Ex-Vizekanzler Strache: "Man spricht vom Angriffskrieg Russlands – der hat aber eine Vorgeschichte"
Der ehemalige Vizekanzler Österreichs Heinz-Christian Strache sieht die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland als "selbstbeschädigend". Mögliche negative Entwicklungen dabei, wie etwa Engpässe beim Gas oder Strom, Preissteigerungen und Produktionsausfälle in der Industrie im Zuge von Strom-Blackouts, die zu Arbeitslosigkeit oder gar "Massenarmut" führen könnten, habe man dabei "offensichtlich nicht durchdacht", so der ehemalige Vorsitzende der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) in einem Interview mit RT DE. Strache betonte:
"Der Wohlstand Europas, ja, Mitteleuropas, auch Deutschlands und Österreichs, war im Wesentlichen darauf begründet, dass man günstig Gas, sprich Rohstoffe, auch in den letzten Jahrzehnten sichern konnte und damit die Industrie auch entsprechende Kapazitäten hatte, zu produzieren und letztlich auch marktfähig zu sein am globalen Markt."
Wenn es jetzt durch Gas- und Stromengpässe sowie Preissteigerungen zu Entwicklungen kommen sollte, dass man die Wettbewerbsfähigkeit, "global im Bereich der Produktion", nicht aufrechterhalten könne, dann könne es "dramatisch" werden, führte der ehemalige FPÖ-Chef an.
Die österreichische Bundesregierung wurde von Strache dafür kritisiert, die in der Verfassung des Landes verankerte Neutralität nicht stärker dafür genutzt zu haben, sich als "Vermittler" in diesem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hervorzutun. Diese "glaubwürdige, neutrale Vermittlerrolle" habe Wien laut Strache nicht mehr, und das sei auch der Hintergrund, warum heute der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan "offenbar immer wieder" in den Verhandlungen eine Rolle spiele.
Strache, der sich aus der aktiven österreichischen Politik und aus seiner eigenen Partei FPÖ zurückgezogen hat, richtete scharfe Kritik in Richtung Brüssel. Die Lage sei "dramatisch", man erlebe mitten in Europa, in der Ukraine einen Krieg, und vonseiten der Europäischen Union habe man eine Position, "wo man nicht für Verhandlungen und für den Verhandlungsweg eintritt, sondern offensichtlich teilweise Waffenlieferungen mit einer weiteren Eskalation bevorzugt werden".
"Statt Entkrampfung findet eine weitere Eskalation statt."
Bezüglich des gegenwärtigen Konflikts zwischen Moskau und Kiew betonte Strache, dass man – "ohne etwas zu rechtfertigen" – die Hintergründe dieses Konflikts verstehen müsse. Er nannte den "Putsch am Maidan, den Bürgerkrieg, der viele Jahre gedauert hat, mit 10.000 Toten" sowie das Versagen der EU, sich "nicht als Friedenspartei eingebracht" zu haben. Strache betonte:
"Das sind viele Entwicklungen. Ohne etwas zu rechtfertigen, aber man muss Hintergründe verstehen und auch die NATO-Osterweiterung, die zu dieser Zuspitzung letztlich geführt hat. Das ist keine Relativierung irgendeiner Verantwortung, aber man muss Hintergründe verstehen, und wir haben ja auch Kriege erlebt wie in Afghanistan, in Syrien, in Libyen, auch in Serbien, wo man nicht völkerrechtskonform agiert hat."
Ja, man spreche jetzt von einem Angriffskrieg Russlands, der habe aber laut Strache eine Vorgeschichte und auch Hintergründe.
Im Dezember will der ehemalige österreichische Vizekanzler in Österreich eine Ukraine-Konferenz ausrichten. Sein Ziel sei es, eine "Veranstaltung als Plattform für den Frieden und Neutralität" in Wien abzuhalten und mit Gesprächspartnern unter anderem darüber zu diskutieren, wie man in dem Konflikt zu "einer friedlichen Lösung" kommen könne. Auf die scharfe Kritik des ehemaligen ukrainischen Botschafters in Österreich, Alexander Scherba, angesprochen, der Strache vorgeworfen habe, eine Konferenz unausgewogen zugunsten Russlands zu organisieren, erwiderte der ehemalige FPÖ-Chef:
"Ich habe ihn höflich eingeladen, hier mitzudiskutieren über das Thema und seine Position und seine Stellungnahme dort auch im Sinne der Meinungsfreiheit abgeben zu können und mit, ja, ich sage, sehr interessanten Diskussionsteilnehmern dort auch zu diskutieren. Er hat dann gemeint, mit jemandem, der auf der Krim bereits gewesen sei oder im Donbass war, da fühlt er sich gar nicht irgendwie genötigt zu diskutieren. Also ich war weder auf der Krim noch im Donbass."
Dass er Russland Besuche abgestattet habe, dazu stehe er, so Strache. Er ergänzte:
"Ich habe immer in meiner Position als politischer Verantwortungsträger die diplomatischen Zusammenarbeitsformen auf allen Ebenen gesucht und gepflegt und habe die nicht nur mit Russland, sondern auch mit republikanischen Parteivertretern aus den USA, aber auch aus vielen anderen europäischen Unionsländern gepflegt und gelebt. Und ja, dass wir es mit einem Konflikt und Krieg zu tun haben, ja, auch einem Angriffskrieg, das habe ich in der Öffentlichkeit dargelegt, aber auch differenziert festgehalten, dass es Hintergründe gibt und auch Fehlentwicklungen davor gibt, die man offen und ehrlich ansprechen muss, analysieren muss und letztlich auch offen und ehrlich Wege finden muss, wie man mit Fehlentwicklungen umgeht."
Mehr zum Thema - Charles Kupchan: "Es ist an der Zeit, Russland und die Ukraine an den Verhandlungstisch zu bringen"
Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.