von Zlatko Percinic
Bei seinem Besuch in der tschechischen Hauptstadt Prag am Mittwoch ließ US-Außenminister Mike Pompeo nichts anbrennen. Er warnte die Tschechen vor Russland, das "weiterhin versucht, eure Demokratie zu untergraben" und wiederholte es während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš. Er warnte sie auch vor China und der Kommunistischen Partei, die "noch eine größere Bedrohung" darstelle. Und er, oder vielmehr die US-Regierung, werden "weiterhin über die Risiken für das weißrussische Volk sprechen":
Wir wollen, dass sie genauso Freiheit haben, wie Menschen überall auf der Welt.
Damit nahm Pompeo Bezug auf die Proteste in verschiedenen Städten Weißrusslands, die nach den Präsidentschaftswahlen ausgebrochen waren. "Der letzte Diktator Europas", wie Alexander Lukaschenko von Kritikern genannt wird, beanspruchte mit 80 Prozent der Stimmen den Sieg für sich. Die Opposition um die nach Litauen geflohene Swetlana Tichanowskaja fühlt sich betrogen, schnell wurde der Vorwurf von Wahlmanipulationen laut. Der seit 1994 an der Macht sitzende Präsident, reagierte mit harter Repression gegen die Protestierenden in Minsk und anderen Städten.
Prompt ist wieder von Wirtschaftssanktionen die Rede, was angesichts des Schmusekurses der USA auf den ersten Blick überraschend ist, den man in den vergangenen Monaten gefahren ist. Erst Anfang Februar reiste Pompeo als ranghöchster Regierungsvertreter der vergangenen 26 Jahre nach Minsk, um Lukaschenko persönlich zu treffen. Dem gingen monatelange Vorbereitungen voraus, angefangen mit Ben Hodges, dem ehemaligen Oberkommandeur der US-Streitkräfte in Europa (von November 2014 bis Dezember 2017). Zusammen mit Michael Carpenter, dem zuständigen Direktor für Russland im Nationalen Sicherheitsrat der USA und Mitglied des Atlantic Council, einer der NATO-nahestehenden Denkfabrik, besuchte er im Rahmen des Minsker Dialogs am 5. November 2018 Belarus. Ihnen folgte dann am 29. August 2019 John Bolton, der damalige Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Donald Trump.
Der Besuch Pompeos wurde von beiden Seiten genutzt, um antirussische Narrative zu bedienen. Auslöser war der seit 2004 immer wieder auftretende Streit um Energielieferungen und Energiepreise, nachdem sich Moskau geweigert hatte, die Gasverträge zu den von Minsk geforderten Konditionen zu verlängern. Der US-Außenminister nutzte diese Krise und bot Lukaschenko an, Weißrussland zu "100 Prozent" zu beliefern. "Wir sind der größte Energieproduzent auf der Welt und alles, was Sie tun müssen, ist uns anzurufen", sagte Pompeo.
Der Entspannungskurs zwischen Minsk und Washington äußerte sich auch auf diplomatischer Ebene. Seit dem Rauswurf von Botschafterin Karen Stewart im Frühjahr 2008, gab es in beiden Ländern keine Botschafter des jeweils anderen mehr. Erst im April dieses Jahres gab Donald Trump bekannt, dass er Julie Fisher als neue Botschafterin in Belarus nominieren möchte. Solange die Senatsbestätigung und Akkreditierung in Minsk ausbleibt, hat Jeffrey Giauque als Geschäftsträger der Botschaft die Arbeit aufgenommen, und wird dann Vize-Botschafter bleiben, wie er in einem Vorstellungsvideo bekannt gab.
Giauque ist in diplomatischen Kreisen kein Unbekannter. Er gilt als ein ausgesprochen ambitionierter und fähiger Macher, mit guten Kontakten zu US-Geheimdiensten. Was seine genaue Tätigkeit in Weißrussland sein wird, wird sich erst noch zeigen müssen. Präsident Lukaschenko möchte auf jeden Fall die diplomatische Aufwertung nutzen, um eine "starke, konstruktive Beziehung mit den Vereinigten Staaten" aufzubauen. Diese beruhe auf "gemeinsamen Werten und Prioritäten", wie er in seinen Glückwünschen an seinen US-amerikanischen Amtskollegen anlässlich des Unabhängigkeitstages am 4. Juli mitteilte. Und Priorität bedeutete für Lukaschenko in allererster Linie stets der Machterhalt.
Für Washington ist das nichts Neues. In den US-Depeschen bei WikiLeaks finden sich insbesondere seit den Präsidentschaftswahlen 2006 (die ebenfalls als "manipuliert" bezeichnet wurden) vermehrt Meldungen, wonach Lukaschenko auf "Lebenszeit" an der Macht bleiben will. Man wusste, dass er stets versucht, den Westen gegen Russland und vice versa auszuspielen. Und man wusste natürlich auch, wie abhängig die weißrussische Wirtschaft von dem großen Bruder an der östlichen Grenze ist.
