Pandemie, Ukrainekrieg und Klimawandel – Positionen auf der zweiten Konferenz der Freien Linken
Eine Analyse von Sandra Gabriel
Am Pfingstwochende 2023 fand die zweite internationale Konferenz der Freien Linken in Wienstatt, nachdem sie sich im September 2022 erstmals in Prag getroffen hatten. Neben internen Vortragsveranstaltungen und Diskussionen mit Teilnehmern aus der Schweiz, Luxemburg, Deutschland und Österreich wurden auch öffentliche Abendveranstaltungen mit eingeladenen Referenten durchgeführt – unter anderem mit Claudia von Werlhof, Karl Reitter, Tove Soiland und Fabio Vighi.
Thomas Oysmüller, Journalist und Aktivist der Freien Linken Österreich, erklärte zu Beginn, dass die Agenda 2030 der Vereinten Nationen – unterstützt von drei Kriegen: Gegen das Virus, gegen Russland und gegen den Klimawandel – mit ungebrochener Wucht gnadenlos voran getrieben würde.
Die Teilnehmer waren sich einig, dass die coronakritische Linke weiterhin eine wichtige Rolle im politischen Diskurs spiele. Mit dem Corona-Programm der herrschenden Eliten habe der Klassenkampf eine qualitativ neue Ebene erreicht, erklärte Karel Svoboda von der Freien Linken Zukunft. Sollten sich nicht coronakritische Linke jemals noch mal für die ausgebeuteten Klassen engagieren, müssten sie Svoboda zufolge zunächst diesen Zusammenhang verstehen.
Auch die völlige Abwesenheit eines kritischen Ansatzes gegenüber einer arbeiter- und bauernfeindlichen Klimapolitik der Herrschenden – in fast allen großen und kleinen linken Organisationen weltweit –, so Svobodas Kritik im Vortrag zum Thema "Klima-Hoax", erfordert die Fortentwicklung antikapitalistischer Strukturen.
Eines der ersten Referate behandelte das Thema Geo-Engineering und die ENMOD-Konvention der Vereinten Nationen. In der Diskussion wurde Geo-Engineering sehr unterschiedlich bewertet. Aber auf jeden Fall müsse die Forschung als auch Anwendung solcher kontroverser Techniken unter öffentlicher und demokratischer Kontrolle stehen und aus dem Tabu in die politische Debatte gehievt werden, war man sich einig.
Unterschiedliche Bewertungen der multipolaren Weltordnung
Kontrovers war die Diskussion über den Krieg in der Ukraine und die Einschätzung der militärischen Lage. Jean-Marie Jacoby, der in Luxemburg für die Bürgerliste "Mir d'Vollek" (Wir, das Volk) antritt, bewertete in seinem Vortrag zu Imperialismus, US-Hegemonie und multipolarer Weltordnung die Situation aus antikapitalistischer Perspektive optimistisch. Ihm zufolge steht die Finanzierbarkeit des US-Imperialismus auf der Kippe.
Die zunehmende Entdollarisierung und Formierung der BRICS als Anker einer neuen "multipolaren Weltordnung" bereite diesbezüglich immer mehr Probleme. Die NATO sei nicht imstande, den Konflikt militärisch zu gewinnen. Der Übertritt in eine multipolare Weltordnung werde allerdings von großen Gefahren begleitet, verursacht vom Sturz des US-Kolosses. Die sich abzeichnende neue Weltordnung sei zwar nicht sozialistisch, aber sie biete mehr Spielraum und bessere Kampfbedingungen für den Sozialismus weltweit.
Demgegenüber begründete Oysmüller seine pessimistische Einschätzung. So sprach er von der "stärksten NATO seit Langem". Oysmüller nannte auch Gemeinsamkeiten des Westens mit den BRICS-Staaten. Das betreffe vor allem die Corona-Politik. Ähnliche Parallelentwicklungen gebe es auch hinsichtlich der Ziele des "Great Reset" oder der Agenda 2030, zum Beispiel in Bezug auf Zentralbankgeld, Telemedizin oder der Digitalisierung.
Welche Perspektive und Hoffnung bieten die BRICS-Staaten?
Der Professor für Philosophie und kritische Theorie Vighi äußerte sich in seinem Referat skeptisch gegenüber einer Besserung der Verhältnisse durch ein Erstarken der BRICS. Schließlich arbeiteten die BRICS-Staaten genauso an der Implementierung des wirkmächtigen Kontrollinstruments digitales Zentralbankgeld wie der Westen. Deren Mitglieder stünden vor strukturell ähnlichen Krisenphänomenen, die auch sie mittels diktatorischer Unterdrückung überbrücken wollten. Der Westen und die BRICS ähnelten zwei Betrunkenen, die sich gegenseitig stützend jederzeit gemeinsam in den Graben stürzen könnten.
Vighi erläuterte die Struktur dieser Krise des Finanzsystems: Das auf Kredit- und Fiat-Geld basierende Finanzsystem sei in eine unlösbare Krise geraten, weil die kapitalistische Produktionsweise die permanente Ausbeutung des von Arbeitern in ihrer Arbeitszeit erzeugten Mehrwerts erfordere. Durch die zunehmende Automatisierung gelinge dies immer weniger.
