"Ein bisschen Zwang muss sein": Freiheit nur gegen Corona-App?
Noch wird in Europa bei der Entwicklung einer App, die im Rahmen des "Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing"-Projekts (PEPP-PT) entwickelt wird, betont, dass die Menschen sie freiwillig installieren und eben auch benutzen. In der Vorstellung der Regierungen sollen die Apps länderübergreifend angewandt werden, um Infektionsketten zu verfolgen und gezielt dagegen vorgehen zu können.
Demnach würde jedes Smartphone wie eine Art Funkturm funktionieren, das sich mit anderen Handys über Bluetooth austauscht. Jedes Handy generiert mit der App eine Identifikationsnummer, so dass diese Nummern jeweils für den Zeitraum der Inkubationszeit des Coronavirus (zwei Wochen) gespeichert werden. Konkret bedeutet das, dass das Smartphone einer Person sämtliche ID-Nummern von anderen Handys abspeichert, die a) näher als zwei Meter und b) sich länger als 15 Minuten in diesem Radius befanden. Das sind zumindest die Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI), die die Menschen jetzt einhalten müssen, um sich vor einer Infizierung zu schützen.
Wird dann eine Person tatsächlich positiv auf den SARS-CoV-2-Erreger getestet, müsste sie ebenfalls freiwillig dies auch der installierten App mitteilen. In diesem Fall würde das System alle anderen Handys (ID-Nummern) darüber informieren, dass es in den vergangenen zwei Wochen Kontakt zu einem Corona-Infizierten gab und man sich selbst freiwillig in die 14-tägige Quarantäne begibt.
So weit also die Theorie. In der Praxis wird das Problem aber offenkundig: die Freiwilligkeit. Damit das Ganze überhaupt Sinn macht und die Infektionsketten möglichst lückenlos verfolgt und vor allem effizient bekämpft werden können, müssten verschiedenen Studien zufolge mindestens 60 Prozent der Bevölkerungen diese App auch tatsächlich benutzen.
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist nebst der Freiwilligkeit aber auch ein Smartphone. In Deutschland benutzten im Jahr 2019 rund 58 Millionen Menschen dieses intelligente Handy, in Frankreich 41 Millionen, in Italien knapp 36 Millionen und in Spanien knapp 31 Millionen (Quelle: Statista).
Mit anderen Worten müssten also in Deutschland von rund 58 Millionen Smartphone-Besitzern mindestens 50 Millionen diese eine App benutzen, um den benötigten Prozentsatz von mindestens 60 Prozent für die Effizienz dieses Tools zu erreichen. Umfragen zufolge gibt es in der Bevölkerung eine relativ hohe Bereitschaft, diese auch zu benutzen. Je nach Umfrageinstitut variiert die Bereitschaft zwischen 53 und 56 Prozent, also knapp an der Mindestgrenze. Ob aber alle Befragten, die sich offen für die Benutzung zeigten, auch über ein dafür benötigtes Smartphone verfügen, geht aus den Umfragen nicht hervor. Und ob sie es am Ende tatsächlich umsetzen, steht wiederum auf einem vollkommen anderen Blatt Papier geschrieben.
Damit solche Unwägbarkeiten im Sinne der Regierungen gelöst werden können, gibt es bereits jetzt solche Stimmen, die das aussprechen, wozu den meisten Politikern (noch) der Mut fehlt. Notfalls werden die Menschen eben dazu gezwungen werden müssen, diese App auch zu installieren und zu benutzen.
Am einfachsten lässt sich dieser Zwang durchsetzen, indem die App – oder deren Funktionen – still und heimlich über Updates oder als Zusatzfunktionen bereits bestehender Apps installiert werden. Das wäre zumindest für Tilman Kuban, dem Vorsitzenden der Jungen Union (JU), ein praktikabler Weg. Zwar meinte er in einem Interview mit der Welt am Sonntag, dass selbstverständlich jeder das Recht und die Möglichkeit dazu haben sollte, dem installierten Update aktiv zu widersprechen, sprich abzulehnen, aber auch hier zeigt die Praxis, dass das die wenigsten Nutzer auch tatsächlich tun.
Auch Prof. Dr. Axel Ockenfels von der Universität zu Köln sieht das ähnlich wie Kuban. Er favorisiert zwar eine komplett freiwillige Lösung. Falls aber die Politik entscheidet, dass die Möglichkeit zur freiwilligen Installation nicht ausreicht und eine Nachsteuerung angemessen und nötig ist, so könnte eine automatische Installation der App die Zahl der freiwilligen Nutzer erhöhen, ohne die Nutzung erzwingen zu müssen. Der Welt sagte der Wirtschaftswissenschaftler, dass es bei mangelnder freiwilliger Bereitschaft eben auch mit "ein bisschen Zwang" gehen muss:
Viele Menschen sind bequem, sodass die Entscheidung für die App ganz einfach und leicht sein sollte. Deswegen kann es einen großen Unterschied machen, ob man die App automatisch auf alle Smartphones installiert und bei der Installation beantworten muss, ob man 'out-opten' möchte, oder ob man einfach nur gebeten wird, freiwillig die App zu installieren und zu benutzen.
