Flatten the Curve: Die kruden Energiesparpläne der EU
Von Gert Ewen Ungar
Im Vorfeld des informellen Treffens am Freitag aller Minister für Energiefragen in der Europäischen Union (EU) hat die EU-Kommission einen fünf Punkte umfassenden Vorschlag zur Bekämpfung der Energiekrise erarbeitet.
Die Vorschläge umfassen eine Preisdeckelung für russisches Gas, Gewinnabschöpfungen bei den Produzenten von Strom sowohl aus erneuerbaren Energien als auch aus fossilen Energieträgern, die Versorgung von bedrohten Energieunternehmen mit Krediten sowie Stromeinsparungen.
Die Vorschläge würden einerseits massive Eingriffe in das Marktgeschehen bewirken und sind mit den Verträgen und Zielen der EU kaum vereinbar. Der Gründungsgedanke der EU war einst, durch einen Binnenmarkt geradewegs Handelsbarrieren und regulatorische Hemmnisse abzubauen – nicht neue zu errichten. Mit einer Preisdeckelung für russisches Gas, einer Gewinnabschöpfung bei Energiekonzernen sowie der Unterstützung von faktisch in die Insolvenz getriebenen Energieversorgern bricht die EU mit einer ihrer Gründungsideen. Bisher hatte auch die EU-Kommission die Festlegung von Preisen stets abgelehnt. Jetzt gibt sie – wohl auf Druck aus Deutschland – diesen Grundsatz auf.
Das muss andererseits nicht schlecht sein, denn es bietet zumindest theoretisch eine Chance, die bisherige marktradikale Ausrichtung dieser EU zu reformieren. Doch dazu wird es vermutlich leider nicht kommen.
Mit Zufallsgewinnen meint die Kommission jene Gewinne von Energieunternehmen, die aufgrund des gestiegenen Gaspreises besonders hoch ausfallen. Die Abschöpfung dieser Zufallsgewinne und deren Umverteilung könnten den Weg in Richtung einer Sozial-Union weisen. Dem steht jedoch das Prinzip der Konkurrenz der Nationalstaaten entgegen, die sich aufgrund der Konstruktion der gemeinsamen Euro-Währung in einem Wettbewerb untereinander befinden.
Es ist daher eher anzunehmen, dass die EU-Länder in einer Art Standortwettbewerb jeweils möglichst niedrige Gewinnabschöpfungen anstreben, um Abwanderung zu den Konkurrenten zu vermeiden. Denn schon bisher ist die Verlagerung von Gewinnen in EU-Länder mit einem niedrigen Steuersatz gängige Praxis. Konzerne wie IKEA, Google, Apple und Amazon reduzieren so schon lange auf diese Weise ihre Steuern – und maximieren so ihre Gewinne. Dieser Weg steht auch Energieunternehmen offen.
Unklar bleibt, wie die Höhe der angeblich "übermäßigen" Zufallsgewinne ermittelt werden soll und wer sie festlegt. Ihre Höhe wird Anlass für andauernden juristischen Streit geben, zumal laut der Erklärung von der Leyens ohnehin bei allen Varianten der Energieerzeugung Zufallsgewinne abgeschöpft werden und lediglich Atomkraft dabei ist nicht aufgelistet ist. Sollte die Erzeugung von Atomstrom von der Regelung ausgenommen sein, ist eine Klagewelle absehbar. Legen die Länder der EU unabhängig voneinander die Höhe fest, droht ein Sammelsurium an unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden Regelungen. Legt jedoch die EU-Kommission die Höhe fest, überschreitet sie damit ihre Kompetenz.
Auch der Vorschlag, die Preise von russischem Gas zu deckeln, also einen Höchstpreis gesetzlich festzulegen, wirkt undurchdacht. Mit dieser Maßnahme wird zwangsläufig der Preis für Gas, das nicht aus Russland stammt, stark steigen, denn Russland hat für diesen Fall bereits angekündigt, seine Gaslieferungen in die EU komplett einzustellen. Gleiches gilt für eine Deckelung des Preises für russisches Öl. Laut dem russischen Kanal Rossija 24 plant die EU-Kommission eine Preisobergrenze von rund 520 Euro pro 1.000 Kubikmeter Gas. Das wäre ein Viertel bis ein Fünftel des aktuellen Marktpreises. Es besteht für Russland keine Notwendigkeit, sich auf eine solche äußere "Regulierung" des Marktes einzulassen. Russland baut vielmehr sowohl seine Pipeline- als auch seine LNG-Kapazitäten aus. Beide zielen auf die verstärkte Bedienung der Nachfragen im asiatischen Markt.
