"Angriffe auf deutsche Gedenkpolitik" – deutsch-ukrainischer Geschichtsstreit eskaliert
Anlässlich des 80. Jahrestags des heimtückischen Überfalls Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion eröffnet das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst am 18. Juni die Ausstellung "Dimensionen eines Verbrechens. Sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg". Mit mehr als drei Millionen Toten sind die sowjetischen Kriegsgefangenen unter den 27 Millionen Sowjetbürgern eine der größten Opfergruppe dieses Massenverbrechens. Dennoch wird bis heute an diese Opfer selten erinnert.
Das ist wohl eines der Gründe, weshalb der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ausstellung höchstpersönlich eröffnen wird. Damit ist diese Eröffnungsveranstaltung hierzulande eine der wichtigsten Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg. Doch nun wird diese Gedenkankündigung von einem aktuellen "Erinnerungsstreit" mit der Ukraine überschattet.
Der Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrei Melnyk hatte seine Teilnahme an der Veranstaltung abgesagt, weil sie im sogenannten "Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst" stattfinden soll. Dies sei nach seiner Auffassung "aus Sicht der Ukrainer ein Affront, sehr bedauernswert und befremdlich zugleich", schrieb er in einem Brief an den Museumsdirektor Jörg Morré. Der ukrainische Botschafter kritisiert, dass das dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion gewidmete Museum heute nur Russland in seinem Namen führt und nicht auch andere Sowjetrepubliken wie etwa die Ukraine und Weißrussland, die im Zweiten Weltkrieg als Republiken der Sowjetunion ebenfalls Millionen Opfer zu beklagen hatten.
"Die Schuld der Deutschen für die Nazi-Verbrechen wird nach wie vor nur gegenüber Russland und den Russen in Betracht gezogen", schrieb Melnyk. "Dabei werden andere Nationen wie die Ukrainer, die aufs Massivste gelitten haben, aber auch Belarus und die baltischen Länder, schlicht und einfach ignoriert."
"Auf diese Weise wird de facto die UdSSR mit Russland gleichgesetzt, was eine Geschichtsverdrehung darstellt und vehement abzulehnen ist", schreibt Melnyk. "Es ist wirklich brandgefährlich, vor allem für die künftige deutsch-ukrainische Aussöhnung, dass diese gezielte russische Geschichtsumdeutung nach wie vor in der Bundesrepublik ein breites politisches und gesellschaftliches Echo findet."
Das Bundespräsidialamt wies diese scharfe Kritik des Botschafters ebenso entschieden zurück. Die Entscheidung des Botschafters der Ukraine, nicht an der Veranstaltung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilzunehmen, sei bedauerlich, hieß es am Mittwoch aus dem Bundespräsidialamt. Sie widerspreche der Überzeugung des Bundespräsidenten, "dass die Erinnerung an diesen Krieg über alle Differenzen und Konflikte hinweg eine verbindende Wirkung haben sollte".
Vor allem die Behauptung, dass andere großes Leid erfahrene Nationen durch den Bundespräsidenten ignoriert würden, wies das Amt des deutschen Staatsoberhauptes vehement als falsch zurück. "Was nicht zu akzeptieren ist, ist der Rundumschlag des Botschafters gegen die deutsche Gedenkpolitik", hieß es aus dem Umfeld Steinmeiers.
"Er [Melnyk] erweist mit diesem pauschalen Vorwurf dem berechtigten Interesse seines Landes, aber auch den deutsch-ukrainischen Beziehungen einen schlechten Dienst."
Das "Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst" befindet sich genau in jenem Gebäude, in welchem die Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 1945 vor Vertretern der Sowjetunion, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die bedingungslose Kapitulation Deutschlands vor den vier alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges unterzeichneten. Damit wurde dort der Zweite Weltkrieg im Mai 1945 in Europa beendet.
Das erste Museum nach dem Krieg im später als Sitz der Sowjetischen Kontrollkommission genutzten Gebäude wurde im Jahr 1967 eröffnet. Es trug den Namen "Museum der bedingungslosen Kapitulation des faschistischen Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg". Im Jahr 1995 wurde es umbenannt in "Deutsch-Russisches Museum". Die wissenschaftliche Betreuung der dort stattfindenden Ausstellungen erfolgt im multinationalen Austausch unter anderem mit russischen, ukrainischen und weißrussischen Forschern.
Der Boykott der gemeinsamen Gedenkveranstaltung mit dem deutschen Bundespräsidenten vonseiten des ukrainischen Botschafters ist nicht sein erster geschichtspolitischer "Affront". Mit ähnlicher Begründung warf der Botschafter im Mai dieses Jahres der Partei Die Linke in Verfälschung wörtlicher Formulierungen angebliche "Geschichtsklitterung" vor, was nicht zu tolerieren sei. Im Februar fand Andrei Melnyk folgenden Satz des Bundespräsidenten falsch: "Mehr als 20 Millionen Menschen der damaligen Sowjetunion sind dem Krieg zum Opfer gefallen. Das rechtfertigt kein Fehlverhalten in der russischen Politik heute, aber das größere Bild dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren."
Der Botschafter sah auch darin eine Gleichsetzung Russlands mit der früheren Sowjetunion und nannte solche Äußerungen "befremdlich und empörend". Die darauf folgenden Medienattacken gegen Steinmeier nannte die Ehefrau des Botschafters "Steinmeiers Waterloo". Deutschen Politikern solle für immer der Appetit vergehen, die "Ukraine offen zu verachten", schrieb sie noch in einem Facebook-Beitrag.
Außerdem liefert sich der Botschafter der Ukraine in Berlin seit Jahren einen "Kalten Erinnerungskrieg" mit der russischen diplomatischen Mission in Berlin. So weigerte er sich auch, an der traditionellen Kranzniederlegung vieler ehemals sowjetischer Völker gemeinsam mit dem russischen Botschafter am Tag der Befreiung vom Nazismus am 8. Mai teilzunehmen.
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