Westbalkan: EU-Beitrittsprozesse stocken – Brüssel sucht nach Lösungen
Vetternwirtschaft, Korruption, Arbeitslosigkeit und Abwanderung jüngerer, zum großen Teil gut ausgebildeter Bevölkerungsgruppen sind seit Jahren die dominierenden Probleme der Westbalkanländer. Enttäuschung über schleppende Verbesserungen der Lebensverhältnisse in weiten Teilen der Bevölkerung und über immer stärkere soziale Spaltung in der Gesellschaft machen sich in den vergangenen Jahren breit.
Ein Beitritt zur Europäischen Union wurde in weiten Teilen der betroffenen Länder mit Reformen in Verbindung gebracht – wie etwa bei der Unabhängigkeit des Justizsystems oder der Bekämpfung der Korruption.
Die politischen Eliten in den einzelnen Staaten, die unter anderem aus den ehemaligen Republiken Jugoslawiens hervorgegangen sind, nutzen die Ankündigung eines EU-Beitrittes, um sich als prowestlich zu positionieren. Doch auch unter ihrer Ägide bleiben Vetternwirtschaft und Korruption Grundlage für die Verteilung des Wohlstandes. Und zudem macht sich der Eindruck breit, Brüssel toleriere korrupte Strukturen bei den Beitrittskandidaten, solange sie sich prowestlich geben. Dies führt inzwischen auch zu sinkender Zustimmung für einen Beitritt in einigen Ländern. So zeigte eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr in Serbien, dass nur jeder Dritte unter 30 Jahren dafür sei.
Auf der anderen Seite sind weitere Akteure wie etwa China auf dem Westbalkan in Erscheinung getreten, die in die Länder investieren. In Brüssel versucht man nun seit Monaten, die EU-Erweiterungsdebatte wiederzubeleben.
Doch die Beitrittsgespräche stocken. Bereits vergangenes Jahr hatte die EU-Kommission eine neue Verhandlungsstrategie für künftige Beitrittskandidaten vorgestellt. Ende letzter Woche gab EU-Erweiterungskommissar Olivér Várhelyi dann bekannt, dass die EU-Mitgliedsstaaten der Anwendung der neuen Methodik in den Beitrittsgesprächen auch bei Serbien und Montenegro zugestimmt haben.
Ziel dabei sei es, "den Prozess glaubwürdiger, vorhersehbarer und dynamischer zu machen, mit einer stärkeren politischen Steuerung", fügte Várhelyi hinzu.
Die neue EU-Verhandlungsstrategie mit den Beitrittskandidaten sieht etwa vor, dass aus den 35 Verhandlungskapiteln nun sechs thematische Gruppen werden. So soll unter anderem die "politische Steuerung" der Verhandlungen verbessert werden.
Ein zentrales Thema wird nun die Frage der Rechtsstaatlichkeit sein. Sie soll künftig Schwerpunkt am Anfang und am Ende der Beratungen über jedes der sechs thematischen Verhandlungspakete sein.
Zudem sollen die Länder, bei denen die seitens der EU verlangten Reformen nicht durchgeführt werden, sanktioniert werden – mit einer Verlangsamung, einem Aussetzen oder einem kompletten Abbruch der Beitrittsverhandlungen.
Brüssel versucht nun auch ein weiteres Problem zu lösen. Wegen des blockierten Starts der Gespräche mit Albanien und Nordmazedonien soll nun bis Ende Juni eine Beitrittskonferenz abgehalten werden. Sofia blockierte den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit Skopje wegen eines Streites um Geschichte und Sprache. Das Veto aus Bulgarien erschütterte die Politik in Nordmazedoinien. Die prowestliche Regierung in Skopje hatte 2019 den Namensstreit mit Griechenland gegen erhebliche Widerstände im eigenen Land beigelegt. Sie ermöglichte die Namensänderung: Aus Mazedonien wurde Nordmazedonien.
Anlässlich der angestrebten Konferenz im Juni sagte Nordmazedoniens Regierungschef Zoran Zaev nun bei einem Besuch vergangene Woche in Brüssel:
"Wir wollen nicht mehr warten."
Sein Land habe "hart gearbeitet", um die Voraussetzungen zu erfüllen. Jetzt sei es Zeit, dass die Europäische Union liefere. Zaev warnte zudem davor, dass eine weitere Hängepartie für sein Land eine "Botschaft der Entmutigung für den gesamten Westbalkan" wäre.
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas pochte vergangene Woche darauf, dass die EU "so schnell wie möglich" den Beitrittsprozess Nordmazedoniens und Albaniens mit einer Beitrittskonferenz startet.
Doch nicht nur das Veto aus Sofia ist offenbar ein Problem. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters soll es – aus innenpolitischen Gründen – vor allem aus den Niederlanden und Frankreich Widerstand gegen eine weitere Annäherung an die EU von muslimischen Westbalkanstaaten geben. Reuters berief sich dabei auf Angaben von EU-Diplomaten. So hat etwa die EU die zugesagte Visaliberalisierung für die abtrünnige serbische Provinz Kosovo, die sich 2008 für unabhängig erklärt hatte, noch nicht umsetzt. Da sollen auch vor allem Frankreich und die Niederlande als "Bremser" gelten.
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