Europa

Pulverfass Balkan: Alarm in der Republika Srpska nach der Entschließung des Deutschen Bundestages

Der Frieden in Bosnien-Herzegowina ist zerbrechlich und erfordert ein Gleichgewicht zwischen den drei großen Volksgruppen. Der Deutsche Bundestag hat sich nun auf gefährliche Weise zwischen ihnen positioniert; nicht nur durch die regelwidrige Einsetzung eines deutschen Hohen Repräsentanten.

Von Marinko Učur, Banja Luka

Das Ende des 20. Jahrhunderts war in der Wahrnehmung der meisten Europäer geprägt von der friedlichen Auflösung der Sowjetunion, der Vereinigung Deutschlands und dem Fall der Berliner Mauer als Symbol der bisherigen Teilung des alten Kontinents und der multipolaren Welt. Doch vielen ist bis heute unklar, was sich im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf dem Balkan als Vorraum Europas abspielte. Das ehemalige Jugoslawien, eine Föderation aus sechs halbautonomen Republiken, zerfiel in einem blutigen bürgerlichen und ethnischen Krieg und rechtfertigte seine Bezeichnung als "Pulverfass Balkan".

Die neu geschaffenen Balkanstaaten gingen jeweils ihre eigenen Wege, obwohl sie zuvor nie eigenständige Staaten im Sinne von Völkerrechtssubjekten gewesen waren. Die Ausnahme bilden Serbien und Montenegro, die durch einen Beschluss des Berliner Kongresses 1878 souveräne, international anerkannte Staaten wurden. Eine gewisse, wenn auch unvollständige internationale Subjektivität hatte während des Zweiten Weltkrieges auch eine von den Ländern des Dritten Reiches anerkannte faschistische Schöpfung, nämlich der sogenannte Unabhängige Staat Kroatien (NDH), Unterzeichner des Dreierpakts, wie auch Italien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Japan, Spanien, Dänemark, Finnland und die Mandschurei. Mit der Machtübernahme der Kommunistischen Partei und Josip Broz Tito nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Jugoslawische Föderation gebildet, die sich aus historisch konfrontierten Nationen zusammensetzte. Mit dem Fall des Kommunismus eskalierten uralte Feindseligkeiten erneut, und die Bundesrepublik Jugoslawien löste sich im blutigsten Krieg von 1991 bis 1995 auf.

Am schlimmsten erging es der zentraljugoslawischen Republik Bosnien-Herzegowina, die 1992 von den USA, der EU und wenig später von den meisten anderen Staaten anerkannt wurde, was diese trinationale Gemeinschaft, bestehend aus Serben, Kroaten und Muslimen, direkt in einen blutigen Bürgerkrieg stürzte. Die Serben waren gegen einen Austritt aus der jugoslawischen Föderation, wurden aber von Kroaten und Muslimen überstimmt, die auf Drängen des Westens ein Referendum zum Austritt aus Jugoslawien organisierten. Die Serben, die ein verfassungsmäßiges Vetorecht gegen solche Entscheidungen hatten, warnten vergeblich davor, dass die Ergebnisse des Referendums nicht akzeptiert würden. Dies wurde von den beiden anderen Nationen und der multinationalen Gemeinschaft einfach ignoriert, und ein Bürgerkrieg mit Elementen interethnischer und interreligiöser Konflikte war unvermeidlich.

Aber nach einem vierjährigen Konflikt und knapp 100.000 Opfern endete dieser wie jeder andere Krieg mit einem Friedensabkommen. In Dayton im US-Bundesstaat Ohio wurde 1995 das rechtsverbindliche "Friedensabkommen von Dayton" geschlossen und unterzeichnet, dessen Unterzeichner sowohl Konfliktparteien als auch Vertreter der Großmächte waren.

Es war zu jener Zeit eine Kompromisslösung für die Beilegung des Konflikts, die für alle akzeptabel war. Die früheren Muslime, die inzwischen Bosniaken geworden sind, verpflichteten sich zusammen mit den Kroaten, die Teilung dieses Landes in zwei Entitäten zu akzeptieren, nämlich in die Republika Srpska mit einer mehrheitlichen serbischen Bevölkerung und in die Föderation Bosnien-Herzegowina mit einer Mehrheit von Kroaten und Bosniaken und klar definierten Demarkationslinien und der Teilung des Territoriums des neu gebildeten Staates im Verhältnis 49:51 Prozent.

Heute, 27 Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens und dem Ende des Bürgerkriegs, treten in Bosnien-Herzegowina zwei diametral widersprüchliche Bestrebungen in den Vordergrund. Während die Serben auf eine Position der Republika Srpska innerhalb von Bosnien-Herzegowina, wie ursprünglich durch den Friedensvertrag abgehandelt, beharren, sind die Bosniaken für eine Zentralisierung und Unitarisierung des Staates und den Entzug der Befugnisse von den Entitäten zugunsten seiner angeblich funktionaleren Entwicklung.

