"Unmerkliche und langsame" Einführung: So plant die EU-Kommission den digitalen Euro
Von Elem Chintsky
Jeder, der glaubt, der digitale Euro sei noch Gegenstand reger Debatte und sein Schicksal immer noch ungewiss, befindet sich im Endstadium pathologischer Naivität.
Mit den jüngsten Äußerungen der Finanz-Kommissarin der EU, Mairead McGuinness, ist mittlerweile klar, wohin die Reise geht:
"Bargeld wird immer weniger verwendet. Wir benutzen unsere Karten und Telefone, um einzukaufen, wir betreiben elektronischen Handel. Und wenn es eine Zeit gäbe, in der Bargeld sehr stark abgenommen hat, wo haben wir dann öffentliches Geld – das öffentliche Geld der Zentralbank -, wenn nicht in Bargeld? Wir brauchen eine digitale Version davon."
Des Weiteren fügte McGuinness bei ihrem Auftritt in der Brüsseler Denkfabrik Bruegel hinzu, dass die EU verpflichtet sei, sich damit zu befassen.
Ihren Aussagen zufolge versteht sie die EU-Parlamentswahl im Juni 2024 und die darauffolgende Ernennung der neuen EU-Kommission lediglich als Formalitäten auf dem Weg der "unmerklichen und langsamen" Implementierung eines digitalen Euros.
Befürworter von digitalem Zentralbankgeld (zu Englisch: central bank digital currency, oder CBDC) – zu welchem auch ein digitaler Euro gehören würde – unterstrichen in den letzten Jahren stets, dass der Begriff selbst sehr breit gefasst ist. Mittlerweile sei man sich aber sicher, dass der digitale Euro von der Beschaffenheit ähnlich den heutigen Banknoten und Münzen wäre – also von der EZB gedeckt. Diese Deckung stellt für CBDC-Enthusiasten die stärkste denkbare Garantie dar, da laut ihnen die Zentralbank nicht versagen kann. Der digitale Euro ist für sie eine Form von staatlichem Geld – obwohl die Prämisse, dass Zentralbanken a priori und tatsächlich immer als öffentliche Einrichtungen den jeweiligen Staaten, ihren Völkern und ihren Interessen unterliegen, noch recht disputabel ist. Sogar heute noch haben die Zentralbanken Griechenlands, der Türkei, Belgiens, Italiens, der Schweiz – und natürlich der USA – große, private Aktionäre mit ganz eigenen Motivationen.
In jedem Falle wird der digitale Euro mit Kryptowährungen konkurrieren – vor allem mit den von privaten Unternehmen geschaffenen Stablecoins – wie Tether oder dem USD Coin – die an nationale Fiatwährungen geeicht sind. Die Experten, die sich in solch hohen Tönen äußern, gehören selten zu Kritikern staatlicher Versäumnisse in monetärer Politik – eine vorsätzliche Kausalität bei der steigenden Inflationsrate, beziehungsweise Minderung der Kaufkraft der nationalen Währung wird gar nicht erst vermutet oder vernommen. An solchen didaktischen Gabelungen ist plötzlich wieder die unsichtbare Kraft des "freien Marktes" schuld, nicht aber der bürokratische Koloss namens Vater Staat und seine Zentralbank.
Um das dann doch in den richtigen Kontext zu rücken, hört man sich die Aussagen eines Bo Li an, der als stellvertretender Geschäftsführer des Internationalen Währungsfonds, im Oktober 2022 Folgendes zu CBDC erläutert hat:
"CBDC kann es Regierungsbehörden und Akteuren des privaten Sektors ermöglichen … zielgerichtete politische Funktionen zu programmieren. Durch die Programmierung eines CBDC kann das Geld genau dafür eingesetzt werden, was die Menschen besitzen können [und was sie tun können]."
Bei diesem Wortlaut sollte man sich nun an die weltweite, über zweijährige Coronakrise erinnern, in welcher die größten Freiheitsberaubungen, die dreistesten Überschreitungen der eigentlich verfassungsgeschützten Unverletzlichkeit von Körper und Würde veranstaltet wurden. Die massenpsychologischen Druckmittel von Staat und Systemmedien wären noch viel effektiver anzuwenden gewesen, da ja das anfangs als "inklusiv" und "souverän" angekündigte, digitale Zentralbankgeld plötzlich "zielgerichtet programmiert" werden kann – um in einer "Krisensituation" lästigen Querdenkern, Querstellern oder einfach nur zögernden Zweiflern rasch Paroli zu bieten: mit Sanktionen und "Anregungen" währungstechnischer Natur. Für monetäre Diskriminierung wäre damit ein extrem fruchtbarer Boden in einem noch nie dagewesenen Maßstab bestellt.