Allein die russischen Preisnachlässe auf Öl- und Gaslieferungen, machten beispielsweise im Jahr 2012 rund 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Der größte Handelspartner Weißrusslands war 2017 mit 52 Prozent die Russische Föderation und mit einem Anteil von rund 60 Prozent ist Moskau auch mit Abstand der größte Kreditgeber für Minsk. Im Gegenzug versprach Lukaschenko immer wieder, den 1999 geschlossenen Unionsvertrag mit Russland vollständig umzusetzen. Ihm war klar, dass Moskau diese Zahlungen nicht als Spende für das "Brudervolk" leistet, sondern als Investition in die eigene Sicherheit.
Der weißrussische Präsident stellte schnell fest, dass Moskau ihn mehr braucht, als andersherum. Nachdem sich das transatlantische Militärbündnis trotz gegenteiliger Versprechen dennoch nach Osteuropa ausgebreitet hat und im Baltikum sogar direkt an der russischen Grenze angekommen ist, waren die Ukraine und Weißrussland zwei strategisch wichtige Staaten, um eine mögliche Invasion aus dem Westen zu verlangsamen. Zudem waren beide Länder historisch und linguistisch engstens mit Russland verbunden. Nach dem Putsch in der Ukraine im Februar 2014 blieb nur noch Weißrussland in dieser Funktion übrig. Alle vier Jahre finden auf weißrussischem Boden gemeinsame Truppenmanöver statt, die die Verteidigung eines Angriffs von NATO-Truppen üben. Zudem unterhält Russland seit 1996 zwei Frühwarnstationen, deren Verträge nächstes Jahr auslaufen.
Dass Lukaschenko auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzen möchte, macht ihn bei der russischen Bevölkerung nicht sonderlich beliebt. In einer Umfrage aus dem Jahr 2017 stimmten 73 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass der weißrussische Präsident ein "gerissener Politiker (ist), der Moskau nur deswegen unterstützt, um Kredite und Öl- und Gas-Rabatte zu erhalten, tatsächlich aber eine unabhängige Politik betreibt". Lediglich 17 Prozent meinten, dass er ein "wahrer Freund Russlands" sei.
Falle schnappt zu
Die Empörung der USA nach den Wahlen, dass die "Durchführung (...) zutiefst besorgniserregend" und "weder frei noch fair" war, ist bestenfalls für die Öffentlichkeit und Medien bestimmt. Angesichts dessen, was Washington alles über Lukaschenko und den vergangenen Wahlen wusste, dürfte niemand im State Department, Weißen Haus und schon gar nicht bei der CIA erwartet haben, dass diese Wahlen transparent oder fair ablaufen würden.
Man hat auch sehr wohl registriert, dass die Unzufriedenheit in der weißrussischen Bevölkerung aufgrund schlechter wirtschaftlicher Daten gewachsen ist. So befindet sich beispielsweise die Industrieproduktion, eine wichtige volkswirtschaftliche Kennzahl, seit Anfang 2019 auf schwachem Niveau (das ganze Jahr unter einem Prozent) und rutschte seit Januar 2020 deutlich ins Minus. Mit der Corona-Krise hat das indessen nur sehr wenig zu tun.
Das alles hat aber die USA nicht gestört, um in einer Phase der zunehmenden Spannungen zwischen Minsk und Moskau einzuspringen, um den eigenen Einfluss auszubauen. Weißrussland ist ebenso wie die Ukraine ein immenser Gewinn für die Geostrategen in der US-Regierung und bei der NATO, um im Kampf um die Vormachtstellung in der Region Russland zurückzudrängen. Sie nutzten Alexander Lukaschenkos Machterhaltungstrieb aus, und köderten ihn mit Versprechungen wie beispielsweise den Energielieferungen.
Mike Pompeo sprach nun hingegen das aus, was von Anfang an offensichtlich war: Energie war eine politische Waffe, die man nach Belieben einsetzen kann. In einem Interview mit Radio Free Europe, dem ehemaligen CIA-Propagandasender, sagte der US-Außenminister, dass eine Einstellung der Öllieferungen als mögliche Konsequenz der Gewalt in Betracht gezogen wird.
Für die im Vorfeld sorgfältig vorbereiteten Protestführer und deren Unterstützer, ist dies Wasser auf den Mühlen. Einerseits würde ein solcher Schritt die wirtschaftlichen Probleme verschärfen und Teile der Bevölkerung weiter gegen Lukaschenko aufbringen, andererseits können sie behaupten, dass der Präsident unfähig ist, das Land weiterzuregieren.