Die EU-Kommission hat Angst, dass infolge der hohen Energiepreise strauchelnde Energieversorger im Weiteren eine Bankenkrise auslösen könnten. Sie plant daher, die betroffenen Konzerne mit Krediten zu versorgen, um deren Pleiten abzuwenden. Ob das gelingt, ist jedoch fraglich – wer es zu bezahlen hat, dagegen nicht. Die Rettung "systemrelevanter" Banken in der Folge der Finanzkrise von 2008 hatte letztlich die Steuerzahler Milliarden gekostet. Die EU-Kommission plant offenbar die Wiederholung solcher Art Rettungsaktion für die in Schieflage geratenden Strom- und Gas-Anbieter.
Flatten the curve, so lautete ein Appell, der zu Beginn der Corona-Pandemie gern wie ein Mantra wiederholt wurde. Er sollte bewirken, durch Kontaktminderung oder andere "geeignete Maßnahmen" irgendwie die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen – mit dem Ziel, die Krankenhäuser nicht zu überlasten.
Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen benutzt diesen Begriff nun erneut. Sie will die Verbrauchsspitzen von Strom "abflachen". Es ist nicht so ganz verständlich, was sie meint, wenn sie sagt:
"Wir müssen Strom sparen, aber wir müssen intelligent sparen. Wenn wir uns die Stromkosten anschauen, dann gibt es Nachfragespitzen. Und das macht es teuer, denn während dieser Nachfragespitzen kommt das teure Gas auf den Markt. Wir müssen also die Kurve abflachen und Nachfragespitzen vermeiden. Wir werden ein verbindliches Ziel für die Verringerung des Stromverbrauchs zu Spitzenzeiten vorschlagen."
Vermutlich meint sie: Wenn es Nachfragespitzen gibt, werden zusätzlich Gaskraftwerke zur Deckung des Bedarfs in Betrieb genommen. Diese Gaskraftwerke als teuerste Form der Energiegewinnung legen dann nach den Regeln der EU den Strompreis fest. Von der Leyen möchte dem nicht mit einer Änderung des Regelwerks begegnen. Sie will stattdessen wohl die Verbrauchsspitzen kappen. Faktisch redet sie hier von Stromsperren in Phasen der Spitzenlast, denn anders lässt sich dieser Plan nicht umsetzen. Allein Appelle an die Verbraucher, das Licht und die Fernseher mal auszuschalten, werden dabei nicht helfen. Die Verbrauchsspitzen liegen in der "dunklen" Jahreszeit zwischen 16:30 und 19 Uhr. Anscheinend schwebt Ursula von der Leyen vor, die EU-Bürger bald nicht nur im Kalten, sondern auch im Dunklen sitzen zu lassen.
Die Vorschläge der EU-Kommission sind unausgegoren und undurchdacht. Würden sie umgesetzt, so werden sie der EU weiteren Schaden zufügen. Die EU-Kommission steuert diese Union in den ökonomischen Abgrund – mit allen Konsequenzen für sowohl Unternehmen als auch Bürger.
Es wäre jetzt der Zeitpunkt für die Einsicht gekommen, dass dieser Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht gewonnen werden kann, zumal die Mehrheit der Länder der Welt das westliche Sanktionsregime nicht unterstützt.
Der EU-Kommission ist zu empfehlen, diesen Konfrontationskurs aufzugeben und zur Kooperation zurückzukehren. Das wäre nicht nur im Interesse der EU-Bürger und ihrer Wirtschaft. Es wäre auch im Interesse der gesamten Europäischen Union und deren Bürger, denn die selbstverschuldete Krise hat das Potenzial, diese Union zu zerreißen.
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