Meinungskontrolle statt Verbraucherschutz? Wie von der Leyen in der Corona-Krise vor Fake News warnt
von Andreas Richter
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, bis zum vergangenen Sommer noch von Skandalen verfolgte Bundesverteidigungsministerin, hat in einem auf Twitter verbreiteten Video angekündigt, gegen "Mythen" und Falschnachrichten zu dem Coronavirus vorzugehen. In dem dazugehörigen Tweet heißt es:
In den sozialen Medien verbreitete Coronavirus-Falschmeldungen können Leben kosten. Wir arbeiten mit den sozialen Plattformen, um diejenigen zu stoppen, die aus der Krise Profit schlagen. Überprüfen Sie Quellen, vertrauen Sie Gesundheitsbehörden. Gemeinsam gegen Fake News.
Den Tweet und das dazugehörige Video gibt es in einer englischen, einer französischen und einer deutschen Version. In dem Video sagt von der Leyen wörtlich:
Helfen Knoblauch und Vitamin C gegen Corona? Nein. Erkranken ausschließlich ältere Leute an dem Virus? Nein. Aber solch absurde Falschmeldungen zirkulieren zuhauf in den sozialen Netzwerken. Und das sind nur zwei Beispiele. Es gibt enorm viele Fake News zum Coronavirus, nicht nur, aber vor allem online. Wir sehen einen massiven Anstieg, beschleunigt durch Unsicherheit, Angst und natürlich auch die Geschwindigkeit der Nachrichten-Updates.
Das treibt mich um. Wenn Meinungen manipuliert sind, ist das immer Grund zur Sorge, aber hier geht es um Gesundheit. Menschen können schweren Schaden nehmen. Zum Beispiel, wenn ihnen suggeriert wird, sie würden vom Virus geheilt, indem sie Bleichmittel trinken. Solche Chemikalien zu trinken, ist lebensgefährlich. Und es ärgert mich auch, wenn auf dem Rücken verunsicherter Menschen Profite gemacht werden. Zum Beispiel, wenn Seife zu unverschämten Preisen verkauft wird, die angeblich Corona-Keime abtötet, aber rein gar nichts nützt. Wir müssen dagegen angehen.
Deshalb arbeiten wir intensiv mit den großen sozialen Plattformen zusammen. Wir fordern sie auf, noch mehr gegen Desinformation in der Corona-Krise zu tun. Die Plattformen verlinken Nutzer bereits mit vertrauenswürdigen Inhalten wie denen der Gesundheitsämter, und sie machen gefährliche Inhalte und irreführende Werbung weniger sichtbar oder löschen sie. Aber es muss noch mehr getan werden.
Die sozialen Medien müssen ihre Daten mit Faktencheckern und Wissenschaftlern teilen. Das würde helfen, gefährliche Gerüchte frühzeitig aufzuklären. Wir werden die nächsten Schritte der Online-Plattformen begleiten. Auch die Kommission will beitragen, dass sie im Zweifel verdächtige Fakten selbst checken können. Seit Beginn der Krise haben wir eine Webseite mit allen wichtigen Informationen rund um das Virus, und dort finden Sie viel Information, wie die Europäische Union dabei hilft, die Krise zu managen. Jetzt gibt es dort auch eine eigene Rubrik, die Falschmeldungen zu Corona richtigstellt.
Vertrauen Sie den Gesundheitsbehörden, vertrauen Sie der Weltgesundheitsorganisation, vertrauen Sie dem gesunden Menschenverstand und journalistischer Sorgfalt in den Qualitätsmedien. Diejenigen, die Falschmeldungen verbreiten, wollen Ihnen schaden. Desinformation kann Leben kosten. Aber gemeinsam können wir Fake News bekämpfen.
In den sozialen Medien verbreitete #Coronavirus-Falschmeldungen können Leben kosten. Wir arbeiten mit den sozialen Plattformen, um diejenigen zu stoppen, die aus der Krise Profit schlagen. Überprüfen Sie Quellen, vertrauen Sie Gesundheitsbehörden. Gemeinsam gegen Fake News. pic.twitter.com/w5BJGnws8w
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) March 31, 2020
Die Ausführungen der Kommissionspräsidentin sind interessant und offensichtlich nicht ganz aufrichtig. Die von ihr zitierten Beispiele für Fake News, dass etwa der Konsum von Knoblauch oder Bleichmittel das "Virus heilt" (wie die gelernte Ärztin in der englischen Version des Videos tatsächlich sagt), wirken vorgeschoben. Worum es tatsächlich geht, zeigt ein Blick auf die von der skandalträchtigen Ex-Ministerin genannte Webseite.
Dort findet sich keine Spur von Tipps für Verbraucher, wie sie von der Leyen angeführt hat, und wie sie tatsächlich im Netz zirkulieren. Vielmehr listet die Kommissionsseite unter der Überschrift "Was stimmt — und was stimmt nicht?" folgende Aussagen als "Faktencheck" auf:
Die EU beschleunigt die Beschaffung und Verteilung von medizinischer Ausrüstung für ihre Mitgliedsstaaten.