Belohnungssysteme stehen zur Diskussion
In der Schweiz gibt es Diskussionen, ob die App als Zusatzfunktion bei den in der Bevölkerung bereits weit verbreiteten und beliebten Apps wie für die SBB (Schweizer Bundesbahn) oder Meteo-Swiss (Wetter) installiert werden sollen. Technisch wäre das wohl problemlos umsetzbar, da beide Apps aus der Softwareschmiede Ubique stammen, allerdings betonte ein Bahn-Sprecher auf Nachfrage der NZZ:
Die SBB machen hier nichts und planen auch nichts zur Integration in die SBB-App.
Eine andere Art der "Überzeugung" wäre eine Art Belohnungssystem, wonach Benutzer der Corona-App beispielsweise in die behördlich geschlossenen Fitnessstudios gehen dürften. Für den Zürcher Staatsrechtprofessor Felix Uhlmann stellt das grundsätzlich kein Problem dar, wie er der Neuen Zürcher Zeitung sagte. "Wenn ein Verbot der Nutzung von Fitnesscentern zulässig ist, dürfe die Behörde als mildere Maßnahme auch eine Erlaubnis unter Auflagen und Bedingungen vorsehen", meinte Uhlmann.
Doch der Chaos Computer Club Schweiz hält nicht viel von solch einer Entwicklung und warnt vor einer "Exklusion bei der gesellschaftlichen Teilhabe". Auch Edward Snowden, einer der wohl berühmtesten Whistleblower der Welt, sieht die gegenwärtige Entwicklung mit größter Sorge.
Was da unter dem Deckmantel der Corona-Krise aufgebaut wird, "ist die Architektur der Unterdrückung", ist sich der ehemalige Analyst des größten Geheimdienstes NSA sicher. Zwar mögen die Regierungen jetzt in guter Absicht handeln, aber was jetzt als gut gemeinte Infrastruktur aufgebaut wird, überdauert die gegenwärtige Krise und bleibe auch danach weiter bestehen. Für künftige Regierungen sei es dann ein Leichtes, auf die bei der Bevölkerung in Vergessenheit geratenen Apps zurückzugreifen, um etwas ganz anderes zu errichten, als jetzt von der Politik behauptet wird.
Offensichtlich sieht auch der Schweizer Epidemiologe Professor Marcel Salathé gewisse Probleme beim PEPP-PT-Projekt. Als Vertreter der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (ETH) war Salathé eigentlich an der Entwicklung dieser europäischen Corona-App mitbeteiligt, kündigte aber am Freitag seinen Rückzug von dem Projekt an.
I am personally disassociating from PEPP-PT. While I do believe strongly in the core ideas (international, privacy-preserving), I can't stand behind something I don't know what it stands for. Right now, PEPP-PT is not open enough, and it is not transparent enough. 1/3
— Marcel Salathé (@marcelsalathe) April 17, 2020
Er kann nicht hinter etwas stehen, wenn er nicht genau weiß, wofür es steht, erklärte er seinen Rückzug auf Twitter. Der Hintergrund dieser Entscheidung war wohl, dass der von den Schweizern verfolgte Ansatz der größtmöglichen Datenschutzsicherheit, von der deutschen Seite untergraben wurde. Während sein DP-3T-Team sich dafür einsetzte, dass private Daten nicht auf Servern gespeichert werden und für Dritte (sprich Regierungen, Behörden etc.) zugänglich sind, sieht der PEPP-PT-Projektverantwortliche Hans-Christian "Chris" Boos – oder seine Auftraggeber im Kanzleramt – das offensichtlich anders. Boos gehört dem Digitalrat an, der Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen Corona-App berät.
Auf der Internetseite des paneuropäischen Projekts wurde nämlich ohne Wissen und Absprache mit Salathé die Information gestrichen, dass PEPP-PT ebenfalls diesen sogenannten "dezentralen Ansatz" der Schweizer verfolgt, wie dort zuvor noch zu lesen war. Das IT-Portal Golem.de berichtete als Erstes über diesen Vorfall. Darauf angesprochen, antwortete Boos, dass es sich nicht um einen "Richtungsstreit", sondern lediglich um einen "Sturm im Wasserglas" handelt. Das sehen die Schweizer offenkundig ganz anders und wollen deshalb an ihrem Vorhaben festhalten, eine möglichst transparente und insbesondere für den Nutzer sichere App auf den Markt zu bringen. Dem Staat soll so keine Möglichkeit geboten werden, im Zuge dieser Krise den Datenschutz auszuhöhlen.
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