Ukraine: Zensur, Willkür und das Schweigen des Westens
von Gert Ewen Ungar
Der Putsch in der Ukraine feierte am 26. Februar seinen siebten Geburtstag. Vor sieben Jahren war die Berichterstattung über die Vorgänge auf dem Maidan in Kiew euphorisch, das medial verbreitete Narrativ an Einfältigkeit kaum zu überbieten: Die Menschen in der Ukraine sehnten sich nach Demokratie und westlichen Werten, wünschten sich daher eine Anbindung an die EU, die genau diese Werte vertritt und garantiert. Sie wollten daher auch eine Abkehr von der Bindung an Russland, sich aus diesem Grund ihrer Regierung entledigen, die für die Anbindung an Russland stand, aber an der Macht klebte. Nichts weniger als eine Revolution war notwendig geworden, um eine neue, demokratische und freie Ukraine entstehen zu lassen.
Diese Revolution wurde "Revolution der Würde" genannt und steht für den Aufbruch der ukrainischen Gesellschaft in eine bessere, westliche Welt. Dazu war die direkte Einmischung westlicher Staaten in die inneren Angelegenheiten der Ukraine ein legitimes Mittel, schließlich ging es um die Förderung von Demokratie und Freiheit – es ging darum, die legitime Sehnsucht der übergroßen Mehrheit der Menschen in der Ukraine zu unterstützen. Es war ein gutes Projekt.
Inzwischen ist es in den deutschen Medien recht still geworden um die Ukraine. Das hat seine Ursache in der Tatsache, dass die Ukraine von westlichen Werten, von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit weiter entfernt ist als jemals zuvor. Im Gegenteil kippt die Ukraine gerade in einen Totalitarismus und zerstört im Land alles, was unter dem Titel "europäische Werte" zusammengefasst werden könnte. Dass die deutschen Medien hierzu schweigen, lässt Rückschlüsse darauf zu, wie eingebunden sie in die Politik des Regime-Changes waren. Sie haben ihn aktiv befeuert und schweigen jetzt zu den absolut bedenklichen, erschreckenden Entwicklungen.
Anfang Februar hat der amtierende Staatspräsident Selensky per Dekret drei Fernsehsendern die Lizenz entzogen, die der Oppositionspartei "Für das Leben" nahestehen. Sie wurden unmittelbar abgeschaltet. Der FAZ war dieser massive Angriff auf die Pressefreiheit eine recht kurz gehaltene, affirmative Meldung wert, in der man erfährt, wie der Schritt begründet wird. Eine Kritik sucht man vergebens.
Die Tagesschau, die sich für das Flaggschiff des deutschen Qualitätsjournalismus hält, überging das Ereignis einfach und meldete dazu schlicht nichts. Sie beweist damit aber auch, von welch mangelhafter Qualität ihr Journalismus tatsächlich ist.
Die Süddeutsche deutete den Angriff auf die Pressefreiheit in einen Schlag gegen einen Vertrauten Putins um. Das hat bei der Süddeutschen System. Wenn eine semantische Verbindung zu Putin hergestellt werden kann, ist für die Redaktion damit jede noch so große Schweinerei moralisch legitimiert. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an die Panama-Papers. Bei diesem Skandal um Steuerhinterziehung und Geldwäsche schaffte es Putin plakativ auf die Titelseite der Süddeutschen und in den Titel der dazugehörigen Geschichte, obwohl er mit dem eigentlichen Skandal nichts zu tun hatte. Er ist lediglich mit jemandem bekannt, der die Dienste der Firma Mossack Fonseca genutzt hatte. So geht deutscher Qualitätsjournalismus.
So ist es jetzt auch hier. Beim Abschalten der Fernsehsender geht es gar nicht um Pressefreiheit. Es geht dabei darum, den ukrainischen Oligarchen Wiktor Medwedtschuk möglichst hart zu treffen, lässt uns die Süddeutsche wissen. Und das ist legitim, denn der ist mit Putin bekannt. Da hat so etwas wie Pressefreiheit einfach mal zurückzustehen. Man reibt sich verwundert die Augen, was in diesen Tagen in deutschen Zeitungen steht.
