150.000 russische Soldaten? – Borrell sorgt mit Zahlen zum russischen "Aufmarsch" für Verwirrung

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat bei einer Videokonferenz mit genauen Kenntnissen über die russische Truppenpräsenz im Grenzgebiet zur Ukraine gepunktet, wollte aber keine Auskunft über seine Quellen geben. Oder hat er sich doch geirrt?

Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell hat mit einer Angabe zur Stärke des angeblichen russischen Truppenaufmarsches entlang der Grenze zur Ukraine und auf der Halbinsel Krim für Verwirrung gesorgt. Borrell sprach am Montag nach einer Videokonferenz mit den EU-Außenministern von "mehr als 150.000 russischen Soldaten", die dort zusammengezogen worden seien. Diplomaten berichteten im Anschluss allerdings, dass in der Videokonferenz nur von rund 120.000 russischen Soldaten die Rede gewesen sei. Eine Sprecherin Borrells konnte die Diskrepanz zunächst nicht aufklären.

Borrell hatte in der Pressekonferenz nach den Beratungen Angaben zur Herkunft der Zahl verweigert. "Ich kann ihnen nicht sagen, woher diese Zahl kommt", erklärte er. Es sei der bislang größte russische Armeeeinsatz an der ukrainischen Grenze und eine "sehr besorgniserregenden Situation". Das Risiko einer weiteren Eskalation liege auf der Hand.

Die NATO-Staaten zeigen sich äußerst besorgt angesichts der  russischen Truppenpräsenz entlang der Grenze zur Ukraine. Sie schätzen, dass der Konflikt in der Ostukraine erneut eskalieren könnte. Es herrscht jedoch große Uneinigkeit in der Frage, wer für die Eskalation verantwortlich sei. Die Ukraine wirft Russland Okkupation und aggressive Absichten vor. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij bat die NATO zuletzt eindringlich um die Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis, um dieses Sicherheitsproblem zu lösen.

Russland betont hingegen den innenpolitischen Charakter des Donbass-Konflikts und verweist auf dessen Ursprung im verfassungswidrigen Staatsstreich in Kiew und der darauffolgenden Installierung eines nationalistischen Regimes. Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu nannte in seiner Stellungnahme dazu die Zahl der derzeit nahe der ukrainischen Grenze stationierten Truppen nicht, deutete aber an, dass diese im Verhältnis zur Anzahl der NATO-Kräfte in Osteuropa stehe.

"Die Hauptkräfte (der NATO) konzentrieren sich in der Schwarzmeerregion und im Baltikum", sagte er. "Insgesamt werden 40.000 Soldaten und 15.000 Einheiten der militärischen Ausrüstung, einschließlich der strategischen Luftfahrt, in der Nähe unseres Territoriums stationiert werden."

"Jederzeit für eine Offensive bereit"

Ob 150.000 oder 120.000 Soldaten, die Zahlen, die der EU vorgelegt worden waren, könnten ihren Ursprung in den Schätzungen des ukrainischen Militärs haben. Letzte Woche teilte der ukrainische Verteidigungsminister Andrei Taran in einem Auftritt vor dem EU-Parlament mit, dass Russland im Grenzgebiet Truppen von 110.000 Mann konzentriert habe.

"Die gesammelten Daten erlauben uns, die laufenden Vorbereitungen für die Annäherung weiterer Einheiten vom russischen Festland an die ukrainischen Grenzen zu erkennen. Mit dem zusätzlichen Kontingent wird die Gesamtzahl der russischen Truppen, die entlang der ukrainischen Grenzen in dieser Richtung konzentriert sind, 56 taktische Bataillonsgruppen mit 110.000 Mann erreichen", sagte Taran laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch bei einer Sitzung des Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung des EU-Parlaments.

Er sprach auch über die Besorgnis der Ukraine über die "wahrscheinliche Vorbereitung regulärer russischer Truppen" für eine offensive Operation von der Halbinsel Krim aus, "um die Wasserversorgung der Halbinsel sicherzustellen".

Im Juli 2020 teilte das ukrainische Militär mit, dass 87.000 russische Soldaten bereit seien, eine Offensive gegen die Ukraine zu starten. Russland habe drei Truppenverbände an der Grenze zur Ukraine gebildet und sei in der Lage, jederzeit eine Überraschungsoffensive durchzuführen, sagte der ukrainische Generalleutnant Leonid Golopatjuk laut dem Nachrichtenportal dialog.ua auf einer OSZE-Konferenz. Darüber hinaus stellte der General fest, dass derzeit drei neue Gruppen aktiv gebildet werden: zwei Armeen und ein Armeekorps, "die planen, innerhalb der Jahre 2020/2021 die volle Einsatzbereitschaft zu erreichen".

Schoigu: 40 große Einsatzübungen mit einer antirussischen Ausrichtung

Schoigu erklärte am Dienstag auf wiederholte Vorwürfe eines Truppenaufmarsches auf eigenem Territorium, dass es die NATO sei, die massiv ihre militärische Präsenz entlang der russischen Grenzen aufbaue, und Russland lediglich darauf reagiere.

So militarisierten die USA nicht nur den arktischen Raum mehr und mehr, sondern besonders auch Europa. "In den letzten drei Jahren hat der Nordatlantikblock seine militärischen Aktivitäten in der Nähe der russischen Grenze verstärkt. In Polen und den baltischen Ländern werden die amerikanischen Streitkräfte verstärkt, das amerikanische Konzept 'four thirties' wurde übernommen und umgesetzt."

Laut diesem haben die NATO-Verbündeten 30 Bataillone, 30 Luftstaffeln und Kampfschiffe in Dauereinsatzbereitschaft und innerhalb von höchstens 30 Tagen einsatzbereit. Wie Schoigu weiter ausführte, hat der westliche Block zudem "die Intensität der Luftaufklärung im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt" sowie "die Intensität der Seeaufklärung ums Eineinhalbfache gesteigert". Er wies zudem auf die massiven Militärübungen in Europa hin, die die Fähigkeit der "Bündnispartner" stärken sollen, auf eine russische "Aggression" reagieren zu können.

"Jedes Jahr organisiert die NATO in Europa bis zu 40 große Einsatzübungen mit einer eindeutig antirussischen Ausrichtung", betonte der russische Verteidigungsminister.

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