Europa

Bundesrechnungshof kritisiert den 750-Milliarden-Corona-Aufbaufonds der EU

Die EU stellt 750 Milliarden Euro bereit, um die Erholung nach der Corona-Krise zu beschleunigen. Auf der Agenda stehen Klimaschutz und Digitalisierung. In den Klimaschutz soll 37 Prozent des Gelds fließen, 20 Prozent in die Digitalisierung.
Bundesrechnungshof kritisiert den 750-Milliarden-Corona-Aufbaufonds der EU

Für den Aufbau nach Corona haben die EU-Mitgliedsstaaten beschlossen, einen sogenannten Wiederaufbaufonds ("Next Generation EU") einzurichten. Dadurch wird die EU erstmals ermächtigt, Schulden von 750 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen und die Mittel überwiegend als Zuschüsse an die Mitgliedsstaaten weiterzureichen.

Als erstes Land hat Portugal, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, seinen Aufbauplan vorgelegt. Schon im Juli soll es Geld aus dem Fonds bekommen.

Deutschland, Frankreich und Italien haben ebenfalls Bedarf gemeldet. Zwei Monate hat die Behörde nun Zeit zu prüfen, ob die Bedingungen erfüllt sind. Und die sind grün dominiert: 37 Prozent des Gelds muss in den Klimaschutz, 20 Prozent in die Digitalisierung fließen. Zudem sollen die Staaten die alljährlichen Empfehlungen der Kommission für eine bessere Wirtschaftspolitik im Zuge des Europäischen Semesters berücksichtigen. Viele Staaten legten der Kommission schon im Vorfeld Entwürfe vor. Dies teilweise sehr detailliert: Ein Plan umfasste in seiner vorläufigen Fassung sogar 50.000 Seiten. Dienstag verabschiedete das Kabinett den Aufbauplan.

Er sieht konkrete Ausgaben von rund 28 Milliarden Euro vor. Die Hälfte ist für den digitalen Wandel vorgesehen, elf Milliarden Euro fließen in den Klimaschutz. Die Bundesregierung rechnet mit EU-Zuschüssen von 25,6 Milliarden Euro. Was die Verbesserung der digitalen Verwaltung, den Abbau von Investitionshemmnissen und eine bessere Bildungsinfrastruktur angeht, blieb man vage.

Der Bundesrechnungshof mit seinem Präsidenten Kay Scheller sieht die Riesensumme des EU-Aufbaufonds durchaus kritisch und warnt vor den Gefahren. Er meint:

"Der EU-Wiederaufbaufonds organisiert schuldenfinanzierte Transfers zwischen den Mitgliedsstaaten. Er etabliert zudem eine Haftung, bei der die Mitgliedsstaaten gegenseitig für Verbindlichkeiten einstehen. Faktisch handelt es sich um eine Vergemeinschaftung von Schulden und Haftung – eine Zäsur. Für den Bundeshaushalt birgt das erhebliche Risiken."

Scheller bezieht sich auf einen Sonderbericht zu den möglichen Auswirkungen der gemeinschaftlichen Kreditaufnahme der Europäischen Union auf den Bundeshaushalt an Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Er meint:

"Die finanziellen Auswirkungen werden bis weit in die nächste Generation zu spüren sein. Über ihre künftigen Beiträge zum EU-Haushalt haften die Mitgliedsstaaten für 750 Milliarden Euro neue Schulden. Diese sollen über 30 Jahre getilgt werden. Offen ist aber, wer wann welchen Beitrag leistet. Als Kriseninstrument in einem Akt der Solidarität geschaffen, darf der Wiederaufbaufonds in einigen Jahren nicht zu einer Zerreißprobe für die EU werden. Das gilt es zu verhindern."

Gefahr Nr. 1: Für die Kredite, die aus dem EU-Haushalt getilgt werden sollen, gibt es keinen verbindlichen Tilgungsplan. Deutschland wird voraussichtlich 65 Milliarden Euro mehr zahlen, als es selbst Zuschüsse bekommt. Klar ist bislang nur, dass die Kredite im Zeitraum 2028 bis 2058 über den EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Offen ist aber, welcher Anteil dann auf welchen Mitgliedsstaat entfällt. Diese Frage soll Gegenstand zukünftiger Verhandlungen sein. Um zu verhindern, dass sich die Mitgliedsstaaten später nicht einigen können oder wollen, empfiehlt der Bundesrechnungshof, die Rückzahlungen schon jetzt in einem verbindlichen Tilgungsplan festzulegen.