Die Seite ukraineverstehen.de, ein Produkt des geopolitisch stramm rechts stehenden, neokonservativen Thinktanks Zentrum Liberale Moderne hat volles Verständnis für die massive Attacke auf die Pressefreiheit. Zentrales Argument ist, dass die Sender die Oppositionsplattform “Für das Leben” unterstützen. In einem durchweg rechts zu verortenden Beitrag merkt der Autor Serhii Shapavalov an: “Die OPfL (Oppositionsplattform für das Leben. Anm. GEU) sichert sich effizient die Unterstützung dieser Bevölkerungsgruppe, die nach ihren demographischen Parametern und außenpolitischen Ansichten sehr speziell ist.” Gemeint sind Bürger über 44 Jahre, die Spezialität ihrer Ansichten liegt in ihrem Eintreten für Frieden und guten Beziehungen zu Russland. Da weiß man nicht nur, wo der Autor, da weiß man auch, wo das Zentrum liberale Moderne steht. Das Projekt der Demokratisierung der Ukraine, so lässt sich aus dem Text deutlich schließen, legitimiert die Unterdrückung all der Stimmen, die für etwas anderes eintreten als einen strammen ukrainischen Nationalismus verbunden mit der Hinwendung zu EU und NATO. Denn Demokratisierung der Ukraine bedeutet nicht etwa politischen Pluralismus zuzulassen, sondern das Projekt der Einbindung in den Westen auch gegen Widerstände umzusetzen. George Orwell hätte vom Zentrum liberale Moderne in Bezug auf Neusprech durchaus noch etwas lernen können.
Größte Sorge des Autors ist es, die Schließung gegenüber der EU gut zu vertreten, damit diese den Schritt mitträgt. Darüber braucht sich Shapavalov aber wohl keine Sorgen machen. Die EU wirft all ihre Werte gerne über Bord, wenn es um die Ausdehnung ihres Einflussbereichs geht. Die Ukraine ist für diesen Doppelstandard das beste Beispiel. Denn die Verstöße gegen die viel beschworenen europäischen Werte haben in der Ukraine System. Die Abschaltung dreier Fernsehsender ist nur ein weiterer Höhepunkt in einer ganzen Reihe von Maßnahmen, von der jeder einzelne unter den Gesichtspunkten von Demokratisierung, Antidiskriminierung und Umsetzung westlicher Werte fragwürdig ist, die in ihrer Gesamtheit aber in genau die entgegengesetzte Richtung weisen, die mit dem vom Westen geförderten Putsch im Jahr 2014 erreicht werden sollten.
Ja, es wird immer deutlicher: Die Ukraine ist ein totalitärer Staat. Und sie konnte das nur durch kräftige Mithilfe westlicher Staaten werden.
Da über all die einzelnen Maßnahmen in westlichen Medien kaum berichtet wird, ist es notwendig, einige hier noch einmal aufzulisten, damit deutlich wird, welchen Weg die Ukraine eingeschlagen hat. Damit aber darüber hinaus auch deutlich wird, worüber die EU, Deutschland und die deutschen Medien den Mantel des Schweigens breiten.
Mitte Januar wurde ein weiterer Schritt zur Ukrainisierung des Landes gesellschaftlich implementiert. Die Anwendung der Sprachgesetze, die das Ukrainische in den Stand der einzig zulässigen Sprache heben, wurde ausgeweitet. Seit Januar ist im öffentlichen Raum, das heißt beim Einkaufen, in Restaurants und Bars, in Freizeitanlagen und allen weiteren privatwirtschaftlichen Einrichtungen mit Kundenverkehr die Verwendung der ukrainischen Sprache verpflichtend vorgeschrieben. Verstöße dagegen werden mit Geldbußen geahndet. Das ist schon für sich diskriminierend. Es wird aber noch ein Stückchen diskriminierender, denn das Gesetz gilt landesweit, also auch im Osten, in dem überwiegend Russisch gesprochen wird. Und es geht noch weiter, denn nach einer Intervention der EU sind die Minderheitensprachen Polnisch und Ungarisch von dieser Regelung ausgenommen. Die Sprachgesetze richten sich explizit gegen russische Muttersprachler und die Verwendung des Russischen. Und das in einem Land, in dem knapp dreißig Prozent der Bevölkerung Russisch als ihre Muttersprache angeben. In deutschen Medien taucht dieses Thema praktisch nicht auf. Es ist offenkundig warum, denn die ukrainischen Sprachgesetze stellen einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der EU dar. Allerdings ist diese Form der Diskrimnierung überhaupt erst durch westliche Einmischung und den Putsch von 2014 möglich geworden. Die EU trägt also eine zentrale Mitschuld am Erlass von Gesetzen, die gegen ihren eigenen Wertekanon massiv verstoßen.
