Europa

Fadenscheiniger Menschenrechtsschutz: EU-Lieferkettengesetz soll nur für 13.000 Unternehmen gelten

Ein neues EU-Lieferkettengesetz soll die oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer von Zuliefererfirmen europäischer Unternehmen aus nicht EU-Ländern verbessern. Doch die EU-Richtlinie ist fadenscheinig – betrifft sie doch nur rund ein Prozent aller in der EU ansässigen Unternehmen.
Fadenscheiniger Menschenrechtsschutz: EU-Lieferkettengesetz soll nur für 13.000 Unternehmen geltenQuelle: www.globallookpress.com © Ton Koene

Die Anzahl menschenverachtender Arbeitsverhältnisse nimmt weltweit zu. Zurückzuführen ist dies auf die Gier vieler Unternehmer nach immer größeren Gewinnspannen, die gleichzeitige Forderung der Endverbraucher nach günstigeren Preisen und den wachsenden Konkurrenzkampf innerhalb der einzelnen Branchen.

Denn je günstiger das Endprodukt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass am Produktionsprozess beteiligte Arbeitnehmer aus nicht EU-Ländern unter unwürdigen Bedingungen ausgebeutet wurden. So sind meist auch europäische Unternehmen, obwohl sie von den EU-Gesetzgebern eigentlich zur Einhaltung arbeitsrechtlicher Regularien verpflichtet sind, unvermeidlich an Menschenrechtsverletzungen beteiligt. 

Um dem vorzubeugen, plant die EU bereits seit längerem ein sogenanntes Lieferkettengesetz. Dieses soll Unternehmen, die ihre Waren teils in nicht EU-Ländern vorfertigen oder produzieren lassen, dazu verpflichten, die Sicherstellung menschenwürdiger Arbeitsplätze und die Einhaltung von Umweltstandards nicht nur bei den Unternehmen selbst, sondern auch bei ihren Lieferanten zu gewährleisten.  

"Tatsächlich geht der größte Teil von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch Unternehmen zurück auf ihre Zulieferer", kommentierte EU-Justizkommissar Didir Reynders die Debatte. Die beklagten Menschenrechtsverletzungen finden demnach überwiegend in Ländern statt, die außerhalb des Einflussbereiches der EU liegen.   

Mit dem Lieferkettengesetz sollen die hiesigen Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet werden, bei sämtlichen am Herstellungsprozess beteiligten Zulieferfirmen zu überprüfen, woher die Waren kommen, welche Folgen die Produktion der gelieferten Waren für die Umwelt hatte und unter welchen Bedingungen sie hergestellt wurden. 

Das Lieferkettengesetz, das am Mittwoch durch die Europäische Kommission verkündet wurde, soll vorerst jedoch nur Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von 150 Millionen Euro betreffen. Das Gesetz betrifft damit konkret etwa 13.000 Unternehmen. "Kleine und mittlere Unternehmen, zu denen auch Kleinstunternehmen gehören und die insgesamt rund 99 Prozent aller Unternehmen in der EU ausmachen, sind vom Lieferkettengesetz ausgenommen", heißt es in dem bereits vorab geleakten Entwurf. Dies berichtet das Nachrichtenportal EURACTIV.

Auch Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten fallen unter das Gesetz – jedoch nur, wenn diese einen Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro zu verzeichnen haben und mindestens die Hälfte ihres Umsatzes aus sogenannten Hochrisikosektoren stammt, zu denen unter anderem die Textilindustrie, die Landwirtschaft oder der Bergbau zählt.

Der Geltungsbereich der Richtlinie erstreckt sich damit auch auf Unternehmen aus nicht EU-Ländern, sobald sie branchenabhängig einen Nettoumsatz von mindestens 150 Millionen Euro oder 40 Millionen Euro in der EU erzielen. Dies ist jedoch nur bei etwa 4.000 Unternehmen aus Drittländern der Fall, schätzt die EU-Kommission.  

Für mehr als 100 NGOs und Unternehmen, die sich vorab mit einem Schreiben an die EU gewandt hatten und eine härtere Haftung von an diversen Menschenrechtsverletzungen beteiligten Unternehmen forderten, wird die jetzt beschlossene Richtlinie jedoch eine Enttäuschung sein.   

Grund für die eher fadenscheinige Regelung seien dem Entwurf zufolge Überlegungen, "die durch die Kommentare des Ausschusses für Regulierungskontrolle zur Problem-Beschreibung ausgelöst wurden", heißt es in dem EURACTIV-Bericht. Damit bezieht sich die EU-Kommission auf den Ausschuss für Regulierungskontrolle (RSB), der das Gesetz durch Abgabe zweier negativer Folgenabschätzungen im vergangenen Jahr verzögert hatte.

Die Ablehnungen des RSB hatten eine Kontroverse zur Folge, da die Blockade der Behörde die Verabschiedung der Richtlinie zum Lieferkettengesetz wiederholt verzögerte. So kritisierten EU-Abgeordnete und Wissenschaftler den nahezu unbekannten Ausschuss als intransparent und einen Verstoß gegen die demokratische Rechenschaftspflicht.

Das neue Gesetz muss nun noch sowohl von den Regierungen der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten als auch vom Europäischen Parlament gebilligt werden. Nach der Billigung haben die Mitgliedsstaaten dann zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. 

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