Für die US-Regierung ist Lukaschenko nicht wichtig – im Gegenteil. Für die Pläne, Weißrussland näher in westliche Strukturen einzubinden, ist er sogar hinderlich. Ganz anders sieht es aber mit der jungen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus, die in Litauen eine Exilregierung bilden möchte. Es ist nicht auszuschließen, dass sie unter dem Einfluss des erst vor zwei Wochen gebildeten "Lublin Dreiecks" gerät. Dabei handelt es sich um eine Übereinkunft der drei Länder Litauen, Polen und Ukraine enger miteinander auf verschiedenen Ebenen zu kooperieren und die Beziehungen zur EU und der NATO weiter zu stärken. So könnte sie, ganz im Stile des selbst ernannten "Interimspräsidenten" Juan Guaidó in Venezuela, durch eine Anerkennung der wichtigsten westlichen Staaten als "Übergangspräsidentin" versucht sein, Weißrussland durch das Format des Lubliner Dreiecks für die NATO zu öffnen.
Die politische und mediale Maschinerie gegen Lukaschenko ist bereits im vollen Gange. Wie Pompeo in dem Interview mitteilte, will sich Washington eng mit den Europäern abstimmen, um entsprechende Maßnahmen gegen Lukaschenko auszuarbeiten. Damit steigt der Druck sowohl von außen als auch von innen erheblich an. Staatsunternehmen legen ihre Arbeit aus Protest nieder, es gibt Dutzende Videos von Polizisten und sogar OMON-Beamten, die sich mit den Demonstranten solidarisieren. Für einen Polizeistaat wie Belarus sind das Zeichen des Verfalls.
Lukaschenko, der noch Ende Juni verkündet hatte, einen "Maidan" (Anlehnung an die Proteste auf dem Maidan-Platz 2013/2014 in Kiew, die zum Putsch gegen Präsident Wiktor Janukowitsch geführt haben, Anm.d.Red.) in seinem Land verhindert zu haben und Russland indirekt beschuldigte, Weißrussland destabilisieren zu wollen, hat unterdessen die Gefahr erkannt, in die er sich selbst manövriert hat.
Der Gradmesser, an welchem man erkennen wird, ob Lukaschenko in der Hoffnung auf Rettung aus der Bedrängnis einen Kurswechsel anstrebt und sich wieder einmal in Richtung Moskau orientiert, sind die 33 inhaftierten russischen Söldner. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Terroranschlag kurz vor den Wahlen geplant zu haben. Sie seien den Behörden aber aufgefallen, weil sie nicht wie andere Touristen Alkohol getrunken hätten, schrieb etwa die Nachrichtenagentur BelTA.
Wie sich aber herausgestellte, wurden die Russen unter falschem Vorwand nach Minsk gelockt, berichtete die Zeitung Komsomolskaja Prawda nach einem Leak aus dem russischen Geheimdienst. Sie kamen demnach in der Annahme an, von Weißrussland aus für einen Auftrag nach Caracas/Venezuela weiterzureisen. Ihre Flugtickets wurden aber storniert, sodass sie in Minsk stecken geblieben waren. Die weißrussischen Sicherheitskräfte, die zuvor vom ukrainischen Geheimdienst über die Ankunft von "Saboteuren" gewarnt wurden, griffen zu und verhafteten die Männer am 29. Juli.
Die Dokumente aber, die der Zeitung überspielt wurden, belegen, dass die Flugtickets in der Ukraine ausgestellt worden waren. Auch die Verträge mit den gefälschten Unterschriften, die den Männern für ihre Anstellung ausgehändigt worden sind, sowie die gesamte Organisation samt falscher "Angestellten der russischen Botschaft in Istanbul", deutet darauf hin, dass es sich um eine ausgeklügelte Operation eines Geheimdienstes handelt.
Und da die Warnung an die weißrussischen Behörden und die Buchung der Flugtickets aus der Ukraine kamen, liegt der Verdacht nahe, dass der ukrainische Geheimdienst SBU die Fäden gezogen hat. Dazu passt auch, dass Kiew umgehend nach der Verhaftung die Auslieferung der Männer beantragt hat, weil es sich um Veteranen des Krieges im Donbass handelt.
Sollte also tatsächlich der ukrainische Geheimdienst SBU diese Falle gestrickt haben, um gleich mehrere Ziele zu erreichen (Lukaschenko gegen Russland weiter aufbringen und Auslieferung von Donbass-Veteranen nach Kiew), dann könnte es sich sogar um eine gemeinsame Operation mit dem US-Geheimdienst CIA gehandelt haben. Denn wie der hochrangige SBU-Überläufer Wassili Prosorow bestätigte, sind die beiden Geheimdienste seit dem Putsch in der Ukraine aufs Engste miteinander verwoben.
Noch hat sich Lukaschenko nicht entschieden, was er mit den 33 Männern machen wird. Moskau fordert ihre Freilassung und weist die Vorwürfe strikt von sich. Sollten sie demnächst freigelassen werden, steht fest, dass der weißrussische Präsident versucht, seine Macht mithilfe Moskaus zu retten.
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