Europa

Verkannte Gesundheitsgefahr – Hunderttausende Tote durch Antibiotikaresistenzen

Kurz vor Beginn der Corona-Krise waren es zunehmende Antibiotikaresistenzen, welche für die WHO als eines der weltweit dringendsten Probleme galt. Während die EU den Einsatz in der Massentierhaltung beschränken möchte, fördert sie gleichzeitig vor allem Intensivlandwirtschaft.
Verkannte Gesundheitsgefahr – Hunderttausende Tote durch AntibiotikaresistenzenQuelle: www.globallookpress.com © imago stock&people / Global Look Press

Mediziner schlagen Alarm, dass wirksame Antibiotika zunehmend knapp werden – weniger aufgrund  mangelnder Medikamente oder unterbrochener Lieferketten. Vielmehr sind Bakterien und Keime zunehmend gegen vorhandene Mittel resistent. Während der Ausbruch und Ursprung von Keimen auch für Fachpersonal in Kliniken oft schwer nachzuvollziehen ist, sehen Mediziner in der Resistenz von Antibiotika ein gesamtgesellschaftliches Problem, weil dadurch vielen Patienten nicht mehr geholfen werden kann.

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Auf die Weise wird die Medizingeschichte zurückgedreht, da plötzlich sogar vergleichsweise harmlose medizinische Situationen, wie Entzündungen, hochgradig gefährlich werden können. Vor allem für immunschwache Menschen und Kinder kann sich aufgrund von Antibiotikaresistenz die Frage nach Leben und Tod stellen. Auch können Keime irreversible Langzeitfolgen für Patienten haben, wenn Antibiotika nicht anschlagen und die Suche nach dem geeigneten Mittel viel Zeit benötigt. Weltweit sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO rund 700.000 Menschen jährlich an den Folgen von Antibiotikaresistenz, europaweit 33.000 und in Deutschland verlieren rund 6.000 Menschen pro Jahr ihr Leben.

Zum Jahr 2017 erstellte eine von der WHO geleitete Gruppe unabhängiger Experten eine Liste der vorrangigen Krankheitserreger, zwölf Klassen von Bakterien und Tuberkulose, die ein zunehmendes Risiko für die menschliche Gesundheit darstellen, da sie gegen die meisten bestehenden Behandlungen resistent sind. Sie sollte die medizinische Forschungsgemeinschaft zur Entwicklung innovativer Behandlungen für diese resistenten Bakterien anregen, doch noch im Januar dieses Jahres beklagte die Behörde, dass die in der Entwicklung befindlichen Produkte kaum besser als bestehende sind, so dass der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, betonte:

Noch nie war die Gefahr einer antimikrobiellen Resistenz unmittelbarer und der Bedarf an Lösungen dringender als heute."

Für Professor Hanan H. Balkhy, die stellvertretende Generaldirektorin der WHO, ist ein vermehrter Einsatz von Antibiotika nahezu gleichbedeutend mit zunehmenden Resistenzen, weil Keime oder Bakterien als lebende Organismen ihre äußere Struktur verändern können und darauf ausgelegt sind, sich so vor Antibiotika zu schützen.

Wenn man Tiere oder Menschen Antibiotika aussetzt, dann werden die Bakterien, die sie tragen, automatisch resistenter. Mehr Antibiotika, mehr Resistenzen," zitiert sie das ZDF-Magazin Frontal21.

Umso wichtiger sind deshalb Reserveantibiotika, wenn andere Antibiotika nicht mehr wirken. Diese Notfallmedikamente, die allerdings für Frühgeborene kaum zugelassen sind, können für ausgewachsenere Patienten, bei denen Antibiotika keine Wirkung mehr zeigen, eine Art Lebensversicherung sein.

Colistin gilt laut WHO als weltweit wichtigstes Reserveantibiotikum. Die Behörde warnt, das Mittel sparsam und nur im Notfall einzusetzen, wenn alle anderen Mittel versagt haben, um dessen unabdingbare Wirksamkeit zu erhalten.

Abstand halten – in der Massentierhaltung nicht drin

Allerdings kommen Antibiotika auch in der Massentierhaltung massenweise zum Einsatz, 722 Tonnen jährlich in Deutschland und es waren vor einigen Jahren sogar mehr als doppelt so viele, wie es im Beitrag von Frontal21 heißt. Was in Landwirtschaftsverbänden als klarer Erfolg verbucht wird, ist jedoch weiterhin für die gesamte Gesellschaft gefährlich, da ein signifikanter Anteil Reserveantibiotika eingesetzt wird: allein vom Königsmittel Colistin landen 74 Tonnen in der Tiermast.

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Beispielsweise in der Hähnchenmast, wo meist tausende Tiere auf engstem Raum hochgezogen werden, ist die rapide Ausbreitung von Keimen begünstigt. Daher werden alle Hähnchen über das Tränkwasser mit Colistin behandelt, wenn ein Tier kurz vor der Schlachtung krank wird, weil bei dem Mittel die Wartezeit nur zwei Tage beträgt.

Breitet sich eine Resistenz in der Tiermast aus, ist das auch für Menschen gefährlich. Dennoch scheint das Gebot der Sparsamkeit, welches die Weltgesundheitsorganisation angesichts der Risiken anmahnt, in deutschen Ställen nicht immer sehr ernst genommen zu werden. Anhand von 15 Gülleproben aus deutschen Schweineställen, welche der Umweltschutzorganisation Greenpeace zugegangen sind, zeigten sich in elf der 15 Proben sogar colistinresistente Keime und in 80 Prozent der Proben multiresistente Keime. Die Keime landen mit der Jauche auch im menschlichen Organismus, da sie sich so über Böden, Gemüse und Gewässer ausbreiten können. Mediziner, wie der im Beitrag gezeigte Professor Dr. Axel Hamprecht vom Klinikum Oldenburg, sehen den Einsatz der Mittel in der Landwirtschaft als äußerst kritisch, da man für Menschen darauf angewiesen sei, sie aber dadurch unwirksam werden.

Die EU plant ein Verbot von Reserveantibiotika in der Tiermast. Gleichzeitig sehen sich Landwirte, die wie andere Branchen dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind, im Nachteil, da andernorts diese Mittel weiterhin erlaubt bleiben und so die schnellere Schlachtung der Tiere auch bei Krankheitsfällen ermöglichen, wohingegen ihnen Schwund von einigen der Tiere entstehen könnte, die bereits eine Zeit lang Platz und Futter verbraucht haben. Deshalb bieten Interessenvertreter der Agrarindustrie Verzicht auf Colistin und fordern Ersatz, also die Möglichkeit, andere Notfallantibiotika weiterhin in der Tiermast einzusetzen. Umweltschützer hingegen fordern einen strukturellen Wandel, weg von der Massentierhaltung und Intensivlandwirtschaft. Allerdings ist es gerade diese, welche die EU vorrangig subventioniert, während die Berliner Agrarpolitiker vorwiegend auf Eigenverantwortung und Selbstkontrollen setzen.

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