Analyse zur Frankreich-Wahl: Ein Votum für Macron – aber nur ein spärliches Ja zu Europa
von Pierre Lévy
Leichtsinn? Am 12. April meinte Emmanuel Macron in seiner Rede in Straßburg, dass der zweite Wahlgang "ein Referendum über Europa" sein würde. Und zum Abschluss der Fernsehdebatte präzisierte er sogar, dass es ein Referendum "für oder gegen die Europäische Union" sein werde. Zwar darf er nun schließlich seinen Aufenthalt im Élysée-Palast fortsetzen. Folgt man der Logik Macrons jedoch wörtlich, so haben mit der Stichwahl bereits 41,5 Prozent der Franzosen dieser Europäischen Union (EU) die kalte Schulter gezeigt.
Man wird einwenden, dass nicht alle Wähler von Marine Le Pen erklärte Befürworter eines "Frexits" seien. Die Kandidatin selbst hatte viel Energie darauf verwendet zu versichern, dass dies auch keineswegs ihr Ziel sei. Wenn man jedoch einen Moment darüber nachdenkt, gibt es einen Punkt, in dem der Präsident vor dieser Wahl wahrscheinlich nicht ganz falsch lag: Wäre die Chefin von Rassemblement National gewählt worden und hätte sie dann noch den Mut gehabt, ihr Programm umzusetzen, wäre die Mitgliedschaft Frankreichs in der EU sehr schnell auf den Prüfstand gekommen. Beispielsweise ist die Einführung der Dominanz des nationalen Rechts gegenüber dem EU-Recht an sich schon brisant. Denn die EU hat für ihre Schöpfer und Paten nur dann einen Sinn, wenn sie auch in der Lage ist, diesem oder jenem Land die Beibehaltung einer Ausrichtung aufzuzwingen, die ein "Kreis der Vernunft" vorgeschrieben hat.
Dass dieser Konflikt, der das Ende jeder Integration eingeläutet hätte, nicht in der Absicht der Kandidatin lag, ist letztlich unwichtig. Entscheidend ist, dass ihre Wähler – egal wie "gemäßigt" sie selbst sich zu geben versuchte – ihre Stimmzettel genau dann in die Urnen warfen, als Emmanuel Macron (und alle politischen Kräfte und Medien, die sich geschlossen für ihn aussprachen) für sie alle immer wiederholte: Wenn ihr Le Pen wählt, ist es aus mit der EU.
In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Wahl eine Spaltung deutlich gemacht hat, die bereits beim Referendum über den EU-Verfassungsvertrag 2005 deutlich wurde (und sich sogar seit 1992 mit Maastricht angedeutet hatte), und zwar eine Spaltung, die sich seither immer weiter verfestigt hat – nämlich zwischen denjenigen, die sich ideologisch hinter die "globalisierten Eliten" stellen, also um die besitzenden Klassen herum, und den am meisten ausgebeuteten Klassen. Die Karten von der Wahl veranschaulichen diese "Klassen-Abstimmung" wieder einmal auf spektakuläre Weise.
Bezeichnend war auch die Besorgnis der wichtigsten Politiker dieser EU im Vorfeld des 24. April. Wie eine neue Heilige Allianz brachten viele ihre Angst zum Ausdruck, dass sich die "Zukunft Europas" gar dort entscheiden würde. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages rief aus:
"Jetzt alle hinter Macron versammeln! Er oder der Untergang des vereinten Europas."
Der spanische Ministerpräsident erklärte am 9. April, dass "die Feinde der EU nicht nur in Moskau, sondern auch in Paris sitzen". Pedro Sánchez hat übrigens gemeinsam mit dem deutschen Bundeskanzler und dem portugiesischen Premierminister einen Meinungstext unterzeichnet, der auch von Le Monde noch am 22. April bereitwillig veröffentlicht wurde und in dem offen dazu aufgerufen wurde, für ihren amtierenden französischen Kollegen zu stimmen. Eine Initiative, die – Ironie der Geschichte – zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem man in Brüssel nicht aufhört, Moskau zu beschuldigen, sich angeblich stets in die Wahlen auch der EU-Mitgliedsstaaten einmischen zu wollen. Man kann sich die apoplektischen Reaktionen kaum vorstellen, wenn Wladimir Putin am Vorabend des zweiten Wahlgangs einen Aufruf etwa in dem Sinne veröffentlicht hätte, er würde hoffen, dass die Bürger der Französischen Republik Marine Le Pen wählen werden.
In Rom sagte Enrico Letta:
"Der Erfolg von Marine Le Pen wäre ein größerer Sieg für Putin als der in der Ukraine".
Der Vorsitzende dieser "Partito Democratico" (einer "Mitte-Links"-Partei, die die Regierung unterstützt) und ehemalige Premierminister ging sogar noch weiter und meinte, dass der aktuelle Krieg "ein sehr starkes europäisches Momentum, eine Gelegenheit, die man nicht verpassen darf" darstelle, um die Integration zu beschleunigen und neue Formen der Erweiterung, insbesondere in Richtung der Ukraine, zu erfinden. Eine These, die sowohl von der EU-Kommission in Brüssel als auch in einigen EU-Hauptstädten weitgehend geteilt wird.
Genau diejenigen, die über das Schicksal des ukrainischen Volkes entsetzte Krokodilstränen vergießen, halten diesen Krieg alles in allem für eine Gelegenheit, die man nicht verpassen sollte. Es ist wahrscheinlich, dass der Herr des Élysée-Palastes diesen Zynismus teilt. Und wird wahrscheinlich schnell vergessen, dass seiner eigenen Analyse zufolge fast jeder zweite Wähler es gewagt hat, die Europäische Union und ihre "Retter" herauszufordern.
Angesichts dieser Umstände haben die kalten Schweißausbrüche der Befürworter dieser "Europäischen Union" wahrscheinlich gerade erst begonnen.
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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.