Parlamentswahl in Montenegro: Spaltung der Gesellschaft als Wahlkampfstrategie
Die Arbeitslosenquote in Montenegro betrug offiziell im Juli dieses Jahres 18,1 Prozent, im Mai waren es nach Angaben des staatlichen Arbeitsamtes noch 14,8 Prozent. Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise treffen das kleine Land an der Adria mit knapp 630.000 Einwohnern hart. Besonders ein wichtiger – wenn nicht gar der wichtigste – Wirtschaftszweig des Landes ist eingebrochen: der Tourismusmarkt. Zahlreiche Besucher aus den Nachbarländern wie Bosnien-Herzegowina oder Serbien können ohne einen negativen Corona-Test nicht einreisen. Dieser jedoch kostet pro Person um die 100 Euro, was für eine vierköpfige Familie fast ein ganzes Monatsgehalt bedeutet. Viele verzichteten deshalb auf einen Urlaub in Montenegro.
Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise dürften einer der Gründe dafür sein, dass die Zustimmungswerte in der Bevölkerung für die regierende "Demokratische Partei der Sozialisten Montenegros" (DPS) sehr schlecht sind. Laut Umfragen droht die Partei am kommenden Sonntag bei der Parlamentswahl unter die 40-Prozent-Marke zu rutschen. Einer Erhebung zufolge kommt sie gar auf 36 Prozent, einen der schlechtesten Werte überhaupt. Mit ihren kleineren Partnerparteien dürfte die DPS auf höchstens 48 Prozent kommen. Die Opposition jedoch kommt auf 52 Prozent. Doch diese besteht vor allem aus zwei unterschiedlichen Blöcken – der proserbischen "Demokratischen Front" und dem prowestlichen "Frieden-Bündnis".
Die Spaltung in der Bevölkerung ist groß, die Fronten zwischen den politischen Lagern sind verhärtet wie selten zuvor. Besonders ein Thema vertieft die Gräben – der Streit der Regierung mit der Serbisch-Orthodoxen Kirche (SPC). Seit Anfang des Jahres gingen Woche für Woche Zehntausende Menschen im ganzen Land auf die Straße. Grund: Die Verabschiedung des sogenannten Gesetzes über die "Religionsfreiheit und den gesetzlichen Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften". Dieses sieht nämlich vor, dass die im Land tätigen Kirchen den Eigentumsstatus von Gebäuden und Ländereien klären müssen, die vor 1920 in ihren Besitz gelangt sind. Sollte dies nicht möglich sein, sollen alle Objekte und Liegenschaften dem Staat übertragen werden.
Die Serbisch-Orthodoxe Kirche in Montenegro sieht im Gesetz jedoch einen Angriff auf sich und einen Versuch der Enteignung. Ihre Vertreter riefen stets zu Prozessionen auf, die zu vorwiegend friedlichen Protesten gegen die Regierung wurden. Der Serbisch-Orthodoxen Kirche gehören aktuell mehr als 70 Prozent der Bewohner des Landes an. 16 Prozent bekennen sich zum Islam, rund 20.000 sind katholisch.
Der Staatschef des Landes und zugleich Vorsitzender der "Demokratischen Partei der Sozialisten Montenegros", Milo Đukanović, sieht in den Protesten jedoch einen Versuch der Kirche, Einfluss auf die Politik im Land zu nehmen. Zudem will er eine eigene Kirche: die montenegrinische. Den Vertretern der Orthodoxen Kirche warf er mehrmals vor, mit den Nationalisten in Serbien an der Zerstörung der Unabhängigkeit Montenegros zu arbeiten. Das Land hatte sich nach einem sehr knappen Ergebnis beim Referendum 2006 vom Staatenbund mit Serbien für unabhängig erklärt. Teile der heutigen Opposition waren sowohl damals als auch heute dagegen.
Der Streit mit der Kirche hatte laut der Umfage des "Zentrums für Demokratie und Menschenrechte" (CEDEM) in Podgorica Europas dienstältestem Staatschef und seiner Partei sehr geschadet – sogar mehr als die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Vor allem weil die Regierung damit die ohnehin bestehende Spaltung in der Gesellschaft vorangetrieben hatte.
Von euch hängt es ab, ob Montenegro seinen Weg in eine europäische Zukunft fortsetzt oder ob ein Staatskonzept obsiegt, in dem die Kirche mit ihrem mittelalterlichen Dogma das Sagen hat", sagte Đukanović erst jüngst bei einem Wahlkampftermin. "Es geht darum, ob Montenegro vorwärts oder rückwärts geht."
Bei den Wahlen werde ein "unabhängiges, liberales und multireligiöses" Montenegro verteidigt. Doch Kritiker werfen dem 58-Jährigen vor, mit dieser Rhetorik und der aggressiven Spaltung von den wirtschaftlichen Missständen, der Korruption und der Vetternwirtschaft im Land abzulenken. Geschickt würde er die verschiedenen Religionen im Land gegeneinander ausspielen, um sich an der Macht zu halten. Das gelingt dem ehemaligen Jungkommunisten seit nunmehr fast 30 Jahren. Alle Umbrüche der 90er-Jahre in Ex-Jugoslawien überlebte er.
Besonders den Graben zwischen jenen im Land, die sich als Anhänger der serbischen Nation sehen (rund 30 Prozent), und jenen, die sich als eigenständige Angehörige eines montenegrinischen Volkes begreifen (rund 45 Prozent), hatte der nun 58-Jährige in den vergangenen fünfzehn Jahren äußerst vertieft. Die proserbische Opposition wirft ihm zudem vor, eine Bedrohung der Unabhängigkeit des Landes durch Belgrad und Russland herbeizureden, um in den NATO-Strukturen die nötige Unterstützung zu erlangen. Stets beklagt die Staatsführung in Podgorica, seit dem NATO-Beitritt 2017 Opfer einer "hybriden Kriegsführung" zu sein.
Das Regime in Montenegro pusht absichtlich diese Geschichte um die hybride Kriegsführung, um hinter den Kulissen andere Dinge erledigen zu können, nämlich all jene zu disziplinieren, die nicht so denken wie das Regime, all jene, die nicht auf NATO-Linie sind, angefangen bei den Politikern, Nichtregierungsorganisationen, Analytikern und Medien", sagte jüngst Dražen Živković, Chefredakteur des oppositionellen proserbischen Nachrichtenportals Borba, gegenüber RT Deutsch.
Die Opposition beklagt zudem, dass das Land sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine Autokratie verwandelt habe. Bei dieser Wahl am Sonntag soll ihr demnach ein Ende gesetzt werden. Während die Opposition vor einem Wahlbetrug warnt, mahnen die Regierung und ihr nahestehende Sicherheitskreise vor Unruhen, die von proserbischen Nationalisten nach der Wahlniederlage organisiert werden. Für beide Seiten gilt die Abstimmung am Sonntag als extrem wichtig.
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