Gefahr Nr. 2: Die EU sichert die Schulden des Wiederaufbaufonds mit ihrem Haushalt ab. Um die Bonität zu gewährleisten, wird die "Eigenmittelobergrenze" erhöht. Das führt zu einem enormen Garantievolumen von mindestens 4.000 Milliarden Euro – fünfmal höher als das Volumen des Wiederaufbaufonds selbst. Eine Garantie in diesem Umfang ist nicht erforderlich; beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wurden 40 Prozent als ausreichend erachtet. Dieser Spielraum könnte Begehrlichkeiten wecken, Spekulationen über eine Verstetigung der Verschuldung befeuern und dazu verleiten, den Tilgungsbeginn hinauszuzögern. Der Bundesrechnungshof empfiehlt, das Garantievolumen deutlich zurückzuführen.

Gefahr Nr. 3: Die Praxis zeigt: In Krisenzeiten auf EU-Ebene eingeführte Instrumente verstetigen sich regelmäßig. So hat der ESM beispielsweise die zuvor eingerichteten temporären Rettungsschirme mittlerweile dauerhaft abgelöst. Dabei wird häufig ausgeblendet, dass die Kosten und Risiken in der jeweiligen Krise, aber nicht auf Dauer gerechtfertigt sind. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sollten verhindern, dass sich die gemeinschaftliche Kreditaufnahme zu einer Dauereinrichtung entwickelt.

Gefahr Nr. 4: Die Fiskalregeln begrenzen die nationalen Defizite und Schuldenstände. Sie gelten jedoch nicht für EU-Schulden. Die Mitgliedsstaaten könnten sich also auf EU-Ebene theoretisch unbegrenzt verschulden und sich diese Mittel dann als Zuschüsse selbst zuweisen. Die enorme Übersicherung des Fonds setzt dazu bedenkliche Anreize. Darunter kann die Haushaltsdisziplin leiden. Um dies zu verhindern, sollten die Schulden des Wiederaufbaufonds anteilig auf die Schuldenstände der Mitgliedsstaaten angerechnet werden. So würden die nationalen Fiskalregeln auch für EU-Schulden greifen und disziplinierend wirken.

Gefahr Nr. 5: Der Wiederaufbaufonds will Voraussetzungen schaffen, unter denen die Mitgliedsstaaten die negativen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abfedern können und besser für zukünftige Krisen gewappnet sind. Um die EU langfristig zu stärken, sollten die Fondsmittel genutzt werden, um die Strukturen in den Mitgliedsstaaten widerstandsfähiger gegen Kriseneinflüsse zu machen. Daher sollten die Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds mit Reformauflagen verknüpft werden, die auf den Abbau eben dieser strukturellen Defizite abzielen und die Eigenverantwortung der Mitgliedsstaaten stärken. Gelingt dies nicht, könnte es langfristig die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion gefährden. Mit Folgen für den Bundeshaushalt: Durch vergemeinschaftete Schulden steigen die Haftungsrisiken für die einzelnen Mitgliedsstaaten.

Fazit des Bundesrechnungshofes:

"Mit den vergemeinschafteten Schulden sind erhebliche Haftungsrisiken für die Mitgliedsstaaten verbunden. Zudem könnte der Wiederaufbaufonds als Präzedenzfall betrachtet werden, auch Kosten künftiger Krisen auf EU-Ebene zu verlagern. Damit wären Fehlanreize verbunden. Die Bundesregierung sollte daher sicherstellen, dass die gemeinschaftliche Kreditaufnahme unter Umgehung der Fiskalregeln nicht zu einer Dauereinrichtung wird."

Bis Ende April haben die Staaten Zeit, um in ihren Aufbauplänen darzulegen, wofür sie das Geld nutzen wollen. Schon jetzt aber zeichnet sich ab, dass viele die Frist verstreichen lassen werden. Die Kommission beschwichtigt: "Das Geld kann schließlich auch rückwirkend fließen." 

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