Das gilt auch für das Verbot von Filmen in der Ukraine, die ein positives Russland-Bild zeichnen. Dieses Verbot stellt ebenfalls eine massive Form der Zensur dar. Auch dies wird von den Staaten geduldet, die den Putsch in der Ukraine unterstützt und gefördert haben.
Man könnte diese Liste noch lange fortsetzen. Man könnte die Einreisesperren für Russen im Alter von 16 bis 60 nennen, oder die Tatsache, dass die Ukraine ihr Gas nicht mehr von Russland bezieht, sondern aus der EU. Das Problem dabei ist lediglich, dass die EU gar nicht über Gas verfügt. Also wird das russische Gas einmal quer durch die Ukraine geleitet und dann in Tschechien zurück gepumpt, um dann ungleich teurer an die Ukraine als EU-Gas verkauft zu werden.
Es müssten die progromartigen Ausschreitungen gegen russische Kultureinrichtungen genannt werden, die Anschläge auf Journalisten, die Listen im Internet gegen vermeintliche Staatsfeinde, die große Zahl an Journalisten, die ins Ausland gegangen sind, weil die Ukraine ihnen nicht mehr sicher erscheint, das Abschalten von russischsprachigen Internet-Portalen und sozialen Netzwerken, der Suchmaschine Yandex und und und...
Was hier deutlich geworden sein sollte, ist, dass die EU und Deutschland in der Ukraine ein System der Diskrimnierung, Zensur und der Verfolgung dulden, das konträr zu den sonst hochgehaltenen westlichen Werten steht. Die Ukraine ist ein totalitärer Staat mit westlicher Duldung und Unterstützung. Deutsche Mediennutzer wissen von all dem wenig bis gar nichts. Daran wird deutlich, wie eingebunden deutsche Medien in Geopolitik sind.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das jährliche Ranking von Reporter ohne Grenzen. Die Ukraine landet seit einigen Jahren immer im Mittelfeld um den Platz 100 von knapp 200 zu bewertenden Ländern. Russland, in dem es all die genannten Maßnahmen nicht gibt, findet sich weit hinter der Ukraine im letzten Drittel. Man kann am Beispiel der Ukraine schließen: Das Ranking von Reporter ohne Grenzen sagt viel über die Organisation und ihre Einbettung in westliche Propaganda aber wenig über den Zustand der Pressefreiheit in der Welt aus.
Unsere Medien fallen als demokratisches Korrektiv, als tatsächlich vierte Gewalt aus. In geopolitischen Zusammenhängen greift der deutsche Journalismus nicht aufklärend und damit korrigierend in politische Prozesse ein. Es ist nach dem zweiten Weltkrieg nicht gelungen, in Deutschland einen Journalismus zu etablieren, der eine nachhaltige Resilienz und Widerstandskraft gegen politische Vereinnahmung besitzt und dauerhaft ein Instrument der Aufklärung der Bürger bleibt. Gerade an den eklatanten Wissenslücken der Deutschen in Bezug auf die Vorgänge in der Ukraine wird das deutlich. Ein fleißiger deutscher Mediennutzer weiß von den bedenklichen Entwicklungen in der Ukraine nichts. Er kann es auch nicht wissen, denn sie kommen in den deutschen Medien faktisch nicht vor. Deutsche Medien sind eingebettet in eine geopolitische Agenda und in ein Machtstreben deutscher Politik, dem sie die ethischen Werte des Journalismus geopfert haben.
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