Regierungen hätten einen nie zuvor bekannten Zugang zu den Finanzdaten der Bürger. Dies wiederum sollte tiefe Bedenken hinsichtlich der Überwachung und der Aushöhlung der finanziellen Privatsphäre wecken. Die Möglichkeit für den Staat, digitale Transaktionen detailliert und mit mächtigen Big Data-Algorithmen zu verfolgen, zu interpretieren und zu kontextualisieren – was somit die Volksvertreter an die Pforte zum potenziellen Machtmissbrauch treibt – müsste verinnerlicht werden. Dass Regierungen nicht versucht sein werden, diese Informationen zur Überwachung der Bürger zu nutzen, ist ein blauäugiger Wunschtraum. Dazu würde die Verfolgung von politischen Dissidenten und Whistleblowern gehören sowie die einfache Überwachung der Ausgabengewohnheiten von normalen Bürgern.
Bereits in den letzten Jahren wurden unliebsame, politisch Andersdenkende so sanktioniert, dass ihnen ihre herkömmlichen Konten gesperrt wurden. Zum Beispiel lamentierte die taz im September 2020, dass sich unter den deutschen Banken noch die GLS fand, die dem vermeintlichen "Coronaleugner" Ken Jebsen erlaubt hatte, ein Bankkonto zu führen. Laut den Ethikern des "linksalternativen" Blattes, hätte die GLS Jebsen strikt eine Kontoführung verweigern sollen. Noch vor Corona hatte die Deutsche Bank Politikern der AfD die Konten gekündigt. Der Internet-Bezahldienst Paypal tat dasselbe mit dem deutschen Journalisten Boris Reitschuster. Mit digitalem Zentralbankgeld könnten solche Dienstleistungsverweigerungen in der finanziellen Nahrungspyramide viel weiter oben umgesetzt werden.
Kaum jemandem dürfte entgangen sein, dass es seit der Coronakrise ein weltweit enormes Inflationsproblem gibt, welches mittlerweile eine industrialisierte Volkswirtschaft nach der anderen in die Rezession zwingt. Dieser Trend wird auch weiter so laufen. Dass die CBDCs in den Fachmedien bereits seit vielen Monaten als "Heilung" gegen die steigenden Inflationsraten aufbereitet werden, ist klar. Dort identifiziert man den Ursprung zügelloser Inflation bei der Ratlosigkeit und Unbeholfenheit der Zentralbanken, denen leider bisher genaue Wirtschaftsdaten gefehlt haben, um bessere Entscheidungen treffen zu dürfen. Digitales Zentralbankgeld, dass alle Transaktionen und Transfers leserlich aufzeichnet, würde da Aushilfe verschaffen. So lautet zumindest die populistische Wahlkampagnen-Rhetorik. Ironischerweise ist es ein monetäres Forschungspapier aus diesem Jahr, das von der EZB und der EU finanziert wurde, worin die Wissenschaftler sich ehrlich eingestehen, dass die bloße Anwesenheit eines CBDC im Finanzsystem allein, keinen Unterschied machen würde. Auf Seite 27 sagen sie klar: "Insgesamt sind die Auswirkungen eines geldpolitischen Schocks auf die Inflation fast identisch, mit und ohne ein CBDC."
Die Forscher halten fest, dass laut ihren Kalkulationen und Simulationen, trotzdem hervorgeht, dass es die geldpolitische Entscheidung von Kommissaren, Zentralbank-Vorsitzenden und Politikern ist, die am Ende den Effekt auf die Wirtschaft hat, nicht das "neue" oder "neuartige" Geldmedium an sich.
Trotz dieser ernüchternden Klarstellung: Der erstgenannte, verheißungsvolle Vorwand, um den digitalen Euro einzuführen, würde die Chance bieten für einen zumindest teilweisen "Reset" des Inflationsfiaskos, dem sich derzeit praktisch alle Industrienationen ausgesetzt fühlen. Der leitende Stratege der Bank of New York Mellon Co. – Geoffrey Yu – behauptet sogar, dass die milliardenschweren Geldpakete während der Coronapandemie mit programmierbaren CBDC viel effizienter hätten eingesetzt werden können. Wenn die Regierung dieses neue Geld an die Menschen verteilt hätte, "hätte man die CBDC-Wallet-App so programmieren können, dass die darin enthaltenen Gelder nur in bestimmten Bereichen ausgegeben werden können und auch ein bestimmtes Verfallsdatum haben … Der Stimulus könnte daher auf die Unterstützung eines bestimmten Sektors ausgerichtet werden", so Yu.