Die Kroaten sind sich als zahlenmäßig kleineres Volk inzwischen ihres Fehlers und früheren Zusammenschlusses mit den Bosniaken gegen die Serben – mit denen sie jenes Referendum angegangen sind, das der Grund für den Kriegsausbruch war –, bewusst und beharren daher besonders in letzter Zeit und unterstützt von Kroatien auf ihrer Gleichberechtigung in der Föderation Bosnien-Herzegowina.

Die Republika Srpska hat diese Gefahr und den Wunsch nach der Vorherrschaft einer der größten Nationen über die beiden anderen erkannt und wies auf die rechtswidrigen Verstöße gegen das Abkommen von Dayton hin. Deshalb haben ihre legitimen Vertreter in den Institutionen des Staatenbundes auf die unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten Bosnien-Herzegowinas durch den Deutschen Bundestag hingewiesen.

Am 30. Mai dieses Jahres hat der Bundestag in Berlin nämlich eine Entschließung verabschiedet, die auf acht Seiten die politische Lage in Bosnien-Herzegowina darlegt und das weitere Vorgehen Deutschlands in der Frage Bosnien-Herzegowina festlegt. Deutsche Abgeordnete kritisieren die bosnisch-herzegowinischen Behörden dafür, dass sie "zunehmend auf Separatismus, Hass und Hassreden setzen", und werfen serbischen und kroatischen Führern direkt vor, dass ihr Ziel die Zerstörung des Staates sei. Das Dokument weist auch darauf hin, dass die schwere politische Krise in Bosnien-Herzegowina zu einer Sicherheitskrise eskalieren könnte, und stellt sehr tendenziös fest:

"Die aktuelle politische Lage und das Vorgehen von Teilen der politischen Eliten sind besorgniserregend und gefährden den mühsam errungenen Frieden in Südosteuropa. Angehörige der politischen Führung Serbiens lassen nicht nur Distanz zur völkisch-nationalistischen Idee eines 'Großserbien' vermissen, sondern befeuern derartige Ideen mit ihren Äußerungen. Auch darf die mit Nachdruck betriebene Unterstützung seitens der russischen Führung unter Präsident Wladimir Putin für die spalterischen Kräfte in der Region nicht unterschätzt werden. Russland hat ein unverhohlenes Interesse, die Westbalkanregion und damit die Europäische Union zu destabilisieren. Als souveräner Staat hat Bosnien und Herzegowina das Recht, seine Bündnisse frei zu wählen. In diesem Zusammenhang nimmt der Deutsche Bundestag den Willen des Landes, sich der NATO anzunähern, der sich unter anderem durch die Annahme des Aktionsplans zur Mitgliedschaft im Jahr 2019 ausdrückt, positiv zur Kenntnis", heißt es in dem Dokument, in dem jedoch bewusst verschwiegen wird, dass die Republika Srpska eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis entschieden ablehnt, wegen der tragischen Erfahrung von 1999, als die NATO versuchte, das serbische Volk mit Bomben zu disziplinieren, was später der Auftakt zur Unabhängigkeit der selbsternannten serbischen Provinz Kosovo war.

Die Angaben in der Entschließung des Bundestages lösten Alarm in der Republika Srpska aus, die drohte, dem neuen deutschen Botschafter in Sarajevo, Thomas Fitschen, das Agrément zu verweigern. In letzter Minute wurde die Erteilung des Agréments doch akzeptiert. Es wurde aber auch eine klare Botschaft an die Unitarier von Sarajevo sowie an Deutschland, als Unterzeichner des Dayton-Abkommens, gesendet, dass die Republika Srpska nicht bereit ist, die einseitige und fanmäßige Rolle Deutschlands in der multinationalen Gemeinschaft und sein Eintreten für das Konzept der Zivilgesellschaft anstelle des durch die Verfassung definierten trinationalen Staates zu akzeptieren. Die Republika Srpska ist auch entrüstet, weil Deutschland auf der rechtswidrigen Ernennung seines Bürgers Christian Schmidt zum Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft in BIH besteht, dessen Mandat von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats Russland und China abgelehnt wurde. Der "Tourist Schmidt", wie er in dieser Entität wahrgenommen wird, hat nämlich das vorgeschriebene Verfahren im UN-Sicherheitsrat nicht befolgt, was als diskriminierendes und anachronistisches politisches Vorgehen der politischen Garnitur Deutschlands und Einmischung in die ohnehin komplexen inneren Angelegenheiten Bosnien-Herzegowinas gilt.

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