Rund um die Uhr legt die EU Hilfsgüter-Vorräte an.
EU-Länder sind und bleiben die besten Partner füreinander – und zeigen sich zunehmend solidarisch.
Die Corona-Krise ist nicht der Anfang vom Ende des Schengen-Raums.
Bei der Erhebung von Handy-Daten bleiben Privatsphäre und Datenschutzrechte der Bürger/innen stets uneingeschränkt gewahrt.
Die EU und die Mitgliedsstaaten kümmern sich um unterschiedliche Bereiche – in Absprache miteinander.
COVID-19 wurde nicht von Migranten nach Europa eingeschleppt.
Die vermeintlichen Fake News, die mit diesen Aussagen angeblich richtiggerückt werden, muss sich der Leser selbst dazu denken. So in etwa könnten sie aussehen:
Die EU hat in der Vorbereitung der Krise versagt, etwa in der Beschaffung und Bevorratung von Ausrüstung.
Die den Mitgliedsstaaten von der EU oktroyierte Austeritätspolitik hat zusammen mit der ebenfalls geforderten Privatisierung das Gesundheitssystem in den Mitgliedsländern beschädigt, was sich in der Krise in Italien besonders deutlich zeigt.
Die EU hat bei der Unterstützung der betroffenen Mitgliedsländer versagt.
Die Grenzkontrollen lassen die Zukunft des Schengen-Systems fragwürdig erscheinen und sind auch Ausdruck einer Rückbesinnung auf den Nationalstaat.
Die EU-Staaten haben sich vor allem am Anfang der Krise untereinander unsolidarisch verhalten. Solidarischer mit den Krisenstaaten zeigten sich oft Länder wie Russland, China oder Kuba.
Diese Sätze würden in der Logik der Seite wenigstens in der Tendenz in Richtung Fake News gehen, dabei beschreiben die Tatsachen korrekt – oder beschrieben sie zu einem früheren Zeitpunkt der Krise korrekt. Es geht bei diesem angeblichen Faktencheck also offenbar nicht um den Schutz der Gesundheit der EU-Bürger, sondern um die Unterdrückung abweichender und nicht genehmer Meinungen – unter dem Vorwand des Gesundheitsschutzes.
Von der Leyens Verweis auf offizielle Quellen und "angesehene Medien", die übrigens ähnlichen Verlautbarungen der Bundesregierung entsprechen, lässt vermuten, dass sie wenigstens auch auf alternative Medien wie RT Deutsch zielt. RT Deutsch war bereits in der vergangenen Woche beschuldigt worden, in der Corona-Krise Falschinformationen zu verbreiten – übrigens auch von Qualitätsmedien, denen die Kommissionspräsidentin "journalistische Sorgfalt" attestiert.
Das Einschlagen auf den Boten dürfte auch in diesem Fall den durch diese vermittelten Botschaften gelten. Konkret geht es darum, Kritik an den getroffenen staatlichen Maßnahmen und Zweifel an deren Angemessenheit unsichtbar zu machen.
Interessant sind die durch von der Leyen ins Spiel gebrachten Mittel. Offenbar soll noch mehr Druck auf die sozialen Medien ausgeübt werden, obwohl diese bereits heute nicht genehme Inhalte sperren oder weniger sichtbar machen, oft genug ohne oder mit zweifelhafter Begründung. Doch wie sagte die Kommissionspräsidentin? "Aber es muss noch mehr getan werden." Die Forderung an die Netzwerke, ihre Daten mit den sogenannten "Faktencheckern" zu teilen, ist wenigstens bemerkenswert.
Von der Leyens Aufruf zum verstärkten Kampf gegen angebliche Fake News lässt sich als Versuch interpretieren, im Zuge der Corona-Krise die Kontrolle über die veröffentlichte Meinung zu verstärken, natürlich auch über die Krise hinaus. Gleichzeitig dienen ihre Ausführungen wohl auch dem Ablenken der massiven Kritik an der Kommission und ihrem eigenen Krisenmanagement.
Wenigstens auf Twitter erntete sie für ihr Video wenig Lob. Unter dem Tweet finden sich zahlreiche kritische und spöttische Kommentare. Ein Nutzer schrieb:
Ich bin so froh, dass Sie wissen, was das Richtige für uns ist. Ich hätte fast angefangen, für mich selbst zu denken. Danke!
Ein anderer meinte: "Ja, totale Kontrolle und Zensur der sozialen Medien, das ist, was Sie korrupte Hexe wollen. 'Vertrauen Sie uns. Wir sind die Guten.'" Andere Nutzer zogen Vergleiche zur Sowjetunion, wiederum andere stellten die Existenz der EU in ihrer gegenwärtigen Form ganz in Frage:
Wir sind bereit, ein neues Europa ohne Sie und Ihre Freundin Merkel zu schaffen. Ein föderales Westeuropa, das auf den Grundsätzen der Freiheit, der Solidarität und der Gleichheit zwischen den Staaten beruht. Auf Wiedersehen!
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