Nach rudimentärster Dialektik einer scheinbar genuinen Triade der These-Antithese-Synthese wird eine einzige Instanz – die das systemische Problem moderner monetärer Politik erst erschaffen und dann vertieft hat – die Zentralbank – auch die allumfassende Lösung stellen. Das systemische Problem ist ein dynamisches Mosaik aus Inflation, zügelloser Geldneuschaffung, die zu einer Erhöhung der Geldmenge ohne vorstellbare Obergrenzen führt. Dazu gesellt sich dann im Wechsel die Erhöhung des Leitzinses und die stets expansiv befeuerte Staatsverschuldung (die niemanden etwas kümmert und als eigene, harmlose Domäne betrachtet wird), sowie schlussendlich die Abwälzung der Abfederung dieser Spekulation auf den herkömmlichen, nichts ahnenden Steuerzahler. Eine lineare Rückkehr von dieser Entwicklung kann es nicht geben. Sonst würden ja die staatlich finanzierten Wirtschaftswissenschaftler das Rätsel längst gelöst haben.
These: Die klassische westliche Zentralbank ist historisch unfehlbar. Antithese: Die klassische westliche Zentralbank ist fehlbar – historische Beispiele, die lediglich im Diskurs programmatisch verschleiert wurden, gibt es zuhauf – und das Phänomen des Bitcoins hat teilweise geholfen, diese Einsicht ans Tageslicht zu spülen. Das heißt, ein geregelter Reset müsste her, der einerseits den Status quo der Machtverhältnisse in Finanzen und Politik bewahrt – andererseits der Öffentlichkeit den Schein eines neuen Windes, eines neuen finanziellen Paradigmas beschert. Dies wird die Synthese sein, mit der man den Sieg über die mystifizierte, obskure, einschüchternde und bedrohliche Aura des Phänomens Inflation triumphierend ausruft. Die Synthese in anderen Worten: Die Zentralbanken der Welt machen sich Aspekte der Blockchain-Technologie zu eigen, um den Anschein einer Dezentralisierung und einer kryptografisch determinierten Unkorrumpierbarkeit überzustülpen. In Wirklichkeit wird die Distributor-Leder-Technologie, wie sie in der Blockchain-Industrie seit über einer Dekade laufend weiterentwickelt wird, am Ende von einer zentralisierten Datenbank, die von menschlichem Makel und politischem Kalkül eingefärbt ist, wieder getrumpft.
Unnötig stark alimentierende Sozialprojekte, die den Bürger noch mehr an den Staat binden sollen, werden folgen. Wie ein vermeintlich "bedingungsloses", universelles Grundeinkommen, das an "gewisse", klein gedruckte Bedingungen gebunden ist. Es werden solche ersten populistischen Maßnahmen sein, die den Staatsbürgern die Berührungsangst mit CBDC nehmen und zivilgesellschaftliche und verfassungsrechtliche Wachsamkeit in die Beliebigkeit entlassen.
Also ja, digitales Zentralbankgeld ist "programmierbares Geld" – und zwar zentral "programmierbares Geld". Zurück zu den Enthusiasten dessen. Diese beteuern stur, dass man trotz allem dem Staat vertrauen müsse – wenn nicht dem Staat, wem denn dann? Dabei geht es bei Kryptowährungen, wie bereits angedeutet – besonders bei dem Bitcoin – um das Konzept, dass es beim Wert- beziehungsweise Geldmittelaustausch keiner zentralen Entität zu vertrauen gilt. Sondern auf mathematisch determinierte Kryptografie setzt, die Transaktionen multilateral und dezentral in einem Blockchain-Netzwerk verifiziert. Nicht, weil eine zentrale Machtinstanz eine Transaktion als politisch genehm identifiziert hat und sie deshalb verifiziert.
Im Oktober soll die Europäische Zentralbank bereits die finale Entscheidung über die Implementierung des digitalen Euros – angesetzt für die nicht allzu entfernte Zukunft – fällen. Was wird wohl deren Verdikt sein?
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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