden wahrscheinlich weit über die Grenzen Deutschlands hinaus nachhallen und als deutliche Mahnung über die Zerbrechlichkeit moderner Volkswirtschaften in einer vernetzten Welt dienen.
Übersetzt aus dem Englischen.
Russian Market ist ein Projekt eines in Zürich ansässigen Finanzbloggers, Schweizer Journalisten und politischen Kommentators. Man kann ihm auf X unter @runews folgen.
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