Ein Gastbeitrag von Gert Ewen Ungar
Die weißrussische, inzwischen im litauischen Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hat ein Grußwort an die Delegierten des CDU-Parteitags gerichtet. Sie tat das auf Einladung, wie sie sagt. Bevor wir zum Inhalt des Gesagten kommen, sei kurz der Rahmen beleuchtet, in dem Tichanowskaja ihre Grüße entrichtete.
Der CDU-Parteitag beginnt am Freitagabend und dauert bis Samstagnachmittag. Die wenigen Stunden sind angefüllt mit einem Gottesdienst und zunächst Grußworten von zahlreichen Seiten. In der CDU wird gern gegrüßt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Ralph Brinkhaus, darf, der Parteivorsitzende der Schwesterpartei CSU, Markus Söder, richtet ebenfalls seine Grüße aus. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen grüßt, lobt die EU, lobt die deutsche Ratspräsidentschaft, lobt die scheidende Vorsitzende. Es folgen zahlreiche Dankesworte, die sich an Annegret Kramp-Karrenbauer richten, die nicht mehr für den Parteivorsitz kandidiert. Von allen Seiten gibt es Dankesworte für die geleistete Arbeit, begleitet vom Überreichen von Präsenten. Gemeinsames Schmunzeln über Vergangenes, gemeinsame Erinnerungen – es wird heimelig.
Der Preis für die beste Mitgliederwerbung wird verliehen. Das Verfahren erinnert an den Eurovision Song Contest. Die Bewerber stellen ihr Projekt in einem kurzen Beitrag vor, dann wird abgestimmt. Es gibt insgesamt viel Eigenlob hinsichtlich des Parteitags, alles digital, alles perfekt durchdacht, alles zukunftsweisend. Dank an alle, die mitgeholfen haben. Die Atmosphäre am Freitagabend vermittelt den Eindruck, nicht bei einer politischen Partei, sondern bei einer Sekte zu Gast zu sein. Selbstvergewisserung ist das unausgesprochene Motto des Abends. All diese Elemente des Entertainments und der Selbstversicherung nehmen so einen breiten Raum ein, dass man glauben könnte, die Delegierten sollen von der tatsächlichen Politik so weit wie möglich auf Distanz gehalten werden. Dabei gäbe es viel zu besprechen.
Es steht nicht sehr gut um die CDU. Aber alle Fragen und möglichen Kontroversen werden mit zur Schau gestellter Harmonie zugekleistert. Auch in der Diskussionsrunde der Kandidaten für den Parteivorsitz ist man sich in weiten Teilen einig. Frauen seien wichtig, man müsse in der Partei mehr für sie tun, bekunden zwei der drei zur Wahl stehenden Männer. Gegen arabische Clans müsse mehr unternommen werden. Man müsste den jungen Männern fremdländischer Herkunft ihre teuren Autos wegnehmen, dann wird das schon. Volkspartei als Filterblase. Keine Ideen, keine Visionen, die CDU ist geistiges Brachland.
Videobotschaft von Swetlana Tichanowskaja
In dieser Atmosphäre spricht die weißrussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ihre Grußworte. Ihre Videobotschaft ist kurz, kaum anderthalb Minuten. Sie spricht auf Englisch, das Gesprochene ist auf Deutsch untertitelt. Das Gesagte wirkt einstudiert. Das Wort Demokratie kommt in der kurzen Rede fünfmal vor – rechnerisch alle 18 Sekunden. Tichanowskaja reibt es ihren Zuhörern förmlich in die Ohren. Die CDU hat etwas, was in Weißrussland fehlt: Demokratie. Als Rednerin ist Tichanowskaja allerdings ähnlich begnadet wie Angela Merkel. Sie können es beide nicht. Merkel ist als Rednerin so blass und unscheinbar, dass ich sie hier bei der Aufzählung, wer alles Grußworte an die Delegierten gerichtet hat, vergessen habe. Ja, Merkel hat auch gegrüßt.
Doch warum wird Swetlana Tichanowskaja von der CDU gebeten, ein Grußwort an die Delegierten zu richten? Die Frage, die sich auftut, wird vom Generalsekretär der CDU, Paul Ziemiak, in seiner Anmoderation beantwortet: Swetlana Tichanowskaja ist eine mutige Frau. Die CDU mag mutige Frauen. Gemeinsam mit anderen mutigen Frauen setzt sie sich für die Demokratie in Weißrussland ein. Ein starkes Zeichen.
