Die ersten Sondierungsgespräche zwischen den USA und Russland über eine Reihe sicherheitspolitischer Fragen sind in dieser Woche zu Ende gegangen. Beide Seiten beschreiben das Ergebnis ihrer Unterredungen in gedämpften Tönen. In westlichen Medien werden gelegentlich Parallelen der aktuellen Lage mit der Kuba-Krise von 1962 gezogen. Es wird darüber spekuliert, ob Russland Militäreinheiten in Venezuela oder auf Kuba stationieren könnte, um Druck auf die USA in der Ukraine-Frage auszuüben.
Deutsche Zurückhaltung?
Nun hat der Bürgermeister von Kiew, der ehemalige Boxer Vitali Klitschko, der im Verlauf des ukrainischen Umsturzes von 2013/14 zu seinem Posten gekommen war, deutliche Kritik an der deutschen Politik gegenüber seinem Land in einem Interview mit der Bild-Zeitung geäußert.
Klitschko brachte seinen Unmut darüber zum Ausdruck, dass Berlin sich bisher geweigert hat, Kiew mit "Abwehrwaffen" zu beliefern. Dafür kann sich Klitschko einzig folgenden Grund vorstellen: "… aus Angst, Putin weiter provozieren zu können. Diese Position ist schwer zu verstehen."
In seinem Ärger über die relative deutsche Zurückhaltung rutschte Klitschko damit heraus, dass westliche Waffenlieferungen an die Ukraine von Russland als Provokation aufgefasst werden müssen – und bisher schon Provokationen stattgefunden haben, sonst würde das "weiter provozieren" keinen Sinn ergeben. Dass die USA und Russland bilateral über europäische Sicherheitsfragen beraten – also über die Köpfe der Ukrainer hinweg, aber nicht nur deren –, wirke "wie ein Schlag ins Gesicht". Und der Bürgermeister fuhr fort:
"Wir sind sehr besorgt über eine weitere russische Aggression gegen unser Land und diskutieren seit Monaten über Krieg und Frieden, aber die Ukraine ist nicht am Tisch internationaler Verhandlungen. Wie kann das sein?"
"Aggressives Russland"
"Weitere russische Aggression"? In diesem Interview unterstellte Klitschko Russland – wie im Westen längst üblich –, aggressive Absichten gegen die Ukraine zu hegen:
"Die russische Regierung, der russische Präsident Wladimir Putin, nutzt jede Schwäche des Westens aus."
Man könne "nicht mit Kissen" gegen schwer bewaffnete Kräfte kämpfen, so Klitschko. Wenn dem so wäre, dann läge dies, folgt man dem Springerblatt, eben auch an der Berliner Politik: Denn mit spürbarer Reserve zitiert Bild zwei Stimmen aus der SPD. Die größte Regierungspartei würde anders als notwendig mit der vermeintlichen russischen Bedrohung umgehen.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert habe sogar gefordert, man solle "potenzielle internationale Konflikte nicht herbeireden", bloß um der "umstrittenen russischen Gaspipeline Nord Stream 2 zu schaden". Und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich habe in der taz festgestellt: "Wir brauchen perspektivisch eine europäische Friedensordnung unter Einschluss Russlands."
Klitschko dagegen setzt weiterhin auf altbekannte antirussische Kalter-Krieg-Klischees und wiederholt die Behauptungen, wonach Putin die Wiederherstellung der Sowjetunion anstrebe. Dem früheren Profiboxer zufolge wäre nach der angeblich drohenden Unterwerfung der Ukraine unter russische Herrschaft als Nächstes die Existenz der baltischen Staaten gefährdet.
Putin und das "Sowjetimperium"
Doch selbst dann würde der russische Präsident angeblich nicht Halt machen. Denn Putin ginge es darum, nicht nur die Sowjetunion wiederherzustellen, sondern auch das frühere "Sowjetimperium", dessen Untergang er bedauert habe. Demzufolge müssten auch die Deutschen beunruhigt sein, denn zur sowjetischen Einflusssphäre gehörte auch die DDR:
"Wenn die USA und Europa Putin erlauben, die Ukraine anzugreifen, wird er nicht vor der Ukraine Halt machen. Dann wird Putin sein Augenmerk auf die baltischen Staaten richten. Und wenn er von seinem Wunsch spricht, das Sowjetimperium zurückzugeben, dann schließt das auch die ehemalige DDR ein. Daher sollte die Kriegsdrohung gegen die Ukraine jeden Deutschen alarmieren. Putin hat schließlich nie verschwiegen, dass er den Zusammenbruch der UdSSR als politische Tragödie für Russland betrachtete."
Nach Klitschko müsse die Ukraine also ihre Existenz gegen Russland verteidigen.
Der Kiewer Bürgermeister verfügt über langjährige Verbindungen nach Deutschland und wurde unter anderem von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert und war in Berlin/Brüssel 2014 eigentlich für Höheres ausersehen, doch sollte er seinerzeit nicht zum Zuge kommen.
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