Daher werde jetzt Geld in die Finanzwirtschaft gepumpt, um durch das Treiben der Aktien- und Immobilienkurse zumindest eine Illusion von neuer Wertschöpfung zu garantieren. Gleichzeitig verhindere das auch als Quantitative Easing bekannte Programm der Zentralbanken, dass das "gedruckte" Geld in die "Realwirtschaft" oder gar an die Bevölkerung fließe – Stichwort "Helikoptergeld". Denn das führe zu einer Inflation.
Corona-Agenda zur Verschleierung der Finanzkrise
Als 2019 die Krise am Repomarkt ausbrach, so die These Vighis, mussten die Herrschenden handeln. Sie bereiteten demnach das Corona-Programm vor, um den Zusammenbruch des Finanzsystems hinauszuschieben und zu übertünchen. Gleichzeitig stützten sie das Finanzsystem weiter ab. Laut Vighi handelte es sich bei Corona also um ein Täuschungsmanöver zur Verschleierung der Finanzkrise.
Auf die Frage nach einer Lösung schlug Vighi "eine Transition zu einer gesellschaftlichen Verwaltung der Produktionsmittel" vor. "Das nennt man Sozialismus", lautete ein Kommentar aus dem Publikum. Vighi wisse allerdings nicht, wie der Sozialismus oder die angesprochene Transition zur Zeit realisiert werden könnte.
Die Instrumentalisierung von Linken und der Antifa für das Kapital
Für die Historikerin Soiland ist die permanente Krise im gegenwärtigen Kapitalismus der Grundmodus. Mittels inszenierter Krisen schaffe man eine Kapitalakkumulation, die unter normalen kapitalistischen Bedingungen nicht möglich wäre. Im Vortrag präsentierte Soiland ihre Erklärung, warum die etablierte politische Linke sich beim Thema Corona hinter das Kapital gestellt hat. Die Feministin formulierte die These, dass das Kapital sich heute vornehmlich der sogenannten Linken zur ideologischen Durchsetzung seiner Interessen bediene, während es in früheren Zeiten dazu rechte Kräfte genutzt habe.
Ihr zufolge erklärt sich das Versagen der Linken vor allem mit deren verkürztem Faschismusverständnis. So ignorierten viele Linke völlig, dass der historische Faschismus nur mithilfe des Großkapitals zur Abwehr des Sozialismus ermöglicht wurde. Das Vergessen der Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Faschismus habe sich fatal auf das Faschismusverständnis heutiger "Pseudolinker" ausgewirkt. Der Begriff "Totalitarismus" ist laut Soiland für den Realsozialismus nicht zutreffend. Totalitaristisch sind nach ihrer Auffassung nur die auf dem Kapitalismus beruhenden antisozialistischen Herrschaftsformen.
In ihrer Kritik an der heutigen "Antifa" bezeichnete Soiland deren Betreiben zur Spaltung des Widerstands selbst als faschistisch. Mit einer Spaltung des Widerstands werde die Abwehr totalitärer Tendenzen durch ein breites Bündnis verhindert. Obendrein agiere die "Antifa" mit "Solidaritätsgeschwurbel" ausgerechnet in Deutschland für die "Immunisierung des Volkskörpers".
Schließlich erläuterte sie die Kompatibilität heutiger sogenannter linker Ideologie mit der Agenda der transhumanistischen Eliten. Dies führe auch zu einem Auseinanderdriften von rechtem Staat und konservativen rechten Kräften. Den neuen Totalitarismus nennt sie auf Jacques Lacan und Slavoj Žižek verweisend "postideologisch".
Die neue Herrschaftsform sei ohne Weltbezug. Geherrscht werde mittels des Bezugs auf eine angeblich neutrale Problemlösungsorientiertheit – das "ziellose Optimieren fürs Optimieren". Dahinter verberge sich aber ein vom Über-Ich befohlenes und deshalb totalitäres "Du sollst" als Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Der Verhaltensimperativ sei abgeleitet vom Guten, habe Lacan mit Bezug auf die 68er-Bewegung festgestellt. Die junge "Woke-Linke" sei auf den "Ich helfe"-Modus angesprungen. Zudem sei sie durch ein gestörtes Trieb- und Lustverhältnis für den "hypermodernen Hygienismus" prädestiniert.
Letztlich entspreche das Weltbild dieser heutigen sogenannten Linken dem neuen "postideologischen" Totalitarismus der Transhumanistenkreise um Klaus Schwab und Konsorten: Sie ist technikaffin, männlich, jung, aufgeschlossen, fortschrittlich und in transatlantischen Räumen zu Hause, erklärte Soiland die heutige sogenannte Linke.
Am Ende des Freie-Linke-Kongresses wurde der Stand der Vorbereitung für die internationale Konferenz "Einen Dritten Weltkrieg verhindern" besprochen, die für den 27. und 28. Oktober geplant ist. Der Aufruf wird von Parteien und Organisationen aus aller Welt unterstützt. Die nächste internationale Konferenz der Freien Linken findet im Juli 2024 in Luxemburg statt.
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