Nun ist das aber nur die halbe Wahrheit, denn was Ziemiak verschweigt: Die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung fördert seit Jahren das Umfeld von Tichanowskaja und inzwischen auch sie selbst. Geschlechterfragen spielen bei der Förderung eine nachgeordnete Rolle. Die Stärke Tichanowskajas ist daher auch nicht ihrer Weiblichkeit, sondern westlicher Unterstützung geschuldet. Dafür ist sie dankbar und sie bittet, diese Unterstützung fortzusetzen. Diese Dankbarkeit ist aber gleichzeitig ihre Schwäche, wie wir gleich sehen werden. Denn während das Wort Demokratie in ihrem Grußwort zahlreich vorkommt, fehlen andere völlig: Wirtschaft, Sozialstaat und Sicherheit. Auch fehlt jeder Hinweis auf internationales Recht. Im Gegenteil bedankt sich Tichanowskaja für die Unterstützung der Bundesregierung und der Deutschen Welle, die breit von den Protesten über die weißrussische Oppositionsbewegung und Tichanowskaja berichtet.
Man kann es ruhig so formulieren. Die auf dem CDU-Parteitag vom Generalsekretär Paul Ziemiak hervorgehobene Stärke Tichanowskajas wurzelt in der Schwächung internationalen Rechts und diplomatischer Gepflogenheiten durch die Bundesregierung und die CDU. Sie wurzelt auch in der medialen Unterstützung durch einen steuerfinanzierten, deutschen Staatssender. Hier wird das Prinzip der Nichteinmischung mit aller Kraft verletzt. Und das nicht nur in Weißrussland. Es ist inzwischen ein beständig angewandtes Mittel deutscher Außenpolitik, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einzumischen.
Was ebenfalls ungesagt bleibt, sind die wirtschaftlichen Folgen, die eine tatsächliche Machtübernahme durch Tichanowskaja hätte. Allerdings scheinen die Weißrussen eine Ahnung zu haben, was passieren könnte, sollte dem Westen mit seinen Institutionen ein Einfallstor geboten werden. Die Proteste flauen nämlich kontinuierlich ab. Ein Aufruf zum Generalstreik vor einigen Monaten hat nicht verfangen. Lukaschenko ist im Amt, die EU erkennt die Wahl nicht an, aber das tut sie bei so vielen Wahlen und Gelegenheiten nicht – es schert kaum noch. Letztlich wird die EU mit Lukaschenko ebenso zusammenarbeiten müssen, wie sie mit dem Präsidenten Venezuelas Maduro zusammenarbeiten muss, den sie ebenfalls nicht anerkennt. Sie sucht inzwischen händeringend nach einer Sprachregelung, wie man aus der Anerkennung des Putschisten Guaidó als venezolanischem Interimspräsidenten wieder herauskommt, ohne vollständig das Gesicht zu verlieren. Mit Tichanowskaja wird es kaum anders laufen.
Regime-Changes durch den Westen
Seit 1990 kann man verfolgen, was es bedeutet, wenn der Westen interveniert und Staaten umbaut. Hätte man den Bürgern der DDR gesagt, dass mit der Wiedervereinigung Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Niedergang Einzug halten werden, hätten sicherlich viele das mit dem Hinweis auf den eigenen Fleiß und dem Willen zur Leistung zurückgewiesen. Es wurden blühende Landschaften versprochen, keine feindliche Übernahme, die es dann aber letztlich war.
Der Mythos, dass es die eigene Leistungsfähigkeit und nicht eine kluge makroökonomische Steuerung ist, die zum Erfolg und zum allgemeinen Wohlstand führt, hält sich hartnäckig. Die Kinder des westdeutschen Wirtschaftswunders werden mit der Illusion sterben, es sei ausschließlich ihrem persönlichen Fleiß zu verdanken, dass ihr Wohlstand nach dem Krieg bis in die siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts beständig gewachsen ist. Diese Illusion war damals möglich, allerdings waren es einfach die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die diesen Erfolg ermöglicht haben. Es war Keynes, der den Westen insgesamt zu wirtschaftlicher Stabilität und zu Wachstum führte, nicht individueller Fleiß. Der geht im falschen Umfeld nämlich einfach unter.
Und jetzt ist die Zeit des falschen wirtschaftspolitischen Umfelds. Wäre Tichanowskaja zehn Jahre früher dran gewesen, hätte sie sich vermutlich größerer Unterstützung erfreuen können. Denn die Vorstellung der Weißrussen, sie könnten durch die Annäherung an den Westen tatsächlich arbeitslos werden und verarmen, war damals noch nicht unmittelbar greifbar. Heute sehen die Weißrussen vor der eigenen Haustür, was passiert, wenn man sich auf den Westen, seine Versprechungen, sein Modell, seine Rahmenbedingungen und seine Erzählungen über individuellen Fleiß, freie Marktwirtschaft und wachsenden Wohlstand einlässt.
