Die Ukraine baut die NATO-Präsenz in ihrem Land erheblich aus. Einem am Dienstag verabschiedeten Gesetz zufolge dürfen sich 2022 wie bereits 2021 bis zu 4.000 NATO-Soldaten, darunter 2.000 US-Amerikaner, ganzjährig in der Ukraine aufhalten. Beim Militärgerät wurde die Erlaubnis von zehn Flugzeugen und Hubschraubern auf 40 aufgestockt.
Zudem wurde dem Aufenthalt von bis zu 20 Schiffen von NATO-Staaten in ukrainischen Hoheitsgewässern zugestimmt. Ziel seien taktische Übungen und das Training ukrainischer Soldaten. Darüber hinaus sind im kommenden Jahr zehn Manöver mit ausländischer Beteiligung in der Ukraine geplant.
Wie das ukrainische Portal gordon.ua berichtet, erläuterte der stellvertretende Verteidigungsminister Anatoli Petrenko bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs, dass dessen Verabschiedung die Durchführung von zehn multinationalen Übungen in der Ukraine ermöglichen würde, an denen rund 21.000 ukrainische Soldaten und 11.500 Vertreter von NATO-Ländern und andere ausländische Partner mit entsprechenden Waffen und militärischer Ausrüstung teilnehmen würden.
Er betonte, dass die Durchführung multinationaler Übungen in der Ukraine zur Stärkung der nationalen Verteidigungskapazitäten beitragen und die politischen und diplomatischen Bemühungen um die Sicherheit in der Region unterstützen würde.
NATO-Soldaten bilden seit 2015 ukrainische Streitkräfte für den Kampf gegen die Volkswehr der selbst ausgerufenen Donbass-Republiken Donezk und Lugansk aus. Im Juni 2020 nahm die Allianz die Ukraine in das "Enhanced Opportunities Program" auf. Damit erhielt die Ukraine "erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten an NATO-Manövern und Kooperationsprojekten sowie Zugriff auf ausgewählte geheime Bündnisinformationen" – ein Schritt in Richtung einer NATO-Mitgliedschaft. Nach Schätzung russischer Militärbeobachter stehen mittlerweile mehrere Basen und Ausbildungsstätten auf dem ukrainischen Territorium de facto unter Kontrolle der US-amerikanischen und britischen Kräfte; gemeinsame Übungen zu Land und Wasser sind an der Tagesordnung.
Im militärischen Konflikt im Osten des Landes wurden laut UN-Schätzungen mehr als 13.000 Menschen getötet, wobei der Großteil dieser Opfer aus dem Rebellengebiet stammt. Laut örtlichen Angaben sind 9.000 Zivilisten und Kämpfer der Volkswehr im Krieg gestorben. Menschenrechtsbeauftragte in Donezk und Lugansk werfen der Ukraine schwere Kriegsverbrechen vor, wobei tödliche Munition teilweise aus NATO-Staaten stammt. Der als Minsker Prozess bekannte Friedensplan liegt hingegen auf Eis.
Kiew genießt die politische Rückendeckung aus dem Westen, darunter aus den Ländern des diplomatischen Normandie-Formats Frankreich und Deutschland. Russland unterstützt das vom wirtschaftlichen und politischen Leben abgeschnittene Gebiet mit umfangreichen Hilfsmaßnahmen. Laut der Minsker Vereinbarungen streben die sogenannten Separatisten aus Donezk und Lugansk nach einem autonomen Status in der Ukraine. Die Ukraine will aber einen homogenen Staat und strebt nach vollständiger Kontrolle über die Grenze zu Russland. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij empfiehlt der prorussischen Bevölkerung in der Region, nach Russland auszuwandern.
Seit dem nationalistischen Staatsstreich in Kiew und der darauffolgenden Abspaltung der Autonomen Republik Krim von der Ukraine Anfang des Jahres 2014 sieht sich Kiew im Krieg mit Moskau. Die Regierung drängt zum NATO-Beitritt, dieser ist seit 2019 als Ziel in der ukrainischen Verfassung verankert. Moskau befürchtet, dass die militärische Infrastruktur aus den NATO-Staaten auch in Umgehung rechtlicher Schranken auf dem ukrainischen Territorium weiter Fuß fasst.
Diese Entwicklung hat Russland in den letzten Wochen wiederholt als rote Line bezeichnet und eine Vereinbarung über den Stopp der NATO-Osterweiterung gefordert. Der Westen und die Ukraine haben eine russische Truppenkonzentration im Smolensker Oblast westlich von Weißrussland und nördlich von der Ukraine als Vorbereitung für eine Invasion in die Ukraine bewertet.
Russland wies seinerzeit darauf hin, dass die Ukraine die Hälfte ihrer Militärstärke in der Nähe des Konfliktgebiets zusammengezogen hat. Die OSZE meldet die Präsenz der laut dem Minsker Abkommen verbotenen schweren ukrainischen Artilleriesysteme in der Nähe der Kontaktlinie. Eine rechtliche Lockerung für die Präsenz ausländischer Truppen und Militärgeräte im Land ist in dieser aufgeheizten Situation alles andere als ein Signal zur Entspannung.
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