Der wirtschaftliche Niedergang im Nachbarland Ukraine, die den Versprechungen aufgesessen ist, ist unbeschreiblich und verläuft weiterhin nahezu ungebremst. Innerhalb von wenigen Jahren wurde aus einer Ukraine, die zwar nicht reich war, aber ihre Bevölkerung versorgen konnte und soziale Sicherheit bot, mit das ärmste Land Europas. Millionen von ukrainischen Migranten suchen ihr Glück in der EU, vor allem in Polen. Paradoxerweise versorgt ausgerechnet jenes Land die Ukrainer mit gering entlohnter Arbeit, wegen dessen großer Zahl von Arbeitsmigranten die Briten aus der EU ausgetreten sind.
Tichanowskaja und die "freie Marktwirtschaft" – zwei Gescheiterte
Es ist klar, das erste, was die am Finanztropf westlicher Geldgeber hängende Tichanowskaja in Weißrussland mit ganz viel weiblichem Mut durchführen müsste, wären Wirtschaftsreformen. Demokratische Reformen kämen, wenn überhaupt, dann sehr viel später. Die Betriebe würden von ihren westlichen Konkurrenten übernommen, entweder sofort geschlossen oder auf Wettbewerbsfähigkeit getrimmt. Die Arbeitslosigkeit würde steigen, Armut würde zunehmen. Kredite des IWF und die damit einhergehenden Forderungen des Umbaus der Sozialsystem und der Wirtschaft würden dem Land den Rest geben. Der Westen und insbesondere eine Partei wie die CDU hat keine anderen Rezepte als dieses eine, das für das betroffene Land immer den wirtschaftlichen Niedergang bedeutet.
Es ist daher gut, dass Tichanowskaja gescheitert ist. Das soll nicht bedeuten, dass ein bloßes Weiter so von Lukaschenko die beste Lösung wäre. Sie ist lediglich die bessere. Natürlich muss sich etwas ändern in Weißrussland. Dauerregentschaften sind nicht gut. Übrigens auch in Deutschland nicht. Politische Stabilität kippt dann in bleierne Schwere.
Aber das sollen die Weißrussen doch selbst in die Hand nehmen, ohne von einer vom Westen finanzierten Marionette angeführt zu werden, die ihre Versprechen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nie wird halten können. Denn das Umzusetzen von demokratischen Reformen ist ihren westlichen Förderern am wenigsten wichtig. Auch dafür ist die Ukraine ein gutes Beispiel. Tichanowskaja wäre lediglich das Trojanische Pferd, das genau das einschleust, vor dem Lukaschenko seine Landsleute gewarnt hat: der Niedergang des relativen Wohlstandes und der sozialen Sicherheit im Land. Vielleicht ist das Scheitern der von ihnen geförderten und geführten Tichanowskajas den CDU-Granden auch eine Lehre. Vielleicht kommen sie zu der Erkenntnis, dass auch mutige Frauen kluge politische, vor allem kluge wirtschaftspolitische Inhalte bereithalten müssen.
Auf dem CDU-Parteitag wurde anderthalb Tage das Loblied auf das Gesungen, was die CDU "freie Marktwirtschaft" nennt. Das Scheitern des auch von der CDU unterstützten Putsches in Weißrussland zeigt, wie unattraktiv dieses Modell inzwischen ist. Keiner will die CDU-Variante der freien Marktwirtschaft haben. Sie zerstört Volkswirtschaften und auch die EU.
Vermutlich sitzen zahlreiche Delegierte der CDU dem Irrglauben auf, individueller Fleiß nach deutschem Modell reiche aus, um in einem internationalen Wettbewerb zu bestehen. Nein, es braucht eine gute wirtschaftspolitische Steuerung. Wenn diese Steuerung aber immer nur den Eliten eines Landes dient, alle anderen aber hintenanstehen müssen, ist das Modell dauerhaft nicht haltbar. Da helfen dann auch die Millionen Euro an Unterstützung durch die EU nichts, die mit dem absurden Hinweis fließen, man würde sich so nicht in die inneren Angelegenheiten Weißrusslands einmischen. Da hilft dann auch propagandistische Unterstützung durch den deutschen Staatssender Deutsche Welle nichts. Und so handelt es sich bei dem Grußwort von Swetlana Tichanowskaja vermutlich gleichzeitig um ihren Abschiedsgruß anlässlich des eigenen Verschwindens von der politischen Bühne. Sie hat nichts bewirkt. Zum Glück.
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